Ebba stürmt fiebernd vor Aufregung voran und reißt die Tür zu einem der Parterrezimmer auf.
»Gleich hier herein! Dies ist die sonnigste Stube und bequem für alle zur Pflege.«
Frau Friederike ist bis zur Tür geschlichen und blickt mit großen, forschenden Augen auf den Verletzten.
Sie ruft ihm ein freundliches Wort zu und reicht ihm die Hand. Beinah erschrocken über das Unerwartete, will sie dieselbe zurückziehen, als der Fremde ihre Finger mit halbgeschlossenen Augen ebenso respektvoll wie galant an die Lippen zieht. Sie wechselt einen schnellen Blick mit ihrer Tochter, und das junge Mädchen macht eine kaum merkliche Bewegung mit dem Kopf, als wollte es sagen: »O Mutter, ganz so wie in unsern Büchern!«
»Feuer im Ofen machen! Das andere Bett richten!« befiehlt Klaus Raßmussen lakonisch, sich an die Mägde wendend, und dann mit kurzer Handbewegung gegen die Männer: »Faßt noch einmal hier an, daß wir ihn bequem unterbringen! Bis der Doktor kommt, kann’s lang dauern, und bis sie ihn in das Stadtlazarett schaffen, erst recht. So! Na, mein Herr, wie wärs mit einem Kognak oder mit einem Glas Rotwein? So ein Abenteuer nimmt die Nerven mit. Ebba! Er nickt zum Wein. Gib ein Glas Bordeaux her!«
Nach wenigen Minuten neigt sich die Genannte über den Verletzten, das Glas mit dem rotleuchtenden Wein in der Hand.
Sie muß den Arm unter den Kopf des Fremden schieben und ihm den Trunk an die Lippen halten, denn seine Hand, die er hebt, ist verschwollen und zeigt einen blutigen Striemen, wo sie das Rad anscheinend auch gestreift hat.
Er trinkt, und dann blickt er seiner Samariterin mit einem unbeschreiblichen Blick in die Augen und flüstert: »Ich sage dir tausend Dank, du guter Engel.«
Ebba zittert dermaßen vor Aufregung und Entzücken, daß sie kaum das Glas halten kann, und die süße Verwirrung, die ihr Antlitz widerspiegelt, scheint dem Fremden nicht zu entgehen. Trotz aller Schmerzen lächelt er abermals.
»Das Bett ist bezogen. Soll es angewärmt werden?« fragt Antje und wischt die blauroten Hände eifrig an der Küchenschürze ab.
»Nix warm! Liebe es kalt«, flüstert der Unbekannte mit einem tiefen Seufzer, und Klaus Raßmussens rauhe Stimme dröhnt durch das große, luftige Eckzimmer: »Na, dann marsch hinaus, ihr Weibsleute! Wir wollen den Herrn betten, so gut es geht. Wenn ich nachher rufe, dann bringt Licht! Und du, Ebba, sorg für eine kräftige Fleischsuppe! Sowie der Jochen mit dem Ochsengespann im Stall ist, soll er den Braunen satteln und zum Doktor reiten, es sei dringend! Der Herr sei überfahren!«
»Wird besorgt!« nickte Antje, während Ebba und Fieken hastig, ihr voran, hinter der Tür verschwinden.
Frau Friederike steht noch harrend auf der Schwelle des Wohnzimmers.
Ebba wartet, bis die Mägde verschwunden sind, dann wirft sie sich voll jäher, bebender Aufregung an die Brust der Mutter.
»Wie ist er so schön, so schön!« stößt sie halb erstickt vor Erregung hervor.
»Ja, sehr schön! So schwarze, blitzende Augen und so fein und vornehm! Anscheinend ein Ausländer. Hat er einen Ring am Finger? Ist er wohl ein Ehemann?«
Daran hatte das blonde Friesenkind noch gar nicht gedacht. Sie schrickt zusammen.
»Ich werde gleich sehen, sowie ich wieder hineindarf«, murmelt sie, und das erst so glühende Gesicht erbleicht.
»Es ist wie in einem Roman«, flüstert Frau Friederike mit verklärtem Blick und tätschelt liebkosend das helle Lockenhaar ihrer Einzigen.
»Ja, Mutter!Ach, wie lang haben wir darauf gewartet!«
»Sorg dich um eine gute Fleischbrühe für ihn! Paßt ja schön, daß das Kalb geschlachtet ist. Wenn er Hunger hat, brat ein Schnitzel, und spar die Eier nicht in der Suppe!«
Ebba hört kaum noch die letzten Worte. Mit fiebernden Pulsen eilt sie in die Küche und wirft geschäftig dürres Reisig in die Glut. Wie das emporprasselt und Funken sprüht!
