Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Sonntag
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740972318
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auch nicht. Aber die Erfahrung habe ich gestern Nacht gemacht. Und in der kleinen medizinischen Fachbibliothek im zweiten Behandlungsraum gibt es einen Band ›Frauenheilkunde‹, in dem ich das gestern noch einmal minutiös nachlesen konnte!«

      »Es geht doch nichts über Fortbildung«, grinste Esfandar. »Sag mal, ich habe da so ein Brennen! Hast du zufällig eine Creme oder Salbe für mich?«

      »Nanu? Wo brennt es denn?«

      »Da … unten! An meinem besten Stück!«

      »Das Beste an dir, mein lieber Es­fandar, sind deine Lippen. Darf ich mal einen Blick drauf werfen?«

      »Muss das sein?«

      »Stell’ dich nicht so an! Ich habe damit schon wesentlich mehr angestellt, als es anzusehen!«

      »Aber nicht als Ärztin! – Na gut! Hier!«

      Er legte die entscheidende Stelle seines perfekten Körpers frei.

      Mit einem Watteträger rieb Dagmar ein Pröbchen ab, das sie auf ein Glasplättchen strich und mit einer Art Tinte betropfte.

      »Ist das nicht übertrieben?«, erkundigte er sich.

      »Candida africana«, staunte sie. »Nein, das ist es nicht! Normalerweise hätte ich dir Cotrimazol gegeben, das ist bei dieser Sorte leider wenig wirksam! Hier, Bifonazol! Gute Besserung! Ach ja, Verkehr nur mit Präservativ, okay?«

      Sie nickte ihm zu.

      »Alles klar, Chef!«, grinste er frech.

      *

      Lukas und Max waren bemüht, keine überflüssigen Geräusche zu verursachen. Sie redeten leise und bewegten sich langsam und vorsichtig. Beim Essen vermieden sie die typischen Geräusche, wie sie durch Besteck auf Porzellan verursacht wurden.

      Ein feines Lächeln umspielte Theres’ Lippen.

      »Meine Herren! Darf ich Sie beide darauf hinweisen, dass ich noch am Leben bin? Daran werden auch ein Lachen, ein Rufen oder ein Klappern nichts ändern! Tut mir bitte den Gefallen und behandelt mich nicht, als fiele ich in den nächsten Sekunden tot um!«

      Verlegenheit lastete auf den Schultern der Jungen.

      »Wir wollten dich nicht stören, Oma,« gestand Lukas endlich, und senkte den Kopf.

      »Ach, mein Lieblingsenkel! So etwas Dummes! Deswegen bin ich doch hier! Um mich stören zu lassen! Da hätte ich auch gleich in meiner Gruft in Rottach bleiben können! Mir bleibt ja nicht mehr so viel Zeit, wisst ihr?«

      »Aber du bist doch gar nicht so alt, Oma!«

      Theres sah ihn einen Moment streng an.

      »Also, unter den gegebenen Umständen werde ich dir für die Dauer meiner Gegenwart die ›Oma‹ durchgehen lassen. Eigentlich hatten wir uns ja auf ›Großmama‹ geeinigt, oder sehe ich das falsch? Nun, jedenfalls ist Krankheit und Tod ja nicht nur eine Frage des Alters, Lukas. Es gibt Erkrankungen, die bereits im Kindesalter auftreten, gegen die kein Kraut gewachsen ist!«

      »Ich will aber nicht, dass du …!«

      Lukas biss sich auf die Lippen.

      »Dass ich sterbe? Ach, Lukas, irgendwann sterben wir alle mal! Gönne mir doch meine Ruhe! Dein Vater ist genauso schlimm wie du! Aber bei ihm ist das eine Berufskrankheit!«

      »Warum?«, erkundigte Max sich neugierig.

      »Wenn man Arzt geworden ist – dazu noch ein genialer Arzt, zugegeben! –, dann plagen einen Allmachts­fantasien«, konstatierte die alte Dame.

