Grosse Schwester Schimmel. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711509463
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hier in den Läden nicht.

      Und so mußten sie für den Einkauf doch nach Warenburg fahren. Warum nicht? Zeit hatten sie, und ein Bär wäre eben doch sehr schön für Johannes. In Warenburg würden überhaupt alle Einkäufe besser zu machen sein.

      In der Kreisstadt stellten sie das Rad auf dem Marktplatz ein und begannen einen großen Stadtbummel. Schimmel lud zunächst einmal Brita zu einem Eis für zehn Pfennig ein. Dann besorgten sie den Bären, der war ja das Wichtigste, und sie bekamen einen puschligen, braunen mit dem verschmitztesten Bärengesicht der Welt.

      „Wenn wir aber Johannes etwas mitbringen, müssen auch Plisch und Plum was haben“, sagte Schimmel, „Plisch wünscht sich eine Laubsäge. Ob das sehr teuer ist?“

      Eine Laubsäge war durchaus erschwinglich, wenigstens eine ohne Zubehör, aber Schimmel nahm eine, die mit Bohrern, Sägeblättchen, Zange und allem sonstigen Zubehör großartig auf eine Pappe geheftet war, aber freilich mehr kostete.

      Plum? Plum sollte Kamm und Spiegel haben, weil sie immer umherlief wie ein Indianer. Vielleicht lernte sie dadurch auf sich achten. Sie fanden ein schönes rotes Etui. Eigentlich war es ja zu schön für Plum, aber einmal würde ja auch aus ihr ein richtiges Mädel werden.

      Wozu eigentlich jetzt alle die Geschenke? Es war doch gar kein Geburtstag fällig. Ach, Schenken machte ja solche Freude!

      „Mutter muß auch was bekommen“, bestimmte Schimmel. „Vielleicht ein Notizbuch mit Bleistift? Damit sie sich immer aufschreiben kann, was nötig ist. Und Großvater bekommt einen Drehbleistift. Er hat keinen, das weiß ich.“

      Sie kauften einen silbernen. Er war sehr teuer, aber man bekam sofort den Namen unentgeltlich hineingraviert. Und Neuchen? „Weißt du, es ist besser, Neuchen bekommt das Etui mit Kamm und Spiegel, für Plum ist das doch noch nichts“, sagte Schimmel nachdenklich. „Plum schenken wir eine Sparbüchse“. Sie hatte eine entdeckt, die ganz lustig war. Man konnte Zehnpfennigstücke hineinwerfen, und vorn zeigte eine Uhr an, wieviele darin waren.

      „Aber Uli muß auch was bekommen!“

      „Du, wollen wir nicht erst besorgen, was sein muß?“ Brita hatte das Geld nicht in den Händen, sie bekam jetzt leichte Befürchtungen, daß es nicht reichen könnte. Schimmel aber war nicht zu bremsen. „Wenn alle was kriegen, muß auch Uli was haben“, sagte sie nachdrücklich und öffnete entschlossen die Tür einer Buchhandlung. Dort blieben sie sehr lange. Und als sie wieder herauskamen, war Schimmel wie benommen. Immer ging ihr das so in Buchläden.

      „Weißt du“, sagte Schimmel und schob ihren Arm unter den Britas, während sie über den Marktplatz gingen, „ich habe mir schon überlegt: eine weiße Segelhose ist doch eigentlich Unsinn. Furchtbar unpraktisch. Oder? Eine richtige derbe Trainingshose tut es auch, und dazu kann man einen Pullover tragen, auch zu Hause. Überhaupt sind abgewetzte Sachen viel zünftiger. Wenn ich nach Hamburg käme und hätte alles nagelneu, wäre mir das peinlich. Du borgst mir doch deine weiße Bluse, nicht wahr?“

      „Wieviel Geld hast du eigentlich noch?“ fragte Brita schüchtern. Schimmel gestand, daß sie es nicht ganz genau wisse, aber nun zählte sie wenigstens die Scheine, die großen und die kleinen, die sie zusammengepackt in der Hand hielt. Dann lachte sie erleichtert. „Du, es reicht. Für eine Trainingshose reicht es noch. Aber –“

      „Was denn?“

      „Wir haben ja noch nichts für dich!“

      „Für mich? Was willst du denn für mich? Mir brauchst du doch nichts mitzubringen, ich bin doch mit hier“, sagte Brita. Schimmel sah sie nachdenklich an.

      „Meinst du? Aber –“

      „Unsinn!“

      „Dann komm“, lachte Schimmel, zog sie mit sich in den Laden, in dem sie sich kurz umsah. Schnell hatte sie das entdeckt, was sie suchte. „Von dieser roten Wolle da“, sagte sie bestimmt, „ja, und Stricknadeln dazu. Nun noch eine Trainingshose, aber die gibt es wohl da drüben?“

      „Du bist verrückt, nun reicht es nicht mehr“, jammerte Brita, die so leidenschaftlich gern strickte und daher wußte, was Wolle kostete.

