Das Mädchen von gestern Abend kommt um die Ecke und dieses Mal erkenne ich sie sofort.
„Hey, warte mal. Jessica, richtig?“
Sie nickt und ich sage: „Du bist doch Summers Freundin, sag mal, weißt du, wo sie steckt? Sie geht nicht ans Handy und hier ist sie auch nicht.“
Jessica sieht mich merkwürdig an.
„Sie ist krank. Hat mich gebeten, sie zu entschuldigen. Aber ich weiß nicht, was sie hat.“
Bilde ich es mir ein oder klingt ihre Stimme vorwurfsvoll? In meinem Magen regt sich ein ungutes Gefühl.
„Okay, danke. Dann weiß ich Bescheid.“
Sie nickt und verschwindet im Saal. Ich stehe noch einen Moment unschlüssig da, dann mache ich mich auf den Weg zu meiner eigenen Vorlesung. Dabei tippe ich eine Nachricht an Summer, wünsche ihr gute Besserung und bitte sie, sich bei mir zu melden. Ich betrachte stirnrunzelnd das Handy in meiner Hand. Schließlich schüttele ich den Kopf. Ich werde allmählich paranoid. Nur weil Summer nicht sofort springt, wenn ich mich bei ihr melde, muss das noch lange nichts heißen. Wenn sie krank ist, wird sie sicher schlafen. Ich beschließe, später bei ihr vorbeizuschauen.
Doch am Nachmittag stehe ich vergebens vor ihrer Tür, nichts regt sich und niemand öffnet. Die Zimmertür ist abgeschlossen, was sonst nie der Fall ist. Das gibt’s ja nicht. Allmählich komme ich mir ein klein wenig blöd vor. Warum redet sie nicht mit mir? Das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkt sich, aber noch schaffe ich es, dies zu ignorieren. Frustriert verlasse ich das Wohnheim und widme mich auf meiner Bude meinen Unterlagen. Ich öffne Summers Mail mit dem Artikel, den sie mir geschickt hat. Im Betreff steht: Für meinen kleinen Streber. Hau rein, du wirst die Prüfung rocken.
Ich starre auf diesen Satz und fühle mich plötzlich beschissen elend. Was, wenn Summer mich nicht mehr sehen will? Wenn sie das mit Sue und mir mitgekriegt hat? Und in diesem Moment, als ich auf ihre Mail schaue, wird mir klar, was ich vielleicht verloren habe. Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein. Ich kann sie nicht verlieren, bevor überhaupt alles begonnen hat. Und das nur, weil ich so bescheuert war und meinen Schwanz nicht in der Hose lassen konnte.
Ich greife nach meinem Handy und tippe eine Nachricht an Summer: Ich mach mir Sorgen, bitte melde dich!
Ich warte die ganze Nacht auf eine Antwort, doch mein Handy bleibt still.
Am nächsten Morgen warte ich angespannt vor ihrem Wohnheim. Ich will sie sehen - und wenn ich hier Wurzeln schlagen muss. Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit dafür, denn in einer Stunde schreibe ich eine verdammt wichtige Prüfung. Doch ich muss wenigstens versuchen, mit ihr zu reden. Und tatsächlich, sie kommt. Für einen Moment bin ich einfach nur erleichtert und froh, dass sie okay ist.
„Hey.“
Ich trete auf sie zu und forsche in ihrem Gesicht. Sie sieht blass aus, wirkt unglücklich. Der Druck in meinem Magen wird schlagartig stärker.
„Hey.“
Ihre Stimme klingt abweisend und sie weicht meinem Blick aus.
„Warum hast du mir nicht zurückgeschrieben? Ich hab mir Sorgen gemacht. Bist du okay?“
Sie geht an mir vorbei und ich hefte mich an ihre Fersen.
„Mir ging´s nicht gut, sorry“, murmelt sie.
„Was hast du denn? Hast du wieder geträumt?“
„Nein. Ich bin erkältet.“
Sie lügt. So offensichtlich. Ich betrachte sie. Sie kommt mir so klein vor. War sie immer schon so zart? Sie trägt eine dunkelblaue Jacke, hat den Gürtel eng zusammengeschnürt, als ob sie Angst hätte, sonst auseinanderzufallen. Ihre Hände hat sie in den Taschen vergraben, alles an ihr wirkt abwehrend und strahlt Distanz aus. Es verletzt mich mehr, als ich mir hätte vorstellen können.
