„Klar“, murmelt er, völlig in seine Kaffeetasse versunken. Es gelingt ihm fast die ganze Tasse in einem Zug auszutrinken, obwohl ich ihm noch keine Milch oder Zucker angeboten habe.
Evie schlüpft aus der Küche. Ich schenke mir selbst eine Tasse Kaffee ein. Gerade als ich den Duft dankbar einatme, erhebt sich Jameson und stellt seine Tasse ins Waschbecken.
„Ich sollte gehen“, sagt er. „Danke für… du weißt schon.“
„Ich halte mich für deine Retterin“, erwidere ich neckend. „Ohne mich, würdest du jetzt mit aaaallen möglichen körperlichen Schmerzen aufwachen.“
Einer von Jamesons Mundwinkeln hebt sich. „Wenn du doch nur etwas wegen Asher unternehmen könntest.“
„Das ist zu viel verlangt, sogar von mir.“ Ich scherze, aber nur teilweise.
Er schüttelte den Kopf und blickt zu Boden. Grüblerisch, wie immer. Er sieht so verdammt gut aus, dass es wirklich anstrengend ist, ihn zu beobachten.
„Ich sehe dich dann später“, verabschiedet er sich. Und dann ist er fort und findet selbst den Weg aus meinem Apartment.
Ich nippe an meinem Kaffee, der ein wenig in meinem Mund brennt. Der bittere Geschmack veranlasst mich dazu, das Gesicht zu verziehen, und ich stelle meinen Kaffee auf die Arbeitsplatte. Ich ziehe gerade eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank, als Evie zurückkommt.
Sie hat ihr petrolfarbenes Kleid ausgezogen, aber ihre Haare sehen immer noch wie ein Vogelnest aus. Ich werfe ihr einen Blick zu.
„Hast du deine Meinung wegen des Kaffees geändert?“, frage ich.
„Nope“, antwortet sie kopfschüttelnd. „Ich hab ihn gehen gehört. Jetzt will ich die Details! Was zur Hölle ist passiert?“
Ich war vielleicht ein paar Mal, seit wir zusammen wohnen, betrunken und habe ihr meine Liebe für Jameson gestanden.
„Mit Jameson?“, frage ich. Ich seufze dramatisch. „Nichts. Er war betrunken. Er konnte nicht nach Hause gehen. Ich habe ihn davor bewahrt, eine Nacht auf einer der Bänke in der Bar zu schlafen, das ist alles.“
Sie zieht ihre Brauen hoch, ein Bild purer Ungläubigkeit. An der Miene koketter Skepsis erkenne ich, dass sie in eine reiche Familie geboren wurde. Meine Mutter und ihre Freundinnen haben dieses Gesicht früher die ganze Zeit gemacht.
„Das ist alles?“, hakt Evie nach.
„Das ist alles“, bestätige ich. Ich halte meine rechte Hand hoch, wobei ich zwei Finger nach oben halte. „Pfadfinderehrenwort.“
„Mmmhmm.“ Sie sieht alles andere als überzeugt aus. Evie öffnet den Kühlschrank und zieht eine Packung Babykarotten heraus.
„Soll ich überhaupt fragen, wo du warst?“
Sie errötet. „Ich? Ich war eigentlich nirgendwo.“
„Das ist aber nicht das, was mir deine Sex-Haare im Moment erzählen“, erwidere ich und deute auf die Haare, die sie erfolglos nach oben zu stecken versucht hat.
Evie knabbert an einer Karotte. „Ich verweigere die Aussage. Wie auch immer, ich muss pennen. Ich brauche unbedingt Schlaf.“
„Mmhmmm“, sage ich zu ihrem Rücken. Sie winkt mit ihrer Karotte durch die Luft, während sie aus der Küche verschwindet.
Ich schaue auf meinem Handy nach der Uhrzeit und trinke dann eilig meinen Kaffee. Ich muss bald zu einer Verfassungsrecht-Lerngruppe.
Ich eile zur Jurabücherei zehn Blöcke von meiner Wohnung entfernt, aber muss feststellen, dass es mir unmöglich ist, mich zu konzentrieren. Ich gebe, ehrlich gesagt, dem Stoff die Schuld dafür.
Warum soll ich lernen, was John Locke über das Gesetz gesagt hat, wenn ich mich doch auf viel spannendere Dinge konzentrieren könnte? Wie beispielsweise Jamesons nackte Vorderseite gestern Abend in meinem Schlafzimmer.
