»Entschuldigung! Ich wollte sie nicht erschrecken!«
»Passt schon, Herr Süden, passt schon. Wir haben hier nur gerade unser zweites Problem erörtert und gelöst!«
»Ihr Sohn?«
Gespannt sah Pirmin seinen Pflegevater an.
»Ja, mein Sohn«, entgegnete Dr. Bichler ruhig und bestimmt.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Frau haben! Ich dachte, Sie sind überwiegend mit der Klinik verheiratet!«
Die Herren lachten.
»Sind wir das nicht alle?«, fragte Emmerich.
»Da haben Sie recht, Herr Fahl«, antwortete Quirin. »Erstaunlicherweise jedoch bleibt auch immer noch Zeit für Privates. Schauen Sie sich um: Die Klinik stiftet die Partnerschaften! Wir sind doch alle vom Bau, oder? Es wird mal Zeit, dass ein Arzt sich eine Partnerin oder einen Partner sucht, der nicht mit Medizin zu tun hat!«
»Hatte ich ja! Meine Ex war Politikerin! Sie saß für ihre Partei in der Hamburgischen Bürgerschaft, jetzt im Bayrischen Landtag!«
»Welche Partei?«
»Die Grünen!«
»Das ist aber mal eine Abwechslung vom ewigen Klinikweiß!«, lachte Emmerich.
»Papa?«
Pirmin zupfte an Quirins Ärmel. »Ich hab Hunger!«
»Sollen wir schnell zum Irschenberg fahren und einige Hamburger vernichten?«
Der Junge nickte begeistert.
»Haben Sie Lust, mitzukommen, meine Herren?«
»Lust schon, aber … Ich habe zu Hause etwas vorbereitet. Emmerich wurde quasi heute entlassen und ist seit fast drei Wochen wieder zu Hause!«
»Schreck, lass los! Ich habe gar nicht gemerkt, dass Sie abwesend waren, Herr Fahl, bitte um Entschuldigung! Ab er in der Pädiatrie haben wir nicht so oft mit der Physiotherapie zu tun!«
»Aber ich bitte Sie, Herr Dr. Bichler! Dass ist doch wirklich keine Sache! Das mit den Hamburgern holen wir aber mal nach, ja? Ich habe schon Lust, mal wieder so etwas zu essen!«
»Dass Sie das zugeben!«
»Warum nicht? Wenn man auf Heuchelei verzichtete, wäre schon viel Elend aus der Welt geschafft, finden Sie nicht?«
Fröhlich verabschiedeten die Herren voneinander.
*
»Du hast etwas vorbereitet?«, erkundigte sich Emmerich neugierig.
»Was? Wie? Wer hat etwas verbreitet?«
»Du hast eben gesagt, dass du etwas vorbereitet hast!«
»Habe ich? Da hast du dich sicher verhört! Wann sollte ich denn etwas vorbereiten? Ich bin froh, dass ich es hinbekommen habe, dich abzuholen!«
»Ja, das ist wahr«, sinnierte Emmerich. »Das war auch wirklich schön, dich da stehen zu sehen. Du hast mich angesehen, als befürchtetest du, dass ich für immer im Kloster bleiben würde!«
»Das hätte doch sein können, Emmerich! Und, was noch schlimmer gewesen wäre: Es wäre meine Schuld gewesen. Ich habe dir nie gezeigt, was ich fühle. Ich habe immer vorausgesetzt, dass du das eigentlich wissen müsstest. Aber wer nicht zeigt, was er fühlt, läuft Gefahr, zu verlieren, was er liebt.«
*
Sie waren zu Hause angekommen. Die Dämmerung war hereingebrochen. Emmerich betätigte den Lichtschalter im Flur. Es blieb dunkel. Er drückte einige Male auf die Taste.
»Nanu? Was ist denn mit dem Licht?«
»Keine Ahnung! Heute morgen funktionierte noch alles! Ein Stromausfall, vielleicht? Probier doch mal im Wohnzimmer!«
Emmerich durchquerte den Flur und versuchte, das Deckenlicht einzuschalten.
