Ich stehe vor dem Spiegel im Bad und betrachte mich. Meine Augen sind rot vom Weinen und ich würde am liebsten den Spiegel zerschlagen. Wie oft hat meine Mutter so ausgesehen? Rote Augen, zerzauste Haare. Alles wegen meines Vaters. Und nun sehe ich genauso aus wegen eines Typen, der es nicht wert ist. Tränen steigen wieder in mir hoch. Wie konnte ich mich nur so irren? Ich dachte, er sei es wert. Ich dachte, er würde sich ändern. Für mich. Ein ersticktes Schluchzen steigt meine Kehle hoch. Genau, für mich. Gott, ich bin so erbärmlich. Ich starre auf mein trauriges Spiegelbild, während mir die Tränen über die Wangen rollen. Dabei weiß ich genau, ich habe nicht mal ein Recht darauf, so zu reagieren. Danny ist mir keine Rechenschaft schuldig, er kann vögeln, wen immer er will. Und doch tut es so scheußlich weh.
Wenn ich wenigstens mit jemandem reden könnte, aber da ist niemand. Mit Jake möchte ich darüber wirklich nicht sprechen, denn ich kann mir lebhaft ausmalen, was er dazu zu sagen hätte. Und auf „Ich hab´s dir ja gleich gesagt“-Sprüche kann ich verzichten. Jessica? Ich weiß nicht, so gut kennen wir uns noch nicht.
Ich starre mich an. Dieses armselige Mädchen, das gedacht hat, der tollste Typ am College würde sich ernsthaft für sie interessieren.
„Du dumme, dumme Kuh“, flüstere ich, bevor ich mich abwende und mich in mein Bett verkrieche.
Dort bleibe ich, bis es an meiner Tür klopft. Ich ziehe die Decke höher und reagiere nicht. Es klopft erneut.
„Summer? Mach auf, ich weiß, dass du da bist.“
Danny. Der soll sich bloß verpissen. Ich beiße die Zähne zusammen und zerknülle das Papiertaschentuch in meinen Händen. Doch Danny wäre natürlich nicht Danny, wenn er einfach so aufgeben würde.
„Na los, mach schon. Ich gehe nicht eher, bis du aufmachst.“
Fein, dann viel Spaß.
„Ich könnte auch die Tür eintreten.“
Ich kneife die Augen zusammen. Spinnt der? Ich traue ihm ja so einiges zu, aber das?
„Lass den Scheiß, ich bin krank“, rufe ich vorsichtshalber, denn bei ihm kann man nie wissen.
„Blödsinn. Mach auf jetzt.“
„Nein. Hau ab.“
„Okay, dann warte ich eben, bis du rauskommst. Irgendwann musst du die Bude ja mal verlassen.“
Ich höre ein leises Geräusch, offenbar macht Danny es sich auf der anderen Seite meiner Tür bequem. Das darf doch nicht wahr sein. Alle werden ihn dort sitzen sehen und sich fragen, was bei uns los ist. Idiot.
Der macht mich schon wieder irre. Ich hasse dich, Daniele Moreno! Ich springe aus dem Bett und stürze zur Tür. Reiße sie auf und funkele ihn wütend an.
„Was soll das? Ich hab dir gesagt, ich bin krank.“
Er sieht mich an, erhebt sich mit einer geschmeidigen Bewegung, und ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihn weiter böse anfunkeln zu können.
„Du bist nicht krank, du willst mal wieder weglaufen. Aber so funktioniert das nicht, Sommerröschen.“
Damit schiebt er mich zur Seite und betritt mein Zimmer. Wütend knalle ich die Tür hinter ihm zu und drehe mich zu ihm um.
„Wovor sollte ich weglaufen? Vor dir? Überschätzt du dich da nicht ein bisschen, Moreno?“
Er zieht die Augenbrauen hoch.
