Sehnsucht. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711472903
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es eilig war, beschloß Lajos, eine kurze Strecke mit der Post zu fahren, um die gefährdete Strecke zu umgehen und den Zug bei X. aufs neue zu besteigen. Wie seine Pläne durchkreuzt wurden, hatte Ebba erlebt.

      »Und nun«, schloß der Graf, »werde ich zu deinem Vater gehen und ihm und deiner Mutter meine Verhältnisse klarlegen. Ich habe zwar keine feste Anstellung, aber immerhin als Künstler sehr hohe Einnahmen, und da gute Schulreiter sehr gesucht sind, so bin ich auch nie ohne Engagement. Ich werde um deine Hand anhalten, meine Ebba, und hoffe zuversichtlich, daß du mir als mein zärtlich geliebtes Weib in die bunte, fröhliche, so unbeschreiblich schöne Welt folgen darfst.«

      Das junge Mädchen legte die Arme voll banger Sorge um ihn. »Erhoff nicht zuviel! Mein Vater liebt die Zirkusreiter nicht, er ist in der Stadt vom Pfarrer Wallerthür durch freche Hänseleien, daß er dich so lange beherbergt, aufs äußerste gereizt. Ich fürchte, du wirbst vergeblich, Geliebter!«

      »Ebba! Das wäre unser Tod!« fuhr er mit zorngeschwellter Ader leidenschaftlich auf.

      Sie drückt sich fester in seinen Arm und blickt ihn wunderlich, mit flimmerndem Blick an. »Er trennt uns nicht, Lajos! Ich folge dir, wohin du mich führen willst!«

      Ein halb erstickter Jubelschrei von den Lippen des Grafen. »Ebba, schwörst du es?«

      Ja, sie schwört es ihm. Sie verrät ihm auch, daß die Mutter von ihrem Entschluß weiß und ihn billigt, daß sie helfen wird, den Vater zu versöhnen, wenn er sieht, wie stark und groß die Liebe seines Kindes ist.

      Welch ein seliges Flüstern, Beraten, Herzen und Küssen! Alles wird zur Flucht vorbereitet, und Ebba breitet mit fieberndem Blick die Arme nach der sinkenden Sonne aus und murmelt: »Ich folge dir, goldenes Licht! Die Zeit ist gekommen, in der die Liebe an mein Gefängnis klopft und die Ketten sprengt.«

      Graf von Giöreczy hielt bei Klaus Raßmussen um die Hand seiner Tochter an und wurde mit ingrimmigem Lächeln höflich, aber sehr energisch abgewiesen.

      Die Lichter verlöschten im Heidehaus. Frau Friederike lag mit zitternden Gliedern im Bett und rang die Hände im Gebet. Da huschte es leise in ihr Zimmer. Es waren Ebba und Lajos.

      Noch einmal Herz an Herz. Friederike begreift es, daß ihr Kind nicht anders handeln kann. Sie muß weinen und möchte doch jauchzen, daß ihr Liebling ein solch traumhaftes Glück gefunden hat.

      Um zwei Uhr nachts geht die Post am Haus vorüber, um drei Uhr führt der Schnellzug die Liebenden nach Hamburg, von da nach England zur Trauung.

      Lebt wohl! Lebt wohl!

      Die Schritte verklingen, leise wird die Haustür geschlossen. Wie ein Seufzer der Sehnsucht weht der kühle Seewind über den blühenden Flieder.

      Drittes Kapitel

      Es war eine schlimme Zeit im Heidehaus gewesen.

      Als Klaus Raßmussen die Flucht seiner Tochter entdeckte, tobte er wie ein wildes Tier und schlug die sehnigen Fäuste gegen die Stirn, als wollte er sich selbst zermalmen. Dann wurde er still, finster und verschlossen. Von einer Verfolgung der Liebenden nahm er Abstand.

      Wozu? Wenn sein einziges Kind mit einem Schnurranten davonlief, heimlich bei Nacht und Nebel das Vaterhaus verließ, so war es nicht wert, daß es Elternliebe gewaltsam vom Abgrund zurückriß. Ebba hatte gewählt, und die Eltern fügten sich in den undankbaren Willen ihres Kindes. Frau Friederike versuchte zu trösten und zu besänftigen, aber umsonst.

      Zum erstenmal im Leben stieß Klaus Raßmussen die bittend erhobenen Hände seines Weibes mit gerunzelter Stirn zurück.

      »Nenn den Namen der Pflichtvergessenen nicht zum zweitenmal, sonst gibt es ein Unglück!« donnerte er.

      Da waltete tiefes, bleiernes Schweigen.

      Einmal schritt Klaus Raßmussen die Chaussee entlang, als ihm der Postbote begegnete und mit wunderlichem Blick einen Brief aus England darbot.

