5.
Was sagen wir aber vom Mietling? Nicht unter den guten Dingen ist dieser erwähnt worden. „Der gute Hirt“, sagt er, „gibt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber und der nicht Hirt ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt und zerstreut die Schafe.“ Der Mietling spielt hier keine gute Rolle, und doch ist er einigermaßen noch dienlich, er würde auch nicht Mietling genannt werden, wenn er von dem Mietenden keinen Lohn bekäme. Wer ist also jener Mietling, der sowohl schuldbar ist wie notwendig? Hier aber, Brüder, leuchte uns der Herr selbst, damit wir einerseits die Mietlinge erkennen, anderseits nicht selbst Mietlinge seien. Wer ist also ein Mietling? Es gibt in der Kirche gewisse Vorgesetzte, von welchen der Apostel Paulus sagt: „Sie suchen das Ihrige und nicht das, was Jesu Christi ist“1295. Was heißt: „Sie suchen das Ihrige“? Sie lieben Christus nicht selbstlos, suchen Gott nicht wegen Gott, streben nach zeitlichen Vorteilen, gehen auf Gewinn aus, haschen nach Ehren bei den Menschen. Wenn von einem Vorgesetzten diese Dinge geliebt werden und ihretwegen Gott gedient wird, ein solcher ist, wer immer er sein mag, ein Mietling, unter die Söhne soll er sich nicht rechnen. Denn von solchen sagt der Herr: „Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn empfangen“1296. Höre, was der Apostel Paulus von dem heiligen Timotheus sagt: „Ich hoffe aber im Herrn Jesu, euch bald den Timotheus zu senden, damit auch ich guten Mutes sei, wenn ich erfahre, wie es um euch steht; denn ich habe keinen, der einer Gesinnung mit mir ist und der so brüderlich für euch Sorge trägt. Denn alle suchen das Ihrige, und nicht das, was Jesu Christi ist“1297. Unter den Mietlingen seufzte der Hirt; er suchte einen, der die Herde Christi aufrichtig liebte, und fand in seiner Umgebung unter denjenigen, die zu jener Zeit bei ihm gewesen waren, keinen. Denn es war zwar damals in der Kirche Christi außer dem Apostel Paulus und Timotheus nicht etwa keiner, der brüderlich für die Herde besorgt gewesen wäre, vielmehr hatte er gerade zu der Zeit, als er den Timotheus sandte, keinen andern von den Söhnen bei sich, sondern es waren bloß Mietlinge bei ihm, „die das Ihrige suchten, nicht das, was Jesu Christi ist“. Und doch wollte er, in seiner brüderlichen Besorgnis um die Herde, lieber den Sohn senden und unter den Mietlingen bleiben. Auch wir gewahren Mietlinge; nur der Herr prüft sie; der ins Herz sieht, prüft sie; doch bisweilen werden sie von uns erkannt. Denn nicht umsonst hat der Herr selbst auch von den Wölfen gesagt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“1298. Viele werden durch die Versuchungen auf die Probe gestellt, und dann kommen die Gedanken zum Vorschein, viele aber bleiben verborgen. Mag der Schafstall des Herrn zu Vorgesetzten sowohl Söhne wie Mietlinge haben1299. Die Vorgesetzten aber, die Söhne sind, sind Hirten. Wenn sie Hirten sind, wie ist dann doch nur* ein* Hirt, als weil sie alle Glieder des* einen* Hirten sind, dem die Schafe gehören? Denn sie sind auch Glieder desselben* einen* Schafes, weil er „wie ein Schaf zur Schlachtung geführt wurde“.
6.
Vernehmet aber, daß auch die Mietlinge notwendig sind. Viele nämlich, die in der Kirche zeitliche Vorteile suchen, predigen dennoch Christus und durch sie wird die Stimme Christi gehört, und es folgen die Schafe, nicht dem Mietling, sondern der Stimme des Hirten durch den Mietling. Höret, wie der Herr selbst die Mietlinge zeichnet: „Die Schriftgelehrten“, sagt er, „und Pharisäer sitzen auf dem Stuhle Mosis; was sie sagen, tut; was sie aber tun, tut nicht“1300. Was anders habe ich gesagt als: Durch die Mietlinge höret die Stimme des Hirten? Sitzend nämlich auf dem Stuhle Mosis, lehren sie das Gesetz Gottes, also lehrt Gott durch sie. Sollten sie aber das Ihrige lehren wollen, so höret nicht darauf, tut es nicht. Denn gewiß solche suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist; kein Mietling jedoch hat es gewagt, dem Volke Christi zu sagen: Suche das Deinige, nicht das, was Jesu Christi ist! Denn was er Böses tut, das predigt er nicht vom Lehrstuhle Christi; da fügt er Schaden zu, wo er Böses tut, nicht wo er Gutes sagt. Pflücke die Trauben, meide den Dorn! Gut, daß ihr es verstanden habt; aber wegen der Langsameren will ich dasselbe noch deutlicher sagen. Wie konnte ich sagen: Pflücket die Trauben, meide den Dorn, da doch der Herr sagt: „Sammelt man etwa von den Dornen die Traube oder von den Disteln die Feige?