Von der übersprudelnden Kreativität des Songwriters profitieren einige Kollegen, John Lennon gibt mehrfach seine Kompositionen weg. Meistens passen die Stücke gerade nicht in sein aktuelles Konzept und stattdessen umso besser in das von Freunden. Das vielsagende »I’m The Greatest« beispielsweise überlässt er Ringo Starr für dessen bis heute bestverkauftes Album »Ringo« von 1973. Er nimmt wie »Rock And Roll People« auch diesen Song auf, und es gibt eine gute Studio-Fassung davon, aber sie dient nur dazu, Kumpel Ringo die Richtung zu zeigen, der »I’m The Greatest« dann auch hervorragend umsetzt. Auf »Ringo« sind die Beatles virtuell wiedervereinigt, nebst John singen und musizieren auch Paul und George in verschiedenen Liedern, und alle vier steuern Kompositionen bei. »I’m The Greatest« fällt die Ehre des Eröffnungsliedes zu: Als ich ein kleiner Junge war, damals in Liverpool, sagte mir meine Mutter, ich sei großartig. Als ich dann ein Teenager war, war mir klar, dass ich etwas draufhatte, alle meine Freunde sagten, ich sei großartig. Und jetzt bin ich ein Mann. Eine Frau nahm mich bei der Hand. Und du weißt, was sie mir sagte – ich sei großartig. Ich war in der größten Show der Welt. Nur so nebenbei. Jetzt bin ich erst 32 und alles, was ich will, ist boogaloo. Ich schaute in den Spiegel, sah meine Frau und die Kinder. Und du weißt, was sie mir sagten – ich sei großartig. Ja, mein Name ist Billy Shears … Ich bin der Größte, das kannst du mir glauben, Baby.
Sein erstes Geschenk dieser Art macht John Lennon 1960 dem Sänger Johnny Gentle, den die Beatals als »The Silver Beetles« bei ihrer ersten und nur zwei Wochen dauernden Tournee durch Nordengland begleiten. Die Reise verläuft chaotisch, unter schlechtesten Bedingungen und mit minimaler Publikumsresonanz. Manche Konzerte werden abgesagt. Die Absteigen sind so schäbig, dass die Musiker öfter lieber im Tourbus übernachten, der dann am Ende noch in einen Unfall verwickelt wird. Zum Glück wird niemand ernsthaft verletzt, aber es grenzt an ein Wunder, dass sich die Beatals nach dieser traumatischen Erfahrung immer wieder auf schlecht organisierte Touren begeben.
Johnny Gentle arbeitet während dieser Konzertreise an einem eigenen Song im Buddy-Holly-Stil. Lennon hört ihn hinter der Bühne proben und kritisiert den Mittelteil. Er bietet ihm dafür die eigenen Verse: We know that we’ll get by. Just wait and see. Just like the songs tell us, the best things in life are free. Dieser Text passt fabelhaft und erscheint kurz danach in mehreren Interpretationen von »I’ve Just Fallen«, noch bevor John Lennon seinen ersten eigenen Song professionell aufnimmt.
Beim folgenreichsten Geschenk dieser Art ist Lennon erst 23 Jahre alt, hat aber bereits drei Nr.-1-Hits in den englischen Charts, ist also schon ein britischer Superstar und möchte einer noch unbekannten Band unter die Arme greifen, die bislang erst eine erfolglose Single, eine Chuck-Berry-Cover-Version von »Come On« veröffentlicht hat.
Während jedes London-Aufenthalts und auch noch als die frischgebackenen Fab Four bereits ihr Domizil dort aufgeschlagen haben, besuchen sie meist gemeinsam und mit weiteren Freunden Konzerte junger Bands. Die Rolling Stones sehen sie zum ersten Mal 1963 im Crawdaddy Club. Lennon ist fasziniert von der Ausstrahlung der Band, von Brian Jones’ musikalischem Können und Mick Jaggers instrumentenfreier Frontman-Aura. Auch Paul und die anderen sind überzeugt von den Qualitäten der Rolling Stones, freunden sich mit ihnen an und überlassen schließlich Mick Jagger und Keith Richards den Song »I Wanna Be Your Man«, der zum ersten Top-Ten-Erfolg der späteren großen Rivalen wird. Mick und Keith kopieren bald die Lennon-McCartney-Methode und komponieren immer mehr eigene Songs im Duo.