      „Es reicht, es reicht“, summte Schimmel vor sich hin, und wahrhaftig, es reichte. Sie kriegten es hin, wie der schöne Ausdruck lautet. Eine etwas verblichene, weil lange im Fenster gelegene Hose, gerade in Schimmels Länge, und großartige Qualität, konnten sie mit den letzten Pfennigen noch bezahlen.

      „Das haben wir toll hingekriegt“, seufzte Schimmel und warf einen Blick auf die Kirchturmuhr, während sie dem Radwächter zuschlenderten, „mehr hätte sie aber wahrhaftig nicht kosten dürfen.“

      Brita erschrak, denn Schimmel war stehen geblieben und starrte ihr entgeistert ins Gesicht. „Was ist denn los?“

      „Wir haben doch das Rad noch nicht geholt! Das kostet doch auch etwas! Und man muß bezahlen, wenn man es abholt!“

      Richtig. Du lieber Himmel, natürlich! Sie hatten das Rad nicht angeschlossen, sondern zum Parkwächter in einen Ständer gestellt, wo man eine Nummer als Quittung bekam. Da es nicht ihr eigenes war, hatten sie das für nötig befunden. Jetzt saßen sie da.

      „Hast du gar nichts mehr?“ fragte Brita. Schimmel schüttelte die Mähne.

      „Bis auf fünf Pfennig. Du warst ja dabei.“

      „Na, so was. Und jetzt?“

      Ja, und jetzt? Jetzt war guter Rat teuer. Es handelte sich um fünfundzwanzig Pfennige, und zum erstenmal im Leben merkten die Mädel, was für ein Unterschied besteht zwischen Geld, das man hat, und Geld, das einem fehlt. Fünfundzwanzig Pfennig, doch wahrhaftig nicht viel, wenn man es hat! Was kann man schon groß dafür kaufen? Ein paar Brötchen, zwei Postkarten; ein Mann würde sagen: zwei Zigaretten. Wenn man sie aber nicht hatte, da bedeuteten sie in ihrem Fall wenigstens dreißig Kilometer Fußmarsch. Sie mußten, fremd wie sie hier in der Stadt waren, zu Fuß nach Hause laufen, das waren fünfzehn Kilometer. Dort das Geld erbitten – was dabei herauskommen würde, wenn sie mit Geschenken beladen und ohne Rad ankamen, konnten sie sich lebhaft vorstellen – und wieder fünfzehn Kilometer zurück.

      „Hilft nichts, müssen halt laufen“, sagte Schimmel düster. Sie war dazu entschlossen; aber wenn sie sich ausrechnete, wie lange das Ganze dauern würde, wurde ihr doch schwach.

      „Könnten wir nicht eins von den Büchern zurückgeben?“ fragte Brita nach einer Weile, in der sie unschlüssig, aber durchaus einig im Unglück nebeneinander gestanden hatten. „Sie sind doch noch ganz neu!“

      „Hm.“ Sie gingen, um nicht aufzufallen, hinüber zur Buchhandlung und stellten sich vor das Schaufenster.

      „Hätten wir nur kein Eis gegessen“, sagte Schimmel reuevoll, „fünf Pfennig habe ich noch. Mit den beiden Eisportionen würde es langen.“

      „Ja, siehst du, das kommt davon. Und die Wolle für mich!“ Brita schluckte an Tränen.

      In diesem Augenblick hörten sie durch die offene Ladentür einen etwas erregten Wortwechsel

      „Ich hab’ es rasend eilig. Könnten Sie mir nicht den Gefallen tun?“ fragte ein Herr, der gerade einen Stapel Broschüren gekauft hatte. „Mein Zug geht in zehn Minuten, und ich muß noch zur Post, das Telegramm aufgeben und die Briefe befördern.“

      „Ist es so wichtig? Mein Lehrjunge ist gerade nicht da, und ich kann nicht fort“, sagte der Buchhändler bedauernd. Schimmel schob Brita ihren Packen Mitbringsel in den Arm und war schon im Laden. „Bitte schön, ich habe Zeit. Darf ich?“ stammelte sie, dunkelrot werdend, aber eisern entschlossen. Der Herr wandte sich um.

      „Das ist aber sehr freundlich. Nur das Telegramm und die Briefe, ich habe keine Marken da. Kann ich mich darauf verlassen, daß Sie es gleich tun?“

      Schimmel hatte die Briefschaften schon in der Hand.

      „Selbstverständlich, ich gehe sofort.“

      „Ich habe es nicht einzeln. Darf ich