      Er sah nicht, daß die Hand, die danach griff, zusammenzuckte, er sah nur das steinerne Gesicht des Gutsbesitzers, um dessen eckige Stirn der Wind die ersten grauen Haarsträhnen wehte.

      Er nickte stumm und schritt weiter dahin, wo das Röhricht über sumpfiger Wiese knistert.

      Ein Brief von seinem Kind. Aus England. Dort ist sie vielleicht das Weib des ungarischen Kunstreiters geworden, vielleicht auch nur seine Dirne, deren er jetzt schon überdrüssig geworden ist und im Elend hat sitzen lassen.

      Vielleicht rechnet er auch noch mit dem deutschen Narren, dem erbärmlichen Michel, den ein paar rührende Worte wie Butter schmelzen lassen. Er soll verzeihend die Arme öffnen, und der ehrlose Mädchenräuber und die pflichtvergessene Tochter kehren freundlich zurück, die Hände nach dem väterlichen Erbe auszustrecken.

      Was wollen sie weiter? Sein Geld!

      Klaus Raßmussen beißt wie in wildem Schmerz die Zähne zusammen, und ohne den Brief zu öffnen, zerreißt er ihn in zahllose Stücke, sticht mit dem Krückstock ein tiefes Loch in den Sumpf und vergräbt die Kunde vom Kunstreiterliebchen.

      Frau Friederike erfuhr es nie, daß ihr Kind geschrieben hatte.

      Die Zeit schleppte sich träge dahin; das Heidehaus gähnte mit seinen dunklen Fenstern dem Wanderer entgegen wie ein offenes Grab.

      Klaus Raßmussen arbeitete rastlos von früh bis spät, und Friederike saß blaß und krank am Fenster, schaute mit weher Sehnsucht dem Postboten entgegen und trocknete die heimlichen Tränen.

      Aber dennoch glänzte etwas in ihrem Auge, eine stille Genugtuung, daß ihr Kind von einem Grafen entführt war und besser an ihrer schwärmerischen Liebe zugrunde ging, als daß sie ein solches Glück nie kennengelernt hätte.

      Und wieder brausten die Frühlingsstürme über das flache Land.

      Da hielt eines Abends die Post vor dem einsamen Gutshaus, eine weibliche Gestalt in Diakonissentracht stieg aus. Sie trug ein wohlverhülltes Bündel im Arm und klopfte an der Tür des Klaus Raßmussen. Der war nicht daheim, und sein Weib war krank und sah niemand.

      Da legte die barmherzige Schwester das Bündel in Antjes Arm und gab ihr einen Brief.

      »Ich habe keine Zeit, ich muß zu einer Sterbenden weiter. Hier, gib Kind und Brief an die Großeltern ab, es ist der letzte Gruß der armen Ebba, die vor drei Wochen bei uns im Spital gestorben ist. Der Knabe ist ihr Kind.«

      Antje wollte vor Schreck und Staunen aufschreien, aber sie starrte nur, an allen Gliedern zitternd, auf die Fremde, die nach der Post zurückschritt, einstieg und weiterfuhr.

      Da regte es sich in dem Bündel, eine kräftige kleine Stimme hub an zu schreien.

      Das brachte die Magd zu sich.

      Ganz verstört stürzte sie zu Frau Friederike, hielt ihr Kind und Brief entgegen und keuchte: »’s ist der Ebba ihres ... und die Ebba ist tot!«

      Wie war die schwache, kranke Frau so stark!

      Sie nahm den Brief und öffnete ihn.

      Ein Geburtsschein fiel ihr entgegen, der des Kindes.

      »Hubert Graf von Giöreczy.«

      Und dann ein paar mit Bleistift gekritzelte Zeilen ihrer Einzigen:

      »Mutter! Vater! Ihr habt nie geantwortet auf meinen Brief, ob ihr vergeben habt. Gott gebe es. Ich rufe zum letztenmal Eure Liebe und Barmherzigkeit an und schicke Euch unser Kind. Ich war über alle Begriffe glücklich als Lajos’ eheliches Weib. Es ging uns gut, solange er verdiente. Da verunglückte er bei einem Hürdensprung und brach den Rücken. Ich bekam von der Direktion das Reisegeld in die Heimat. Hier in H. konnte ich nicht weiter, ich schenkte einem Knaben das Leben und weiß, daß ich selber sterben werde. Die Diakonissin will das Kind zu Euch bringen, wenn ich wieder mit dem Lieb vereinigt bin. Nehmt es auf und habt es lieb, um Gottes Barmherzigkeit willen. Ich bitte noch einmal um Verzeihung für meinen Gatten und mich; wir hatten uns so lieb, und die Liebe war stärker als mein Gehorsam. Dennoch vergaß ich Euch nicht.