2. Eine hohe Ordnung psychischer Prozesse entsteht beim gelingenden Ausführen möglichst komplexer Tätigkeiten, die uns an die Obergrenze unseres Könnens bringen (Klavier spielen, Tanzen, eine Konferenz leiten etc.). Hier haben wir es mit typischen Flow-Aktivitäten auf der Basis von Flow-Antrieben zu tun.
3. In einem mehr ganzheitlichen Sinne entsteht eine hohe psychische Ordnung, wenn wir das Gefühl haben, unser Reden und vor allem unser Handeln stimmt mit unseren Werten und Prinzipien überein. Wir sind dann »mit uns im Reinen«, wir fühlen uns »selbstkongruent« oder »integer«. Auch dies ist eine wichtige Quelle von Lebenszufriedenheit.
Beziehungen
Die für das Glück als so wichtig erlebten Beziehungen zu anderen Menschen können sowohl äußeren als auch inneren Lohn spenden: Man kann sich an der äußeren Schönheit seines Partners freuen, mit ihm Sex haben oder seine Komplimente genießen – dies wäre äußerer Lohn. Man kann aber auch mit ihm eine Galerie besuchen, Schach spielen oder über Philosophie diskutieren – dies wäre eine wechselseitige Steigerung der Erzeugung inneren Lohns durch Resonanz.
Liebe ist innerer Lohn
Die höheren Formen von Liebe gehören dabei zum inneren Lohn: Die Fähigkeit zu intensiver, achtsamer Wahrnehmung des anderen ist für die Entwicklung von Mitgefühl und nicht besitzergreifender Liebe von zentraler Bedeutung, insbesondere auch die Wahrnehmung einer Übereinstimmung des Verhaltens des anderen mit den eigenen Werten.
Auch die tätige Aneignung der Welt im Sinne des Aufbaus von Flow-Potenzial erzeugt Liebe, die »Liebe zum Sein«: Man kann lernen, die Musik, die Mathematik oder die Philosophie zu lieben. Und über diesen inneren Reichtum wird man auch resonanzfähig für Menschen, die diese Leidenschaften teilen, was wiederum die nicht besitzergreifende Liebe fördert, die Respekt und Bewunderung gibt und dafür nichts zurückerhalten muss.
Innerer Lohn ist wichtig
Wie wir noch sehen werden, ist für Glück und ein erfülltes Leben die Kultivierung inneren Lohns sehr viel bedeutsamer als das Erschließen von äußerem Lohn. Letzterer unterliegt dem Phänomen der Gewöhnung: Was immer es ist – ein neuer Sportwagen oder eine neue Rangposition –, nach einiger Zeit bringt es nicht mehr den »Kick« und man braucht etwas Neues oder mehr. Gleichzeitig ist das Reservoir an äußerem Lohn begrenzt. Folgerichtig entsteht hier eine Mentalität des Mangels. Inneren Lohn kann man dagegen nahezu unbegrenzt in sich erzeugen – die Konzentration darauf lässt eine Mentalität der Fülle entstehen.
1.6 Wie Ich und Selbst zusammenarbeiten
Die Funktion des Ich
In der Tausendfuß-Geschichte kommt das Ich ziemlich schlecht weg. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Das Ich stiftet natürlich auch Nutzen – sonst hätte es sich in der Evolutionsgeschichte nicht entwickeln können. Die vom Ich ermöglichte Einsicht befähigt uns Menschen, unser Verhalten an jede konkret vorliegende Problemsituation individuell anzupassen, während unsere entfernten Vorfahren nur mit vergleichsweise starren und groben angeborenen Verhaltenschemata antworten konnten.
»Kanalenge« des Ich
Allerdings ist unser Bewusstseinsfenster ziemlich schmal – im Zentrum unserer bewussten Aufmerksamkeit haben immer nur wenige Dinge gleichzeitig Platz. Komplexe Verhaltensweisen können deshalb vom Ich nicht bewusst gesteuert werden. Wir können zwar unseren Zeigefinger unter der Kontrolle des Bewusstseins in einem bestimmten Winkel krümmen. Aber denken Sie einmal an einen Ski-Abfahrtslauf, wo wir Hunderte von Muskeln blitzschnell und gleichzeitig koordinieren müssen. Damit wäre unser bewusstes Ich überfordert.