Nach außen hin versammeln die Beatles und die Stones vor allem in Europa verschiedene Fangemeinden um sich, die sich manchmal gegenseitig verachten. Das Phänomen »entweder Beatles oder Stones« existiert jedoch in England und in den USA nur in abgeschwächter From. Man darf dort Fan beider Bands sein. Kein anderer hat das Thema gründlicher untersucht als der Historiker John McMillian in seinem sehr lesenswerten Buch »Beatles vs. Stones – Die Rock-Rivalen« (2014). John Lennon hält bis zuletzt Kontakt vor allem zu Mick und Bianca Jagger, tritt mehrfach gemeinsam mit ihnen in der Öffentlichkeit auf, und es gibt auch gemeinsame Aufnahmen. Herausragend ist der Auftritt John Lennons im »Rock and Roll Circus« 1968, als er nach einem Dialog mit Mick Jagger gemeinsam mit Eric Clapton, Keith Richards und Mitch Mitchell den »Yer Blues« singt. Lennon nennt die Gruppierung in Anspielung auf Fleetwood Mac »The Dirty Mac«, eine Band, die nur für diesen einen Gig existiert. »Rock And Roll People« wäre der ideale Song für den »Rock and Roll Circus« und »The Dirty Mac« gewesen, aber er komponiert den Song erst fünf Jahre später.
Für das Album »Mind Games« ist »Rock And Roll People« zu hart, die Stimmung in Lennons letzten Teenagerjahren und in seinen beginnenden Twenties trifft das Stück jedoch genau. Wie später nach dem Beatles-Bruch seine Aktionen in unheimlichem Tempo aufeinanderfolgen, so dass vieles intuitiv und unreflektiert geschieht, so stürzt sich John Lennon beim Wechsel von der Menlove Avenue ins Zentrum von Liverpool in viel Alkohol, Sex und Rock’n’Roll. Nach den ersten Skiffle-Versuchen, nach geschwänzten Schulstunden, um mit Paul zu komponieren, zu schreiben und Scherze zu treiben, beginnt das große Abenteuer seines Lebens, des Erwachsen- und Berühmtwerdens. Dabei weist er alle Vorsichtsmaßnahmen zurück. Ein Dozent der Kunstakademie, an der er sich im September 1957 einschreibt, stellt fest, man habe bei diesem Studenten vergessen, eine Bremse einzubauen. John Lennon gibt Vollgas und rast in hohem Tempo weiter bis 1975. Er riskiert dabei mehrfach seinen guten Ruf und vollkommenes Scheitern. Aber was ihn nicht umhaut, macht ihn stärker. Und exakt das passiert von 1957 bis 1967: Er wird selbstbewusster, erfahrener und geschickter. Seine ihm innewohnende Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit setzt er ein, um selbst voranzukommen, ohne jeweils genau zu wissen, wie und wohin. Als Motto und Leitplanke dient ein kleiner Dialog zwischen den Jungs aus Liverpool auf dem harten Weg zu den späteren Fab Four, aber auch danach auf dem Gipfel des Erfolgs, wenn sich die Sorge vor dem Rückfall in die Bedeutungslosigkeit breitmacht, der viele vor ihnen und viele nach ihnen ereilt. John fragt, und die anderen drei erwidern im Chor:
»Wo wollen wir hin, Leute?«
»An die Spitze, Johnny!«
»Und wohin genau, Jungs?«
»An die Spitze der Spitze der Popmusik!«
»Genau!«
Der Dialog stammt aus dem Hollywood-Musical »The Band Wagon« von 1953, mit Fred Astaire: »Where are you going, fellas? To the top, Johnny! And where’s that? To the toppermost of the poppermost, Johnny!«
Noch als Solokünstler plagen ihn vor allem in der Entstehungsphase der Songs Zweifel, ob sie gut genug sind. Mit der Wahl des Produzenten für »Double Fantasy« lässt sich Lennon viel Zeit. Er bittet schließlich Jack Douglas, seine Stimme mit viel Hall aufzunehmen, aus Sorge, ohne Verfremdung nach fünfjähriger Showbusiness-Abstinenz nicht zu überzeugen. Ängste und Schüchternheit begleiten ihn bei aller Gewissheit, genial zu sein, immer auch im Studio, ausgerechnet wenn es ums Singen geht. Aber dann sucht er sich einen meist autosuggestiven Weg, die Zweifel zu überwinden. Mit den Beatles thematisiert er sie (»I’m A Loser«, »Help!«), später werden sie von der neu gewonnenen Lebensfreude verdrängt (no longer riding on the merry-go-round). Doch woher kommt dieser große