»Sie sind so gut«, lächelte der Graf von Giöreczy ihr zu, »ich möchte Ihnen auch sagen, daß Sie sehr schön sind, aber ich denke, das wissen die Damen ganz von allein.«
Beinah erschrocken blickten ihn die großen, veilchenblauen Augen an, und als sie dem sprühenden Blick des jungen Offiziers begegneten, senkten sich die Wimpern tief herab.
»Leiden Sie Schmerzen?« stieß sie kurz hervor, um doch etwas zu sagen.
Er lächelte und beobachtete als Kenner ihre holde Verlegenheit.
»Ja, meine Gnädige, das Bein schmerzt, aber ich bin hart und Derartiges gewöhnt.«
»Ob es wohl gebrochen ist?« fuhr sie fort und wußte selber nicht, was sie eigentlich sprach.
»Ich hoffe es!«
»Sie hoffen es?«
Da huschte wieder das seltsame Lächeln über sein schönes Gesicht.
»Gewiß! In diesem Fall kann ich nicht so schnell in die Stadt gebracht werden und darf mich noch länger an dem Anblick der reizendsten aller Samariterinnen erfreuen.«
Sie wollte die Schale heben, setzte sie aber jäh wieder nieder.
Er sah, wie ihre rundliche kleine Hand bebte.
»Würde es Ihnen eine große Last sein?« fuhr er leise fort.
Sie schüttelte beinahe heftig den Kopf. »Gewiß nicht! Es ist ja so einsam hier ... und ich ... ich ...« Sie wandte sich kurz ab, lief zum Ofen und warf noch ein Stück Holz in die flackernde Glut.
Sein Blick folgte ihr; voll ehrlichen Entzückens umfaßte er ihre kraftvoll schlanke, so biegsam junge Gestalt, wie sie ihm in gleicher Frische und von gleich edlem Wuchs weder in Frankreich noch in Ungarn begegnet war.
Auch das sehr blonde Haar war ihm neu und übte einen besonderen Reiz aus. Und das Antlitz in seiner rosigen Anmut schien ihm wie eine fremde Blüte, die selten, fast nie in der schwülen Atmosphäre der Großstadt erblüht.
»Wie heißen Sie?« fragt er plötzlich.
Sie wendet sich um und lächelt.
»Ebba Raßmussen!«
»Ebba!«
Mit welch weichem Klang er alles ausspricht. Seine Stimme klingt in den Ohren des Friesenkindes, das nur eine harte und rauhe Sprache gewöhnt ist, wie Musik.
Sie muß ihm den Namen buchstabieren.
»Wie schön und eigenartig er ist«, sagt er und wiederholt noch einmal mit ganz besonderem Ausdruck: »Ebba!«
Und nach einer kurzen Pause, während der er voll Interesse beobachtet, wie sie die vollen Arme hebt und die weißen Gardinen vor das Fenster zieht, ruft er: »Fräulein Ebba! Mich dürstet!«
Sie eilt herzu und reicht ihm die Suppe. Er aber trinkt nicht, sondern hält ihre Hand fest und drückt sie an die Lippen. Das ist zu ungewohnt und zuviel.
Das blonde Mädchen schrickt empor und flieht wie ein scheues Reh aus dem Zimmer. –
Auf dem Nähtischchen, vor Frau Friederike, liegt die Visitenkarte des jungen Ungarn.
»Lajos, Komte de Giöreczy.«
Mutter und Tochter berauschen sich geradezu an dem Wohlklang solch eines Namens.
Sie haben verschiedene Bücher gelesen, in denen elegante, vornehme und galante Ausländer die Hauptrolle spielten, und nun wird die Erinnerung an diese Romanhelden bei Mutter und Tochter wieder wach, nimmt Form und Gestalt an und verkörpert sich in dem Grafen, der, schon jetzt zum Ideal verklärt, die Phantasie erfüllt, als wirke eine Narkose.
Ebba verschränkt die bebenden Hände und drückt sie gegen die Brust, um zu überlegen, ob sie noch einmal das Zimmer des Gastes betreten und nach eventuellen Wünschen fragen soll, als das scharfe Rasseln eines kleinen Einspänners vor dem Haus erklingt. Der Doktor!