Ebba starrt mit weit offenen Augen ins Feuer und lächelt. »Wie lang habe ich auf dich gewartet, du heißes, flammendes Liebesglück! Nun endlich bist du gekommen und leuchtest mir aus zwei dunklen Augen entgegen!«
Zweites Kapitel
Als Klaus Raßmussens Tochter die köstlich duftende Suppe für den Kranken hereintrug, hatte man seinen Koffer und die lederne Handtasche, die er in der Postkutsche mit sich geführt hatte, ins Zimmer gebracht, und der Gutsherr probierte den Sicherheitsschlüssel, den ihm der Fremde aus dem Portemonnaie gereicht hatte, um die Tasche zu öffnen.
Der erste Blick Ebbas galt den schlanken, vornehmen Händen ihres Gastes.
Ein tiefes Aufatmen hob ihre Brust. Gottlob, er trug keinen Ring am Finger, der Roman brauchte nicht als Drama zu enden.
»So, hier ists offen! Soll ich Ihnen etwas reichen, mein Herr?«
Der Reisende richtete sich ein wenig im Bett empor. »Das Portefeuille, bitte! Oh, ich danke verbindlich! Ich möchte nicht versäumen, mich Ihnen vorzustellen, damit Sie wissen, wen Sie so freundlich unter Ihre Obhut genommen haben. Ich bin ein Graf von Giöreczy, komme aus Ungarn, wo ich Unterleutnant im Regiment der Honved gewesen bin. Hier meine Karte, gnädiges Fräulein, ich küsse die Hand. Sprechen Sie Französisch? Ich bin in Frankreich erzogen, da meine Mutter dort starb und mich zurückließ.«
Ebba hatte sich gerade über den Sprecher geneigt, um die Suppentasse zum Trunk bereitzuhalten; bei den Worten »ich bin ein Graf von Giöreczy« zuckte sie aber derart zusammen, daß das Porzellan der Tassen leicht klirrte.
Alles Blut stieg ihr zu Kopf, sie fühlte, wie sie erglühte, und dunkle Schatten flirrten ihr vor den Augen.
Kaum daß sie vermochte, den Kopf des Kranken zu stützen.
»Ah, ein Ungar und in Frankreich groß geworden?« Das klang etwas gedehnt von Klaus Raßmussens Lippen. »Da haben Sie wohl gar den Krieg anno siebzig mitgemacht?«
Der junge Offizier sah ihn überrascht, beinah etwas betroffen an, dann nickte er. »Ich war sehr jung, verheißener Kriegsruhm reizte mich. Man packte mich in Uniform, ehe ich selber recht wußte, was es heißen will, eine solche Feuerprobe zu bestehen.«
Der Friese schob den Ärmel an seiner Düffeljoppe empor. »Da, sehen Sie noch den Säbelhieb? Ein Andenken an Epinal!«
»Ich beglückwünsche Sie zu diesem Zeichen des Heldenmuts«, lächelte der Graf sehr verbindlich. »Sie haben mit diesem Arm den Lorbeer gepflückt, ich griff nur vergeblich danach!«
»Und Sie kommen nach Deutschland herüber?« fuhr der Gutsherr, sich leicht räuspernd, fort, ein wenig unsicher und unbeholfen der gewandten Art des jungen Kavaliers gegenüber.
Er hatte die Franzosen seit dem Feldzug gehaßt und nie ein Hehl daraus gemacht. Auch jetzt hätte er gern ein grimmiges Wort hervorgestoßen, daß er zwei Brüder und einen Vetter vor Metz auf dem Feld der Ehre geopfert hatte, aber er war doch wieder zu gebildet und zu gutmütig, einen Kranken, den der Zufall ihm ins Haus getragen hatte, zu beleidigen.
»Ja, ich kam nach Deutschland, weil mir Land und Leute hier sehr sympathisch sind«, versicherte der Reiteroffizier abermals mit verbindlichstem Ausdruck, und sein Blick traf dabei Ebba, als wollte er stumm hinzufügen: »Vor allen Dingen die deutschen Damen.«
»So, das freut mich«, nickte Klaus Raßmussen besänftigt und drehte die Visitenkarte zwischen den derben, schwieligen Händen. »Ich denke, der Doktor kommt gleich. Bis dahin lassen Sie den kalten Umschlag auf dem Bein liegen. Ich verstehe mich noch vom Lazarett darauf. Das verhindert die Geschwulst. Nach einer kleinen Weile komme ich wieder und mache ihn frisch. Können Sie allein die Tasse halten? Geht schlecht? Na, dann halt sie ihm an die Lippen, Ebba, und machs hübsch geschickt, der Herr leidet Schmerzen!«
Er stampfte zur Tür, wandte sich auf der Schwelle noch einmal um und sagte: »Mit dem Gepäck stimmt es doch? Oder fehlt etwa noch ein Stück? Hat sich alles kunterbunt