Amandus Pachmayr und Ludwig Lechner redeten beide gleichzeitig. Jeder begann seine Ausführungen mit dem Wort ›aber‹.
»Ich will nicht hören, was ihr für Probleme miteinander habt, Kollegen. Ich will hören, wie ihr sie lösen werdet. Zeit, erwachsen zu werden!«
Timon hatte streng geklungen. Für den Rest des Tages rissen sich die Streithähne zusammen.
Schwester Nasifa betrachtete sich im Spiegel.
»Ausgezeichnet, Schwester Nasifa«, beeilte sich Dr. Timon Süden zu sagen. »Ganz ausgezeichnet!«
»Ich verstehe nicht?«
»Ihre Frisur! Die roten Strähnen beleben das Schwarz ihrer Haare, und der Schnitt ist frech und unterstreicht ihren Typ!«
Die Krankenschwester staunte.
»Dann ist es also doch jemandem aufgefallen! Na Gott sei Dank! Und ich hatte schon befürchtet, dass mich niemand hier ansieht!«
»Sie nicht ansehen? Unter uns gesagt, Schwester Nasifa: Ihr Anblick ist so ziemlich das Erfreulichste hier und verschönt meinen Tag!«
Schwester Nasifa sah den Doktor überrascht an.
»Aber ich dachte, dass Sie … Ich meine, weil Sie doch mit Herrn Fahl … Also …«
Sie errötete und blickte zu Boden.
Timon zwinkerte ihr zu. »Sie denken, bloß weil ich mit einem Mann zusammenlebe, bin ich nicht in der Lage, die Attraktivität einer Frau zu beurteilen? Sie! Lassen Sie das bloß meine Ex-Frau nicht hören!«
»Das ist ohnehin etwas, das ich nicht verstehe«, warf die Schwester eifrig ein. »Ich meine, wenn man eine Frau heiratet und sogar Kinder mit ihr hat – und dann plötzlich mit einem Mann … Bitte entschuldigen Sie, Herr Doktor. Es geht mich ja überhaupt nichts an!«
»Wissen Sie, es kommt sogar heute noch vor, dass Männer, die sich zu ihrem eigenen Geschlecht hingezogen fühlen, Frauen heiraten, um die Erwartungen der Gesellschaft, der Eltern, der Nachbarn zu erfüllen. Soziale Zwänge allerdings waren mir immer egal. Ich habe meine Frau geliebt. Aber ich erlaube mir eben manchmal auch ein zärtliches Gefühl einem Mann gegenüber. Und Emmerich und mich verbindet nicht nur dieses Gefühl. Er hat mich gerettet, nach meinem Apoplex. Sie können es sich nicht vorstellen, wie geduldig er war. Wie liebevoll! Wirklich! Ich glaube, dass das eins der Geheimnisse seines Erfolges ist. Er liebt Menschen, und er liebt das, was er tut.«
»Es gibt wirklich niemanden, der von Herrn Fahl nicht begeistert wäre«, bestätigte Nasifa. »Sogar Professor Sonntag lässt keine Gelegenheit aus, ihn zu loben! – Herr Dr. Süden?«
»Ja, bitte?«
»Sie nehmen mir nicht übel, dass ich gefragt habe, oder?«
»Natürlich nicht, Nasifa. Im Gegenteil. Wir arbeiten so hautnah miteinander, dass es gut ist, wenn zwischen uns vertrauensvolle Offenheit besteht! Anders als bei unseren beiden Streithähnen!«
»Ja, das ist wirklich ein Problem! Ich meine, Herrn Dr. Pachmayr kenne ich nicht so lange und konnte ihn deswegen nicht wirklich einschätzen, aber Dr. Lechner? Das überrascht mich wirklich! Dabei hatte ich ganz zu Anfang den Eindruck, dass die beiden sich ganz gut verstehen!«
»Wer weiß, was dahinter steckt. Ich mische mich da nur insoweit ein, als es die Qualität der Arbeit beeinträchtigt. Das kann und darf ich nicht zulassen.«
*
Maria hatte auf eigene Faust mit der Erkundung des Schiffs begonnen. Tassilo hing mit dem Film-Team zusammen. Morgen begann der Dreh, einige Bereiche des Decks, der Kabinengänge, des Fitnessraums und des Restaurants waren bereits abgesperrt und von der Requisite inspiziert worden. Die Fachkraft übergab der Schiffscrew eine Liste von Gegenständen, die bereitgestellt werden mussten.
Nun gut. Schade, dass Tassilo keine Zeit für sie hatte. Aber sie war eine selbstständige, emanzipierte Frau. Hoch erhobenen Hauptes stolzierte sie auf dem Oberdeck mit seinem großen Swimmingpool und den Unmengen an Liegestühlen herum.
