»Wenn sie es nicht möchte, ist das in Ordnung, hörst du? Mir wäre es schon recht, wenn ich hier in eurer Nähe sein könnte!«
»Ich bin sicher, dass sie mir die Ohren langziehen würde, wenn ich dich nicht zu uns nach Hause holen würde!«
»Wenigstens eine Frau, die dich im Griff hat«, bemerkte Theres erleichtert.
*
›Elisabeths Platzerl‹ war Schauplatz besonderer Ereignisse. Im Gänsemarsch betraten ein gut aussehender Herr, ein niedliches, rothaariges Mädchen und eine attraktive Dame das urgemütliche Café am Stadtplatz in Miesbach und zogen sich in der Hoffnung auf einen ruhigen Platz in den hinteren Teil zurück.
»Es ist Datschi-Zeit«, erklärte Elisabeth fröhlich. »Bleibt die Frage: Mit oder ohne?«
»Keine Frage. Dreimal mit!«, rief Kilian vergnügt. »Ohne Sahne ist Datschi nur halb so gut!«
Die Erwachsenen tranken Tee, das Kind bekam eine heiße Schokolade.
»Wir behalten zunächst einmal unsere Wohnungen, würde ich vorschlagen«, erklärte Ricarda.
»Meinst du nicht, dass es für das Kind einfacher wäre, wenn sie nicht ständig zwischen uns hin- und herpendeln müsste? Was sagst du, Felicitas?«
»Zusammenwohnen ist praktischer«, behauptete das Kind.
»Das ist prinzipiell richtig, Feli. Aber schau mal: Wir beiden, Mama und ich, leben jetzt schon so lange allein! Da geht es nicht nur darum, welchen Toaster wir nehmen oder welches Geschirr. Es geht um das, was wir im Kopf haben, verstehst du? Wenn man zusammenlebt, stellt man sich auf den anderen ein. Man macht nicht mehr, was man will, weil das den Partner zu sehr einschränken würde. So. Jetzt müssen wir uns erst einmal gedanklich daran gewöhnen. Aber, wenn du einverstanden bist, Ricarda, wir können doch schon mal nach einer Wohnung suchen, die uns allen gefällt. Was sagt ihr?«
»Und wenn uns gleich die erste Wohnung ganz gut gefällt?«, fragte Felicitas neugierig.
»Dann mieten wir sie und richten Sie uns wunderschön ein. Das meiste kaufen wir neu. Und du bekommst sowieso lauter aufregende neue Sachen!«
Das Kind ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. Mehr und mehr gefiel ihr die Situation. Alles neu?
»Kann ich auch ein Aquarium haben?«
»Und wer wird sich um das Aquarium kümmern? Die Fische füttern, das Wasser wechseln, die Scheiben putzen?« Ricarda hatte die rechte Augenbraue zweifelnd hochgezogen.
»Das mache ich, ich versprech’s!«
»Wollen wir hoffen, dass das keine leeren Versprechungen sind, Feli«, lachte Kilian. »So. Alles aufgegessen? Ich zahle mal und fahre euch rasch heim!«
*
»Gehst du schon mal vor, Schatz? Mama muss schnell noch über etwas mit Papa sprechen!«
Was mochte das sein? Ob das etwas mit der Ausstattung ihres neuen Zimmers zu tun hatte? Ihre Eltern lächelten beide, also konnte es nichts Unangenehmes sein.
»Ich decke schon mal den Tisch fürs Abendbrot«, erklärte sie. »Kommst du auch, Papa?«
»Nein, leider! Ich habe Dienst!«
Felicitas zog sich zurück.