      »Man glaubt, dem lieben Gott ein Schnippchen schlagen zu können. Man spürt die Verpflichtung, das, was man gelernt hat, anzuwenden. Jeder Operationstechnik, jede Therapie. Der Patient rückt dabei völlig in den Hintergrund. Der wird mit Spritzen, Infusionen und Tabletten behelligt. Aufgeschnitten und wieder zugenäht. Bestrahlt und an Maschinen angeschlossen.«

      »Warum auch nicht, Mama«, mischte sich Egidius ein. »Du hättest mit der Therapie eine reelle Chance auf eine Lebensverlängerung. Die Daten zeigen eine Überlebensrate von …«

      »Junge!«, fiel Theres ihm energisch ins Wort. »Du willst mich doch nicht damit beeindrucken, dass ich vielleicht 18 Monate länger auf dieser Welt weile? Für welchen Preis, wenn mir die Therapie davon 6 Monate zur Hölle macht?«

      »Aber in der Statistik gibt es auch Ausreißer nach oben! Wer kann das wissen!«

      »Und was ist mit den Ausreißern nach unten? Nebenbei, mein Sohn: Es ist wenig schmeichelhaft, von der Frucht seines Leibes als statistische Zahl betrachtet zu werden!«

      »Oma, bitte! Mach doch, was Papa sagt!«

      Theres sah in die flehenden Augen des blassen, dünnen Jungen, der sie so sehr an ihren eigenen Sohn erinnerte.

      »Es tut mir so leid, dir wehzutun, Lukas. Es tut mir leid, euch allen wehzutun. Aber versteht mich doch bitte auch! Ich habe ein schweres Leben gehabt, und ich möchte nicht zu Tode therapiert werden. Ich verlasse mich darauf, Egidius, dass du mir, sollte ich Schmerzen bekommen, helfen wirst. Mehr verlange ich nicht. Und wenn ich mich mit irgendetwas nützlich machen kann, Corinna, und wenn es Kartoffelnschälen ist, dann zögere nicht, mich zu fragen.«

      »Oma! Ich brauch’ dich doch!«

      Wie eine Explosion zerriss Lukas’ Schrei die Luft. Theres sah ihren Enkel erschrocken an.

      »Es ist dir wirklich ernst.«

      Das klang nicht wie eine Frage. Eher wie die sachliche Feststellung eines Umstands, mit dem nicht zu rechnen war.

      »Du weißt schon, Lukas, was das alles mit sich bringt, oder? Die Herauszögerung meines Abschieds wird verbunden sein mit lauter ärgerlichen und peinlichen Begleiterscheinungen, wobei meine drohende Unfähigkeit, feste Nahrung bei mir zu behalten, noch die Angenehmste sein dürfte. Als menschliches Wesen unterliege ich, wie alle, dem Stoffwechsel, dessen Produkte ich vielleicht nicht regelmäßig unter Kontrolle halten kann!«

      Trotz der schwierigen Situation musste Egidius lachen.

      »Dein Feingefühl sowie deine unbegrenzte rhetorische Fähigkeit, auch delikateste Situationen noch dezent zu beschreiben, machen dir alle Ehre.«

      »Ich hab das nicht verstanden«, murrte Lukas.

      »Deine Großmutter hat einen Hinweis darauf gegeben, dass sie eventuell dieselben Probleme mit den Produkten ihrer Ausscheidungen haben könnte wie deine kleine Schwester!«, erklärte sein Vater geduldig.

      »Ach so. Ja und? Das habe ich alles bei Schwester Stefanie gelernt, als ich meine Sozialstunden hatte! Du machst die Therapie, ja, Oma? Ich kümmere mich um dich!«

      Theres seufzte. »Dafür müsste ich in die Klinik zurück, oder, Egidius?«

      Ihr chefärztlicher Sohn strahlte.

      »Sogar vier Mal. Von Montag bis Freitag. Zwischendurch bist du 14 Tage zu Hause.«

      »Und meine Haare?«

      »Verschwinden. Komplett!«

      »Ich besorg’ dir so ‘ne Skifahrer-Mütze in deiner Lieblingsfarbe!«, schlug ihr Enkel eifrig vor.

      »Eine Ski-Maske wäre sinnvoller! Damit könnte ich dann später die hiesige Sparkasse überfallen! – Was ist mit den restlichen Nebenwirkungen?«

      »Die können wir mit wunderbaren neuartigen Medikamenten unterdrücken, mach dir keine Sorgen, Mama.«

      »Ich müsste verrückt sein, um dieser Tortur zuzustimmen«, stellte Theres nüchtern fest. »Und wenn ich es nicht aushalte?«

      »Dann verlängern wir die Pause. Aber du wirst es schon aushalten! Andere schaffen es doch auch!«

      »Vollkommen übergeschnappt!«, murmelte Theres wie zu sich selbst. »Vollkommen übergeschnappt! – Nun gut. Ich verspreche, dass ich wohlwollend darüber nachdenke. Ich verspreche