Nataly von Eschstruth
Sehnsucht
Saga
Sehnsucht
German
© 1917 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711472903
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Erstes Kapitel
Frühlingssehnsucht auf der Heide.
Weit hinten im Westen, hinter dem schmalen, violett gefärbten Waldstreifen, sank die Sonne wie ein blutroter Feuerball, dessen Flammengarben Himmel und Erde in ein Meer von Licht und Herrlichkeit tauchten.
Das flache nordische Land lag todesstill und einsam.
Auf den Marschen weideten die Viehherden, Heidelerchen stiegen mit leisem Abendlied zu dem lichten Firmament empor, bis sie als kleine, dunkle Punkte in Purpur und goldigem Gelb verschwanden.
Ganz fern von einem Bauernhof herüber bellte ein Hund, dem der bissige Dobermann vom Gutshof bald zornige Antwort gab.
Dann war es wieder still. Nur die letzten Bienen summten noch geschäftig an dem jungen Mädchen vorüber, das unter den knospenden Zweigen der wilden Rose und des Schlehdorns am Grashang der Heide saß und mit tiefernstem Antlitz in das Abendgold starrte, das immer roter und roter, wie ein heißes, süßes, zauberhaftes und unbegreifliches Rätsel fern in einer anderen Wunderwelt, erglühte.
Es war Ebba, die einzige Tochter des wortkargen Klaus Raßmussen, des hellblonden Riesen und seiner zarten, kränklichen Hausfrau Friederike, die weltfern und ganz zurückgezogen auf dem Gut wohnten und außer dem Postboten, Arzt und Hausierer nie einem fremden Menschen die Tür des Heidehauses öffneten.
Klaus Raßmussen hatte sich durch ein mühsames und arbeitsreiches Leben bis zum Besitzer des schönen Gutes emporgerungen, das der Traum und Inhalt seines Lebens war.
Als er, noch blutjung, als Volontär auf einem Rittergut im Holsteinischen lernte, verliebte er sich in die bildhübsche junge Erzieherin der kleinen Komtessen, und Friederike Galzau erwiderte seine Gefühle, schwur ihm Treue und gelobte zu warten, bis er sich seßhaft gemacht hatte.
Dies geschah nicht allzu schnell. Aber Klaus Raßmussen war zäh und treu und fest wie das Holz der Esche, die die Zweige ehemals über sein Vaterhaus gebreitet hatte. Als er das kleine Gut am Rand der Heide erworben hatte, holte er seine Friederike heim, obwohl die Lehrerin nicht mehr allzu jung und an einer Stadtschule über die Maßen elend und nervös geworden war.
Dennoch ging es als Hausfrau besser, als man dachte.
Sie erholte sich sogar in den ersten drei Jahren sichtlich, bis im vierten ein flachshaariges Töchterlein geboren wurde.
Hatte es an richtiger Pflege und Fürsorge gemangelt, oder fehlte dem zarten Körper nur der Anstoß, um in sich zusammenzubrechen, Frau Friederike kränkelte seit der Taufe des Kindes, und obwohl ihr Mann alles zu ihrer Genesung tat, sie blieb eine zarte, stets leidende Frau, die nur noch vom Lehnstuhl aus ihr Haus befehligen konnte.
Was ihr eigentlich fehlte?
Der Doktor hob die Schultern.
Er hatte gesehen, wie Frau Friederike am Fenster saß und mit den schönen, schwermütigen Augen voll weher Sehnsucht in die Ferne starrte, wo die große, bunte, interessante Welt mit all ihren Freuden und Anregungen flutete.
Er schüttelte seufzend den Kopf.
Stadtdämchen gehören nicht in die Einsamkeit der Heide, dachte er; und wer so viel geistige Interessen hat wie eine Lehrerin, die krankt nicht am Körper, sondern am Geist, den die Sehnsucht nach einem verträumten Glück nicht losläßt.
Er schlug eine Reise vor.
Aber Klaus Raßmussen haßte solches Larifari und konnte außerdem nicht von der Ernte weg.
Da verschrieb der Arzt viele und gute Bücher für die einsame Frau.