Ich mag zwar nicht gerade viel über Penisse wissen, aber seiner war… definitiv faszinierend, um es mal vorsichtig auszudrücken. Lang und dick, aber auch zart rosa.
Wie mit dem Mann selbst würde ich nicht einmal wissen, was ich damit tun sollte, sollte ich ihn jemals in die Finger kriegen. Das hält mich aber nicht davon ab, Tagträumen darüber nachzuhängen, nicht wahr?
Der Tag vergeht auf diese Weise recht schnell und ehe ich mich versehe, ist es schon Nachmittag. Als ich schließlich mit dem nicht-richtigen-Lernen in der Jurabücherei fertig bin, packe ich meine Bücher wieder ein und gehe zum Cure.
Ich komme dort an, als Jameson gerade die Türen aufschließt. Er sieht so umwerfend aus wie eh und je in seinem dunkelblauen Shirt mit V-Ausschnitt, einem Paar dunkler Jeans und seinen schwarzen Converse. Er hat auch einen schwarzen Rucksack auf dem Rücken, was mich innehalten lässt. Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals mit einem gesehen habe, seit wir Kinder waren.
Obwohl ich ihn buchstäblich erst vor Stunden gesehen habe, sabbere ich ein bisschen und mein Puls schnellt in die Höhe. Er dreht sich um und entdeckt mich, als er mit der Schulter die Tür aufstößt.
„Hey“, grüßt er. Ich erschaudere und laufe rot an, als ich seine Augen auf meiner Brust, meinen nackten Beinen spüre. „Lange nicht gesehen.“
„Ha“, sage ich. Ich wünschte, mir würde noch etwas anderes einfallen, aber das tut es nicht.
Zu meiner Überraschung hält er mir die Tür auf. Ich trete hinein in die dunkle Bar und an ihm vorbei.
„Hilfst du mir bitte, die Jalousien hochzuziehen?“
Jameson ist jetzt ganz geschäftig, sein Kopf stellt offenbar gerade eine Liste an Dingen zusammen, die erledigt werden müssen. Ich bin per se keine Eigentümerin, aber als Ashers Schwester bekomme ich Getränke und Essen im Austausch für gelegentliche Hilfe umsonst.
Ich stelle meine schwere Tasche auf die Bar und mache mich dann daran, die Jalousien hochzuziehen und das Nachmittagslicht hereinzulassen. Jameson verschwindet nach hinten, vermutlich um Geld zu zählen oder so was. Als ich fertig bin, gehe ich zu dem iPad, das sie als Kasse benutzen, und lasse Sade über die Stereoanlage spielen.
Als die aufreizende Musik durch die Bar zu schweben beginnt, lasse ich mich vor der Bar auf einen Hocker sinken. Jamesons Rucksack liegt genau dort und ist leicht geöffnet. Auf meine Lippe beißend schaue ich hoch und vergewissere mich, dass er nicht gleich zurückkommt.
Dann hake ich einen Finger in den aufstehenden Reißverschluss und werfe einen Blick hinein. Oben auf allem liegt ein Buch. Das letzte Buch, das ich jemals in Jamesons Rucksack zu finden erwartet hätte, um ehrlich zu sein.
Es ist ein GED-Mathebuch. Ich schiebe es mit einem Finger zur Seite und entdeckte, dass er auch Bücher über Naturwissenschaften und Gemeinschaftskunde mit sich herumschleppt.
Ich weiß, dass Jameson die Schule jung abgebrochen hat. Als seine Oma starb, ist er in der neunten Klasse abgegangen, um Arbeiten zu gehen und sich um seine jüngeren Brüder zu kümmern. Mir war nicht bewusst, dass es ihn stört, keinen Abschluss zu haben, oder dass er für den GED lernt, dem Diplom für die allgemeine Hochschulreife.
„Hey, hast du –“
Ich schaue auf, erschrocken und schuldbewusst, als Jameson aus dem Hinterzimmer kommt. Ich reiße meine Hand zurück, aber es ist zu spät, um jetzt plötzlich einen auf heimlich zu machen. Er sieht, was ich mir anschaue, und wird leicht rot.
Oh mein Gott, das könnte sehr gut das erste Mal sein, dass ich ihn erröten sehe. Ich wusste bis jetzt nicht einmal, dass es überhaupt etwas gibt, das ihm peinlich ist. Er ist immer so selbstsicher und selbstbewusst.
Manchmal sogar geradezu arrogant. Herauszufinden, dass meine Wahrnehmung von ihm verzerrt ist… ist ein Schock.