„Danke für den Artikel, ich habe ihn mir angeschaut, er ist klasse. Dass ich den noch nicht selber gefunden habe. Er hilft mir echt weiter.“
Ich weiß selbst nicht, warum ich so tue, als ob ich nicht merken würde, dass etwas nicht stimmt, aber etwas in mir hofft immer noch, dass alles okay ist. Dass sie einfach nur müde ist.
Sie antwortet nicht, nickt nur.
„Summer, jetzt warte doch mal.“
Ich fasse nach ihrem Arm, doch sie zieht ihn sofort weg.
„Was denn? Ich hab´s eilig.“
Ich starre sie an.
„Was ist los mit dir? Bist du sauer auf mich?“
„Nein, wieso?“
Sie läuft weiter und ich atme tief durch.
„Wieso? Weil du nicht mit mir redest. Du antwortest nicht auf meine Nachrichten, gehst nicht ans Handy, wenn ich dich anrufe. Und du öffnest mir nicht die Tür. Also, da komme ich schon ein klein wenig auf die Idee, dass etwas nicht stimmen könnte.“
Ich packe sie wieder am Arm.
„Jetzt bleib stehen. Rede mit mir.“
Ihre Augen blicken starr an mir vorbei, doch ich sehe, wie verletzt sie ist.
„Bitte“, sage ich weich und sie schluckt.
„Da gibt’s nichts zu reden. Und jetzt lass mich.“
Sie will weitergehen, doch ich halte sie weiter am Ärmel fest.
„Hab ich irgendwas getan, weswegen du böse auf mich bist? Dich verletzt oder gekränkt?“
Ja, Arschloch, hast du. Scheiße Mann, sie kann es nicht wissen.
„Nein, alles okay.“
Sie ist so stur wie ein Maulesel. Mit einem Ruck zieht sie ihren Arm aus meinem Griff und ich lasse sie los. Ich will hier keine Szene machen, nicht, wo jeder zuschauen kann. Summer sieht aus, als ob sie kurz davor wäre, in Tränen auszubrechen.
„Ich muss weiter. Wenn du nichts zu tun hast, dann fein. Aber andere Leute sind hier, um zu studieren.“
Damit dreht sie sich um und dampft ab. Ich starre ihr frustriert hinterher. Mir ist klar, dass das hier im Moment keinen Sinn hat. Ich muss sie allein erwischen. Aber so einfach kommst du mir nicht davon, Sommerröschen. Wir zwei sind noch lange nicht fertig miteinander. Ich mag so manches sein, aber feige bin ich nicht. Ja, ich habe Scheiße gebaut und du kannst mir diese Scheiße ins Gesicht reiben und mir den Arsch dafür aufreißen. Aber aufgeben werde ich dich trotzdem nicht.
Zu meiner Überraschung bleibt sie ein paar Meter weiter stehen und dreht sich zu mir um.
„Du schreibst heute deine Prüfung, stimmt´s?“
Ich nicke.
„Dann viel Glück“, sagt sie leise, und es tut mir mehr weh, als wenn sie schreien und mich beschimpfen würde. Sie wünscht mir tatsächlich noch Glück, obwohl sie ganz offensichtlich wegen etwas zutiefst gekränkt ist?
„Danke“, murmele ich und eine unsinnige Hoffnung erfasst mich. Vielleicht ist ja doch alles ganz harmlos. Vielleicht hat sie andere Probleme, die gar nichts mit mir zu tun haben. Ich wende mich ab und laufe los, um rechtzeitig zu meiner Prüfung zu kommen. Bestimmt klärt sich alles auf. Ganz sicher sogar.
28
SUMMER
Ich habe keine Ahnung, wie ich den Tag überstanden habe, aber irgendwie habe ich es geschafft. Ich musste die ganze Zeit an Danny denken. Ihn heute Morgen zu sehen, war schlimm. In dem Moment, als er da vor mir aufgetaucht ist, wollte ich ihn einfach nur zurückhaben. Noch nie habe ich einen Menschen so vermisst wie ihn. Nicht auf seine Nachrichten und Anrufe