Und derweil der Gatte in den schweren Kniestiefeln tagein, tagaus über seine Schollen stampfte und einen Acker nach dem andern zu dem sich immer großartiger entwickelnden Gut kaufte, saß Frau Friederike im Lehnstuhl am Fenster und las, las, las, bis die schwermütigen Augen rote Ränder bekamen und an den Wimpern die Tränen glänzten.
Ebba wuchs anfänglich mehr im Sinn des derben, realistischen Vaters auf, frei, frisch, von früh bis spät unter Gottes freiem Himmel.
Da gedieh das blonde Friesenkind wie die wilde Rose, die rings die Hänge des Heidelandes umwucherte.
Das blonde Haar lockte sich um ein reizendes Gesicht, das die frischen Farben, den roten, schwellenden Mund und die stumpfe kleine Nase vom Vater geerbt hatte, aber dabei aus denselben tiefblau sinnenden und träumerischen Augen der Mutter schaute.
Frau Friederike bestand darauf, ihr Kind selber zu unterrichten; und von dem Augenblick an, an dem Ebba mit Schiefertafel und Griffel zu Füßen der Mutter saß, änderte sich ihr Wesen.
War sie zuvor die ständige Begleiterin des Vaters durch Felder und Wiesen gewesen, so wurde sie von nun an plötzlich die unzertrennliche Gefährtin der Mutter; und je größer sie wuchs, desto inniger schloß sie sich der einsamen Frau an, desto glücklicher leuchtete es in Friederikes Augen auf und desto wortkarger und rauher schritt Klaus Raßmussen durch Wind und Regen, Sonnenbrand und Winterkälte über sein weltentrücktes Besitztum. Mit gefurchter Stirn dachte er an das widerwillig dreinschauende Gesicht seiner Einzigsten, wenn er sie von irgendeinem der lyrischen Schmöker wegholte, daß sie mal im Milchkeller und in der Vorratskammer nach dem Rechten sähe.
Sie tat es gewissenhaft und wußte gut Bescheid in Haus und Hof, aber sie war nicht mit Leib und Seele Gutsfrau. Sie hatte das unglückselige Erbe der Mutter angetreten, stunden- und nächtelang über Romanen und Gedichtbüchern zu sitzen, sich den Kopf mit überspannten Zukunftsbildern zu füllen und sich in der Sehnsucht nach einem unerreichbaren Glücksideal selber unglücklich zu machen.
Ach, wie haßte Klaus Raßmussen die Bücher, die ihm Weib und Tochter stahlen, das Heidehaus verwaisten und nichts anderes unter sein Dach trugen als die Unzufriedenheit.
Wenn es Abend wurde, schritt Ebba hinaus an den Hekkenrosenrain und starrte mit träumerischen Augen hinaus in das Purpurglühen am Himmel, in die wabernde Lohe, hinter der ein ihr so fremdes Götterkind in tiefem Schlaf lag – die Liebe.
Wird sie die Süße, Heißersehnte je mit Augen schauen?
Wird sie je die bunte, lachende und lustige Welt kennenlernen, von der die Mutter mit verschleiertem Blick erzählt wie von einem verlorenen Paradies?
Ach, wie leidenschaftlich regte sich die Sehnsucht in Ebbas Herzen, die Freuden solch eines Wunderlebens zu genießen, zu lachen, zu tanzen und zu schauen, in eines Mannes Armen zu liegen und zu lieben und sich lieben zu lassen wie die Heldinnen in den Romanbüchern, die für die Liebe lebten oder starben, ohne dieselbe aber verschmachteten wie Blumen, über die keine Sonne scheint.
Der junge Walter Stur vom nächsten Gutshof war wohl ihr Freier, aber er hatte nichts gemein mit all den interessanten Helden ihrer Bücher, die alle so hinreißend in ihrer Eigenart waren und durch Schönheit, Geist und Romantik fesselten. Ach, wie kläglich nahm sich der ungeschickte Walter dagegen aus, der ja im Grunde doch nur ein Bauer war so wie der Vater, dem jeder Sinn für hohe Ideale, für Kunst und Rittertum abging. Der Pfarrer vom Heidedorf, der vor Jahresfrist Witwer