Es flammte auf, und aus vielen Kehlen ertönte ein »Herzlich willkommen!«
»Ich weiß ja, dass du kein Fan von Überraschungsparties bist, Emmerich, aber irgendwie bot sich das an. Wir alle hier wollten dir zeigen, wie sehr wir dich vermisst haben, und wie sehr wir uns freuen, dass du wieder zurück bist!«
Verlegen stammelte der Heimkehrer etwas wie »Ihr spinnt ja total!«. Es war ihm peinlich. Für ihn gab es kaum etwas Unangenehmeres, als im Mittelpunkt und im Zentrum des allgemeinen Interesses zu stehen.
»Ich bin hier zwar auch nur als Gast und nicht in meiner Eigenschaft als Chefarzt«, betonte Egidius, »aber – wenn mir die Bemerkung gestattet ist: Es wird langsam Zeit, Herr Fahl, dass Sie uns wieder voranbringen, mit Ihrem Talent! Wir haben Sie vermisst. Natürlich auch menschlich. Besonders als Menschen. Aber Sie wissen, wie sehr ich Ihre Professionalität schätze! Also: Willkommen daheim!«
»Der Michael hat ein unglaubliches Catering hingelegt«, staunte Timon. »Schau dir das bloß mal an! Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen!«
Michael Barbrack stellte den Maxi-Cosi mit Leander neben den von Murat und Katrin mit Sinan Elias, der bereits neben Corinnas und Egidius’ Sophie Aufstellung genommen hatte.
»Das ist die nächste Generation«, freute sich Frau Fürstenrieder. Wenn von uns keiner mehr redet, werden diese Kinder den Ruhm der Klinik St. Bernhard fördern!«
»Wer hat eigentlich diese Dinger erfunden?«, fragte Amandus Pachmayr. »Ich meine, der hat doch ausgesorgt, für alle Zeiten, oder? Genial, wirklich!«
»Sie meinen den Maxi-Cosi? Ja, ich denke auch. Und nicht nur der Erfinder. Vermutlich auch die kommenden Generationen. Ich bin sicher, dass die weltweit vertrieben werden!«
Philipp und Chris stießen sich an.
»So ein Ding müssen wir auch noch besorgen! Obwohl wir ja vermutlich nur sekundäre Väter werden. Eigentlich ist es ja Hatices Kind!«
Amandus sah verständnislos von einem zum anderen.
»Hatice? Sie werden Väter? Ich dachte, Sie sind …«
»Sind wir, ja. Aber durch derlei Nebensächlichkeiten lassen wir uns nicht aufhalten, Herr Pachmayr«, behauptete Philipp.
»Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden«, deklamierte Chris.
»Meine Damen und Herren, das Büfett ist eröffnet!«
*
»Eine rundum gelungene Feier, oder?« In Timons Stimme klang ein stolzerfüllter Unterton mit.
»Eine rundum gelungene Feier!«, bestätigte Emmerich. »Aber weißt du, was ich so besonders mochte? Du hast mich erstmals so behandelt, als gehörte ich hierher. Nicht wie einen guten Freund, der mal drei Tage hier übernachtet, weil er auf seinem Weg von Augsburg nach Meran kurz am Schliersee Rast macht.«
»Weißt du auch, warum? Weil du hierher gehörst. Punkt.«
An Bord
»Maria, was redest du? Du gehörst zu mir. Punkt!«
Maria hatte der Mut verlassen. So eifrig, wie sie damit befasst war, beiden eine neue Garderobe zu beschaffen, so zurückhaltend, fast schüchtern, wurde Sie, als es ans Packen ging.
»Ich werde das fünfte Rad am Wagen sein, Tassilo. Du wirst abends mit deinen Kollegen an der Bar sitzen, und ihr werdet die Einstellungen und Scheinwerfer-Positionen für den Dreh am nächsten Tag besprechen, während ich einsam und allein der Kabine hocken werde!«
»Oder im Casino!«, zwinkerte Tassilo ihr zu.
»Im Leben nicht!«, versicherte Maria pathetisch.
»Wieso? Solange du gewinnst, ist doch alles gut!«
»Ohne dich trau’ ich mich da gar nicht hinein. Nein, Tassilo. Die vielen Menschen, die reichen, feinen Pinkel, was habe ich denen schon entgegenzusetzen?