Warte nicht mit dem Abendbrot auf mich!, hatte Tassilo zu ihr gesagt. Nein, es hätte auch keinen Sinn gehabt, zu warten. Um die Besprechung des morgigen Tages nicht zu unterbrechen, war dem Filmteam ein besonderes Catering zur Verfügung gestellt worden. Also suchte sie die Kabine auf, wählte ein freundliches, buntes Sommerkleid aus, vielleicht nicht das passendste Kleidungsstück für das abendliche Diner, aber sie fühlte sich wohl darin, und das war schließlich die Hauptsache. Ihr Spiegelbild stimmte sie überraschend zufrieden. Dabei war das Kleid ganz billig gewesen. Aber die Nähte waren gut verarbeitet, und es passte ohne Änderung wie angegossen.
»Ich habe schon auf Sie gewartet!«
Sie war einen Moment unsicher im Eingangsbereich des Restaurants stehengeblieben und hatte versucht, einen freien Platz zu finden. Erfolglos. Es war wirklich voll. Kein Wunder! Das Büfett sah wirklich sensationell aus, ihr neuer Freund Esfandar hatte nicht übertrieben. Eine einzige Aneinanderreihung von Delikatessen.
Und nun, plötzlich und unerwartet, wurde sie angesprochen, von einer samtigen, dunklen Männerstimme, die sich wie auf Katzenpfoten in ihren Gehörgang schlich.
Esfandar hatte für sie einen Platz reserviert. Ganz, wie er es versprochen hatte. Mit Seeblick. Und frischen Blumen. Ja, tatsächlich! Natürlich standen auf allen anderen Tischen diese restauranttypischen Behältnisse für Zucker, Essig und Öl, Pfeffer und Salz. An ihrem Platz allerdings gab es als einzigem eine kleine Porzellanvase mit einem kleinen Blumenstrauß.
»Das ist aber lieb!«, staunte Schwester Maria. »Wo haben Sie die denn her, seemeilenweit von einem Blumenladen entfernt?«
Esfandar schmunzelte.
»Die gehören eigentlich zur Dekoration unseres Musicaltheaters! Ich habe ein paar Blumen gemopst. Fällt gar nicht auf! – Kommen Sie! Ich zeige Ihnen, was Sie unbedingt kosten müssen! Die Remoulade zum Roastbeef ist ein Gedicht, und in den Lachs im Salzmantel werden Sie sich hineinlegen wollen!«
Mit insgesamt vier Tellern beladen kehrten sie zu Marias Tisch zurück.
»Was sollen bloß die Leute denken?«, lachte Maria. »Die müssen mich für einen Vielfraß halten!«
»Warten Sie ab, bis ich Ihnen eine Auswahl unserer Desserts auf den Tisch stelle! Sie können den anderen hier nie wieder unter die Augen treten! Ach so – rot oder weiß?«
»Wie, rot oder weiß?«
»Der Wein! Zum Lachs sollten Sie eigentlich den Weißen nehmen, aber scheren Sie sich nicht um solche Vorschriften. Der rote ist ein kalifornischer Merlot, samtig, weich, fruchtig, mit einer zarten Vanillenote am Gaumen!«
»Wie wäre es mit einem stillen Wasser?«
»Machen Sie Witze?«
»Also den Merlot!«
»Eine gute Wahl!« Er imitierte den Tonfall eines Oberkellners. »Ich bringe eine Demi-Bouteille!«
»Was ist das jetzt schon wieder?«
»Eine halbe Flasche. Wenn ich eine Ganze auf den Tisch stelle, jammern Sie wieder!«
Dieser Junge konnte einen umhauen. Von seiner hinreißenden Erscheinung mal abgesehen, war er charmant, humorvoll, verstand seinen Job – und er gab ihr das Gefühl, der einzige Gast weit und breit zu sein. Bedeutend und schön. Ja, schön! Maria hatte keinen Bezug zu ihrem Aussehen. Wenn sie in den Spiegel sah, erschien ihr Reflex erträglich zu sein, zumindest schloss sie dies aus den Reaktionen ihrer Mitmenschen. Ihr Erscheinen löste keine Begeisterungsstürme, allerdings auch kein Entsetzen aus. Man nahm sie eben wahr. Fertig. Esfandars Aufmerksamkeit allerdings bewirkte, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben begehrenswert fühlte. Nein, damit tat sie Tassilo nicht unrecht. Ihre Beziehung zu Tassilo hatte sich langsam entwickelt und war zu Beginn eher unschön gewesen. Zwischen Esfandar und ihr vibrierte die Luft – von der ersten Sekunde an.
»Wir könnten eine