“1301. Wahr ist das auf jeden Fall, und doch habe auch ich wahr gesprochen: Pflücke die Traube, meide den Dorn, weil bisweilen die aus der Wurzel des Weinstockes hervorkommende Traube an einem Dorngehege hängt, es wächst der Rebzweig, verflicht sich mit den Dornen, und der Dorn trägt eine Frucht, welche nicht die seinige ist. Denn nicht wird der Dorn vom Rebzweig getragen, sondern der Rebzweig hat sich auf die Dornen gelegt. Befrage nur die Wurzeln; suche die Wurzel des Dornes, du findest sie außerhalb des Weinstockes; suche die Herkunft der Traube, der Weinstock hat sie aus seiner Wurzel hervorgebracht. Der Stuhl Mosis also war der Weinstock, die Sitten der Pharisäer waren die Dornen; die wahre Lehre, vorgetragen durch Schlechte, ist ein Rebzweig am Dorngehege, eine Traube zwischen den Dornen. Du mußt vorsichtig lesen, damit du nicht, wenn du eine Frucht suchst, die Hand verletzest, und wenn du einen hörst, der Gutes lehrt, nicht nachahmest, was er Böses tut. „Was sie sagen, tut“, leset die Trauben; „was sie aber tun, tut nicht“, meidet die Dornen. Höret auch durch die Mietlinge die Stimme des Hirten, aber seid keine Mietlinge, da ihr ja Glieder des Hirten seid. Derselbe heilige Apostel Paulus aber, der gesagt hat: „Ich habe keinen, der brüderlich für euch besorgt wäre; denn alle suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist“, ― sehet, was er an einer andern Stelle, zwischen Mietlingen und Söhnen unterscheidend, gesagt hat: „Einige predigen Christus aus Neid und Streitsucht, andere aber auch aus guter Gesinnung, einige aus Liebe, weil sie wissen, daß ich zur Verteidigung des Evangeliums aufgestellt bin; einige aber verkünden Christus auch aus Widerspenstigkeit, nicht in reiner Absicht, in der Meinung, daß sie meinen Banden Trübsal erwecken“. Das waren Mietlinge, sie waren eifersüchtig auf den Apostel Paulus. Warum waren sie eifersüchtig, als weil sie nach Zeitlichem strebten? Aber gebt acht, was er beifügt: „Was tut’s? Wenn nur auf jede Weise, sei es aus Vorwand, sei es in Aufrichtigkeit, Christus verkündet wird; des freue ich mich und werde mich freuen“1302. Christus ist die Wahrheit; mag die Wahrheit von den Mietlingen aus Vorwand verkündet werden, mag die Wahrheit von den Söhnen in Aufrichtigkeit verkündet werden: die Söhne erwarten geduldig das ewige Erbe des Vaters, die Mietlinge erstreben gierig den zeitlichen Lohn des Mietherrn; mir mag menschliche Ehre, auf welche ich die Mietlinge neidisch hinschauen sehe, vermindert werden; und doch soll durch die Zungen sowohl der Mietlinge wie der Söhne die göttliche Gnade Christi verbreitet werden, wenn nur, „sei es aus Vorwand, sei es in Aufrichtigkeit, Christus verkündet wird“.
7.
Wir haben nun auch gesehen, wer der Mietling sei. Wer ist der Wolf, wenn nicht der Teufel? Und was ist vom Mietling gesagt worden? „Wenn er den Wolf kommen sieht, flieht er, weil ihm die Schafe nicht eigen sind, und er sich um die Schafe nicht kümmert.“ War ein solcher etwa der Apostel Paulus? Das sei ferne. War ein solcher etwa Petrus? Das sei ferne. Waren solche etwa die übrigen Apostel, ausgenommen Judas, der Sohn des Verderbens? Das sei ferne. Waren sie also Hirten? Gewiß, sie waren Hirten. Und wie doch nur* ein* Hirt? Ich habe schon gesagt, Hirten deshalb, weil sie Glieder des Hirten waren. Sie erfreuten sich jenes Hauptes, waren unter jenem Haupte eines Sinnes, lebten durch* einen* Geist in der Gemeinschaft des* einen* Leibes, und so gehörten sie alle zu dem* einen* Hirten. Wenn also Hirten, keine Mietlinge, warum flohen sie, als sie Verfolgung litten? Erkläre es uns, o Herr. Ich ersah aus dem Briefe, wie Paulus floh, er wurde über die Mauer in einem Korbe herabgelassen, um den Händen des Verfolgers zu entgehen1303. Kümmerte er sich also nicht um die Schafe, die er bei der Ankunft des Wolfes verließ? Doch gewiß, aber er empfahl sie in den Gebeten dem im Himmel sitzenden Hirten, sich aber rettete er zu ihrem Nutzen durch die Flucht, wie er an einer Stelle sagt: „Im Fleische zu bleiben, ist nötig seinetwegen“1304. Denn vom Hirten selbst hatten sie gehört: „Wenn sie euch verfolgen in einer Stadt, so flieht in eine andere“1305. Diese Frage möge der Herr sich würdigen uns zu erklären. Herr, Du hast zu denjenigen, die nach Deinem Willen doch gewiß treue Hirten sein sollten, die Du zu Deinen Gliedern heranbildetest, gesagt: „Wenn sie euch verfolgen, so fliehet“. Du tust also jenen, welche den Wolf kommen sehen und fliehen, Unrecht, indem Du sie als Mietlinge tadelst. Wir bitten Dich, zeige uns an, wie es sich mit dieser schwierigen Frage verhalte; wir wollen klopfen, der Hüter