Das Selbst als Hauptquelle komplexen Verhaltens
Komplexe Verhaltensweisen müssen schrittweise erlernt werden und können nur dann schnell und gekonnt ablaufen, wenn sie automatisiert dem Selbst entspringen (statt »automatisiert« sollte man besser von »selbstorganisiert« sprechen). Wie die Abbildungen 2b und c zeigen, kommt dabei der Hauptverhaltensoutput aus dem Selbst, während das bewusste Ich nur einige wenige Schlüsselvariablen des Verhaltensprozesses im Auge behalten kann. Beim Ski-Abfahrtslauf wäre das zum Beispiel die vorausschauende Wahl des Kurses.
Dasselbe gilt auch für komplexes Verhalten in anderen Situationen: beim Halten eines Vortrags, bei der Leitung einer Konferenz oder beim lockeren Herumschwirren zwischen den Gästen einer Party. Je besser Sie die Spezialinhalte beherrschen, die Leute kennen und je mehr Allgemeinwissen Sie haben, desto besser. Dann können Sie den engen Fokus Ihrer Aufmerksamkeit voll auf die Gesichter der Zuhörer beziehungsweise Gäste konzentrieren und die passenden Inhalte entfalten sich spontan aus Ihrem Selbst heraus.
Abb. 2: Grundmodi der Verhaltensregulation: a) Stress, b) bewusstes Lernen, c) Flow
Bewusstes Lernen
Abbildung 2b entspricht dabei der Situation, in der komplexes Verhalten erlernt wird: Wir trainieren in relativ langsamer Fahrt einen bestimmten Skischwung auf dem »Idiotenhügel« oder wir üben unseren Vortrag, was noch etwas stockend geht, weil wir immer wieder bewusst über Auswahl und Formulierung der Inhalte nachdenken müssen. Das Selbst macht dabei eine Vielzahl von Vorschlägen in Form von Verhaltensbausteinen, die per psychoneuraler Selbstorganisation erzeugt werden (»Einfälle«, »Eingebungen«). Das Ich wählt sie mit dem Vernunftauge aus und setzt sie mithilfe des Synergieohres zusammen.
Flow
Mit zunehmender Übung unter Leitung des Synergieohres geraten wir dann immer näher an den Flow-Zustand heran, den Abbildung 2c zeigt. Das Ich kann sich zurückziehen und das Verhalten ganz dem Selbst überlassen: gelingendes Tun in Ich-Vergessenheit und Selbstvertrauen. Doch der Flow-Zustand ist oft instabil und störanfällig: Schlechte Form, überzogene Leistungserwartungen, aufkeimende Selbstzweifel oder ungünstig veränderte Außenbedingungen können schnell dazu führen, dass wir wieder in den Normalzustand b zurückfallen.
Gefahren
Erweisen sich die Probleme als hartnäckig, entsteht Gefahr: Das Ich kommt nun in die Versuchung, den Gesamtprozess unter seine bewusste Kontrolle bringen zu wollen: Hyperreflexion (Überkontrolle, übermäßige Selbstbespiegelung) und Hyperintention (verkrampftes Erzwingenwollen) sind die Folgen. Aufgrund seiner geringen »Kanalkapazität« verbessert das aber nicht die Performance. Im Gegenteil: Das Verhalten wird immer stockender und die Leistung sinkt.
Die Stressblockade
Nun entstehen auf vielen Ebenen Teufelskreise: Die erwähnte Stressreaktion springt an und führt über den »Tunnelblick« zu einer weiteren Verengung der Kanalbreite. Negative Gefühle und negative Gedanken steigern sich wechselseitig immer weiter in eine negative Richtung: Selbstbeschimpfungen und Katastrophengedanken erzeugen Ärger, Wut oder Angst – und diese Gefühle fördern dann wieder das Negativdenken. Der innere Druck steigt, das Ich bläht sich, bildlich gesprochen, auf und erdrückt zunehmend das Selbst. Immer mehr Feinfunktionen des Selbst blockieren.