„Moreno? Seit wann sind wir so förmlich?“
„Seit … seit gar nichts. Was willst du? Ich bin müde.“
Er mustert mich und der Ausdruck in seinen Augen macht mich ganz verrückt. Sein Blick ist weich, besorgt, ein bisschen traurig. Ich schlucke. Ich will mich nicht von diesen Augen einlullen lassen. Diesmal nicht.
„Was ist los, Summer? Bitte rede mit mir, okay?“
Ach, jetzt kommt er mir so. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, und zu meinem Ärger merke ich, wie mir die Tränen kommen.
„Worüber willst du denn reden?“
Ich wende mich ab und wische mir wütend über die Augen.
„Jetzt komm schon, verarsch mich nicht. Spuck´s einfach aus, so schwer ist das nicht.“
Doch, ist es. Du hast ja keine Ahnung, du Idiot. Er steht viel zu dicht hinter mir. Sein beschissen hinreißender Duft umfängt mich, und ich merke, dass ich gleich die Beherrschung verliere. Ich erstarre, als Danny von hinten sachte seine Arme um mich legt und in mein Ohr murmelt: „Hm, was ist los? Ich bin hier, sag es einfach.“
Für Sekunden bin ich versucht, mich an ihn zu lehnen und mich von ihm halten zu lassen. Vielleicht übertreibe ich ja? Vielleicht war alles ein Missverständnis? Fast hätte ich laut gelacht. Ja klar, ein Missverständnis. Ich sehe ihn wieder vor mir, auf dem Bett mit diesem Mädchen. Und es tut noch genauso weh wie an diesem Abend. Hastig befreie ich mich aus seinem Griff und zische: „Lass das.“
Ich drehe mich zu ihm um und starre ihm ins Gesicht. Er ist so verflucht schön.
„Wie war deine Prüfung?“
Meine Stimme zittert.
„Lenk nicht ab. Ich will wissen, was los ist. Komm schon.“
Er sieht verletzt und wütend aus. Und ich merke, wie ich auch wütend werde.
„Wusstest du, dass sie den Vergewaltiger geschnappt haben?“
Danny sieht mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.
„Am Mittwoch haben sie ihn verhaftet. Und weißt du, ich wollte es Jessica erzählen, gleich an dem Abend, damit sie keine Angst mehr haben muss. Ich habe versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, aber sie ist nicht rangegangen.“
Er sieht mich aufmerksam an, und ich merke, wie sehr alles an mir zittert.
„Also bin ich zu ihr hochgegangen. Sie wohnt ja auch hier im Wohnheim, einen Stock höher.“
Bilde ich es mir ein, oder wird er blass? Seine Augen sehen dunkler aus als sonst.
„Jedenfalls bin ich da über den Flur gelaufen, und ich wusste nicht mehr genau, wo Jessicas Zimmer ist. Du weißt ja, ich und mein mieser Orientierungssinn. Und da stand eine Tür offen. Nur so einen Spaltbreit, aber … “
Ich kann plötzlich nicht mehr weiterreden. Meine Stimme versagt, und ich kann die Tränen nicht stoppen, die aus meinen Augen schießen wie ein kleiner Strom.
Danny starrt mich an mit diesen dunklen Schokoladenaugen, die einfach nur wunderschön sind. Er schüttelt abwehrend den Kopf, sieht fassungslos und geschockt aus.
„Ich … Scheiße.“
Er lässt sich auf mein Bett fallen und vergräbt für Sekunden den Kopf in den Händen.
„Du hast uns gesehen?“
Seine Stimme klingt tonlos.
„Ja.“
Er streicht sich mit beiden Händen durch die Haare und sieht mich wieder an.
„Summer, ich … das tut mir so leid, ehrlich. Das wollte ich nicht.“
Oh ja, das glaube ich dir.
„Schon gut. Du musst mir nichts erklären. Geht mich nichts an.“
Er steht auf und tritt auf mich zu.
„Hör zu, ich weiß, wie bescheuert das jetzt klingt, aber … ich wollte das nicht, wirklich. Ich war einfach so durcheinander wegen uns und …“
Er