Klaus Raßmussen scheint ihn erwartet zu haben.
Man hört seine schweren Schritte auf den Steinfliesen des Flurs, dann wird die Tür aufgeklinkt, und die Stimme des Gutsbesitzers tönt vor dem Fenster.
»Gut, daß Sie schon da sind, Doktor! Drinnen liegt ein ungarischer Offizier, dem ist die Postkutsche über das Bein gegangen. Heda! Andres! Stell den Gaul unter!«
Der Arzt antwortete etwas Unverständliches; beide Männer traten ins Haus und begaben sich ins Krankenzimmer.
Ebba zitterte wie Espenlaub.
»Nun werden sie ihm sehr weh tun!«
»Frag an der Tür, ob sie Hilfe brauchen.«
»Handtücher, Wasser, Seife – alles liegt bereit! Für heißes Wasser sorgt Antje.«
Ebba schleicht angstvoll davon, sie sieht so blaß aus wie die weißgescheuerten Dielen, über die sie schreitet. Nach wenigen Augenblicken kehrt sie zurück.
»Sie brauchen mich nicht, aber wenn Vater ruft, soll ich noch mehr Rotwein bringen.«
»Wohl zur Stärkung für den Grafen«, nickte Frau Friederike, und dann sitzen Mutter und Tochter eng aneinandergeschmiegt im Dämmerlicht und starren auf die Schatten, die tiefer und tiefer ins Zimmer dringen.
Draußen braust der Frühlingssturm über die Heide. Er kommt wieder von der Nordsee herüber, frisch und scharf, und die jungen Knospen am Gesträuch erschauern unter seinem kalten Atem.
»Horch, schreit der Verletzte nicht auf?«
Nein, das Hoftor kreischt in den Angeln, und die Zweige des Flieders schlagen gegen die Fensterscheiben. Sonst ist alles still.
»Wie schrecklich ist solch ein Warten! Ob er wohl sehr leiden muß? Ob das Bein gebrochen ist?«
Endlich, endlich öffnet sich die Stubentür.
»Ebba!«
Das junge Mädchen schnellt empor, wie vom Alpdruck befreit, greift hastig nach dem Tablett mit Flasche und Gläsern und eilt ins Krankenzimmer.
Ihr erster angstvoller Blick gilt dem jungen Offizier.
Er liegt still und etwas bleich und erschöpft in den Kissen, aber sein Blick leuchtet ihr entgegen, und um seine Lippen huscht dasselbe Lächeln, das dem blonden Mädchen alles Blut zum Herzen jagt.
Der Doktor trocknet sich gerade die Hände ab, er hat den stummen Gruß der beiden jungen Leute bemerkt und spitzt die Lippen unter dem borstigen graumelierten Bart, wie einer, der sich mit schlauem Augenzwinkern eins pfeifen möchte.
»Na, Ebbachen! Können Ihrem Pflegebefohlenen gratulieren! Ganz hübscher glatter Bruch ohne alle Komplikation, nicht mal kleine Splitter oder nennenswerte Quetschung. Hat Glück gehabt, der junge Herr! Wärs über den Leib gegangen, säh es vielleicht faul aus! Na, und die Hand ist nur aufgerissen und verschwollen, die wollen wir schon bald wieder in Ordnung haben!«
»Aber mit dem Bein dauert es wohl lang, Herr Doktor?« fragt Ebba, nachdem sie dem Kranken heiß erglühend zugenickt hat, und es scheint dem alten Arzt, als klänge die Stimme mehr wie eine heimliche Bitte als wie eine Frage.
Er ist nicht umsonst ein urfideles, bemoostes Haupt auf der Würzburger Universität gewesen.
Er hob bedenklich die Schultern.
»Solche Sachen wollen Zeit haben, mein liebes Ebbachen.«
Klaus Raßmussen reckte sich etwas strammer in die Höhe; er hatte das Gefühl, als ob die Narbe, die ihm anno siebzig der französische Säbel geschlagen hatte, anfing zu brennen.
»Sie schicken wohl morgen die Ambulanz, Doktor, daß sie den Herrn in das städtische Krankenhaus holt?« fragte er.
Der Doktor hatte Ebba die Hand gereicht.