»Ich wollte noch kurz etwas klären, Kilian«, sagte Ricarda. »Weil das kürzlich vielleicht falsch 'rübergekommen ist.«
»Was meinst du?«
»Ich habe dir gesagt, dass ich nicht verliebt in dich war, sondern eher mein Mutterinstinkt sich meldete. Ich hoffe, dass du mir das nicht übelgenommen hast!«
»Warum sollte ich das verübeln, Ricarda? Du hast mir ja auch nie etwas vorgespielt. Alles, was war, entstand wohl eher in meiner Fantasie!«
»Das ist sicher richtig. Und ich will dir jetzt auch nichts vormachen. Ich tue das alles nur des Kindes wegen. Wir können doch Freunde sein, findest du nicht?«
»Na klar können wir das«, bekräftigte der chirurgische Oberarzt heiter. »Vermutlich ist das der bessere Teil einer Partnerschaft, meinst du nicht? Diese schwammige, wahnsinnige Liebe legt sich ohnehin mit der Zeit. Wohl dem Paar, bei dem die Freundschaft weiter existiert!«
»Danke, Kilian. Schön, dass du es auch so siehst!«
»Weißt du, was mir besonders wichtig ist? Ehrlichkeit. Und, dass wir immer so miteinander reden wie jetzt und hier.«
Ricarda wurde flammend rot. Da war noch etwas, das sie klären musste. Dringend. Bis jetzt hatte sie sich nur einer Schwindelei schuldig gemacht. Einer kleinen Notlüge, allenfalls. Dabei hatte er Ehrlichkeit gefordert. Egal. Sie würde das klären, ein für alle Mal. Nur Kilian sollte nichts davon mitbekommen.
Andere Verhältnisse
»Darf ich eigentlich ›Papa‹ zu dir sagen?«
»Was stimmt nicht an ›Quirin‹?«
»Findest du es nicht schön, wenn ich dich ›Papa‹ nenne?«
»Ich weiß nicht! Du hast ja noch nie Papa zu mir gesagt! Zu mir hat überhaupt noch nie jemand ›Papa‹ gesagt. Wie denn auch? Deswegen habe ich keine Ahnung, wie sich das anfühlt!«
»Ich mach’s einfach mal. Wenn du nicht damit rechnest. Und dann sagst du mir, wie du es findest.«
»Warum ist dir das so wichtig?«
»Ich hab mir vorgestellt, dass ich dann – irgendwie fester zu dir gehöre!«
Quirin Bichler war gerührt. Er war weit davon entfernt, Träumer oder Romantiker zu sein. Genau dieser Realismus führte dazu, dass er alle Damen, die sich je für ihn interessiert hatten, verschreckte. (Als zweiter Grund wurde gern der Umstand angeführt, dass er ohnehin mit der Klinik verheiratet wäre.) ›Man muss Prioritäten setzen!‹, war sein Leitsatz. Und die seine war eben der Beruf. Würde sich mit dem Jungen daran etwas ändern?
Sicher nicht. Selbstverständlich würde er sich bemühen, Pirmin ein schönes Leben zu bereiten. Er würde ihm seine materiellen Wünsche erfüllen. Er würde ihm emotionale Nähe und Halt geben. Vielleicht würde sich zwischen ihnen so etwas wie Vater-Sohn-Liebe entwickeln. Er würde aber auch streng sein. Immerhin hatte er die Vaterrolle auszufüllen. Er wunderte sich immer über Eltern, die stolz darauf waren, ›die besten Freunde ihrer Kinder zu sein‹. Seiner Ansicht nach war das falsch. Freunde sind die Freunde. Eltern bleiben die Eltern. Quirin hatte Dinge in seinem Leben für wichtig erkannt, Werte, Ziele, die er gern vermitteln wollte. Und er war darauf vorbereitet, dass in wenigen Jahren, nach dem Einsetzen der Pubertät, Schwierigkeiten auftreten würden, Streit, Zerwürfnis.
»Ich habe nichts dagegen, Pirmin. Auch, wenn es das nicht braucht.«
»Warum?«
»Weil wir ab sofort zusammengehören. Oder glaubst du, dass ich wegrenne, wenn es schwierig wird?«
Er zwinkerte dem Jungen fröhlich zu.
»Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir beide das Schwierigste schon hinter uns haben, glaubst du nicht?«
Pirmin verstand. Er dachte kurz nach. Dann nickte er kräftig.
»Siehst du. Und da bin ich auch nicht weggerannt. Im Gegenteil.«
Der Junge sah den Pädiater strahlend an. Eben war ihm bewusst geworden, dass er sehr, sehr glücklich war.
*
Die Atmosphäre in der Notfallambulanz war, um es positiv zu formulieren, angespannt. Wann bloß, dachte Schwester Nasifa, kommt Frau Dr. Schattenhofer zurück? Die Stimmung hatte den Gefrierpunkt erreicht. Ludwig und Amandus bemühten sich krampfhaft um Höflichkeit. Timon sprach gelegentlich ein Machtwort, wenn die Lage gar zu prekär wurde.
»Wenn es nicht funktioniert, dass wir hier friedlich und engagiert zum Wohle der Patienten