Charles Baudelaire
Die Blumen des Bösen
Reclam
Französischer Originaltitel: Les Fleurs du Mal
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung
Coverabbildung: © iStock.com/rustemgurler
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961811-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-02604-1
DEM UNTADELIGEN DICHTER
dem vollkommenen Magier der französischen Literatur
meinem geliebten und verehrten
Meister und Freund
THÉOPHILE GAUTIER
widme ich
mit dem Gefühl
der tiefsten Bescheidenheit
DIESE VERSEUCHTEN BLÜTEN
C. B.
An den Leser
Torheit, Irrtum, Geiz und Sünde zehren
An unserm Leib, besetzen unsern Geist,
Was unsre liebenswerten Skrupel speist,
So wie die Bettler Ungeziefer nähren.
Verstockte sind wir, die nur lau bereun,
Doch wenn es lohnt, auch manches eingestehn,
Dann froh im Schlamm des Weges weitergehn
Und glauben, Tränen waschen alles rein.
Satan, der Dreimalgroße, wiegt allzeit
Auf Bösem weich gebettet das Gemüt,
Und das Metall der Willenskraft verglüht
Durch dieses Alchimisten Fertigkeit.
Der Teufel hält die Fäden, die uns leiten!
Wir sind verlockt von widerlichen Dingen,
Die täglich uns der Hölle näherbringen,
Furchtlos, durch den Gestank der Dunkelheiten.
Lüstlingen gleich, die gierig schmatzend küssen
Von alten Huren die zerquälten Brüste,
Rauben wir hastig die geheimen Lüste,
Die wir wie Apfelsinen pressen müssen.
Und wie von Würmern, die sich wimmelnd drängen,
Wird von Dämonen unser Hirn verschlungen,
Mit unserm Atem fließt in unsre Lungen
Der unsichtbare Tod mit Klagesängen.
Wenn Vergewaltigung, Gift, Dolch und Brand
Noch nicht das Jammerleben, das wir führen,
Auf seinem Grund mit hübschen Mustern zieren,
So, weil die Kühnheit unsrer Seele schwand!
Doch unter Panthern und Schakalen aller Arten,
Den Affen, Geiern, Schlangen, die sich winden,
Den Ungeheuern, die wir heulend finden,
Kreischend und knurrend in des Lasters Garten,
Ist eins vor allen hässlich und gemein!
Zwar schreit es nicht und scheint sich kaum zu regen,
Doch würd es gern die Welt in Trümmer legen
Und schlänge gähnend sie in sich hinein:
Die Langeweile ist’s! – Das Auge tränenreich
Raucht sie die Wasserpfeife, träumt vom Blutgericht.
Kennst du das heikle Ungeheuer nicht,
– Scheinheiliger Leser – Bruder du – mir gleich!
Spleen und Ideal
I
Segen
Wenn nun der Dichter, folgend den Gesetzen
Der höchsten Mächte, in die Welt geführt,
Ballt seine Mutter, lästernd, voll Entsetzen
Die Fäuste gegen Gott, der Mitleid spürt:
– »Ach! hätt ich Vipern nur zur Welt gebracht,
Statt diese Spottgeburt in mir zu nähren!
Verflucht ihr flüchtigen Lüste einer Nacht,
Die meinen Leib zur Buße so beschweren!
Weil Gott aus allen Weibern mich berief,
Dass ich zum Abscheu werde meinem Mann,
Und weil ich nicht wie einen Liebesbrief
Das Scheusal in die Flammen werfen kann,
Will ich den Hass, womit er mich bedachte,
Auf dieses Werkzeug seiner Bosheit gießen,
Damit der kümmerliche Baum verschmachte,
Und die verseuchten Knospen niemals sprießen!«
Sie würgt den Hass hinab in ihren Schlund,
Begreift nichts von dem Plan der Ewigkeit,
Schürt selbst das Feuer in der Hölle Grund,
Das man solch mütterlichem Frevel weiht.
Dennoch, da ihn des Engels Schutz umschließt,
Berauscht der Arme sich am Sonnenschein,
Und alles, was er trinkt und was er isst,
Wird ihm Ambrosia und Götterwein.
Wenn er mit Winden spielt, mit Wolken plaudert
Und trunken singend auf dem Kreuzweg zieht,
Dann weint der Schutzgeist, der ihm folgt, und schaudert,
Weil er ihn fröhlich wie ein Vöglein sieht.
Die, die er liebt, betrachten ihn erschrocken,
Erdreisten sich ob der Gelassenheit,
Wetteifern, ihm ein Klagen zu entlocken,
Erproben so die eigene Grausamkeit.
Sie mischen Brot, das er zum Munde führt,
Mit Asche und sie speien in den Wein;
Scheinheilig meiden sie, was er berührt,
Und scheuen sich, auf seiner Spur zu sein.
Und schreiend auf die Plätze läuft sein Weib:
»Da ich ihm schön erschein ohn alle Maßen,
Ahm ich die Götzen nach, zum Zeitvertreib
Will ich, wie sie, mich ganz vergolden lassen,
An Narde, Weihrauch, Myrrhe mich berauschen,
An Wein und Fleisch und Knien, die gebeugt,
Um lachend diesem Herzen abzulauschen,
Ob es mir göttliche Verehrung zeigt!
Und, wenn dem Überdruss die Possen weichen,