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Nicht zum ersten Mal freute Roland sich darauf, nach einem Urlaub wieder zur Arbeit zu gehen. Wenn man den freien Tag an Pfingsten als Urlaub bezeichnen konnte. Eher ein verlängertes Wochenende. Und jetzt war es vorbei. Keine weiteren Feiertage vor Weihnachten. Aber dieses Mal war die Sehnsucht nach dem Arbeitsleben nicht Irenes Krankheit und der anspruchsvollen und erschöpfenden Bedienung im Rollstuhl geschuldet wie zuvor. Das hatte sie hinter sich. Aber die Schwiegereltern hatten sich aus nostalgischen Gründen entschieden, einige Tage zu bleiben, und er hatte es kaum erwarten können, dass der Wecker klingelte und er sich in sein Auto setzen und von dem Gezeter und Husten wegfahren konnte. Arme Irene, dachte er, aber es waren ja verflixt noch mal ihre Eltern.
„Schöne Pfingsten gehabt?“, grüßte Mark Haldbjerg munter und holte Kaffee. „Ja, danke, und selbst?“
„Vorzüglich! Zusammen mit der Familie im Sommerhaus in Skagen verbracht. Das Wetter hätte ja nicht besser sein können.“
Roland lächelte. Nein, über das Wetter hatte es bestimmt nichts zu klagen gegeben. Es hatte immer etwas, dass sie unter freiem Himmel auf der Terrasse hatten sitzen können und dass er sich ab und zu mit ein bisschen Aufräumen oder Wändestreichen entschuldigen konnte. Die Fenster waren bei der Hitze offen gewesen, sodass die Farbe schneller trocknete, doch jetzt waren die Zimmer der Mädchen und der Keller einzugsbereit; wen auch immer sie dann beherbergen mochten. Irene hatte sicher recht damit, dass der Widerwille von Leuten, Flüchtlinge in ihren Alltag aufzunehmen, Unwissenheit und Angst vor dem Unbekannten war. Er wusste selbst nicht, was er fürchtete. Wenn es überhaupt Furcht war, was er fühlte.
„Puh, ist das warm. Ist eine Entscheidung vom Staatsanwalt wegen des Autounfalls gekommen?“, fragte Mark und verwies auf den Fall, den sie vor Pfingsten abgeschlossen hatten. Er setzte sich an seinen Computer mit einem dampfenden Becher Kaffee, knöpfte den obersten Hemdknopf auf und schaute aus einem der Fenster, die Roland als Erstes geöffnet hatte, als er in die stickigen Räume gekommen war, die drei Tage lang nicht besetzt gewesen waren.
„Nein, noch nicht. Ich bin auch gespannt, was bei euren Nachforschungen herauskommt. Es besteht ja kein Zweifel daran, dass das Auto verunglückt ist, weil Beamte es verfolgten, vielleicht auch ein bisschen overkill, wenn es trotz allem ,nur‘ darum ging, dass die vier jungen Menschen über eine rote Ampel fuhren. Keiner war in Gefahr und es ist ja nichts passiert - also, bis der Fahrer aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und über die Leitplanke fuhr.“
„Hmm, sie haben das Gesetz übertreten, Roland. Sind sie aus dem Krankenhaus entlassen?“
Roland nickte, den Mund voller Kaffee, und schluckte diesen herunter. „Der Fahrer und die beiden auf dem Rücksitz ja, aber der Junge auf dem Beifahrersitz ist immer noch im Krankenhaus. Aber er ist außer Lebensgefahr.“
„Das ist immerhin etwas. Gut, dass niemand getötet wurde, das wäre für die Beamten katastrophal gewesen.“
Mark wurde vom Ermittlungschef Viktor Enevoldsen unterbrochen, der zielstrebig auf ihren Tisch zusteuerte. Sein Gesicht wirkte blass unter der sonnengebräunten Haut, und die Augen waren ernst.
„Ich möchte euch beide gerne an einem Fall haben. Wo ist übrigens Karina?“
„Hat sie heute nicht frei? Irgendwas mit ihrem Sohn?“, fragte Mark.
„Ach ja, verdammt. Das hatte ich völlig vergessen.“ Viktor strich sich durch die Haare, die auf eine reizvolle Weise ergrauten, wie Richard Geres damals, als auch er in den Fünfzigern war.
„Na, aber ich möchte euch beide so schnell wie möglich in Odense haben. Ein Beamter und seine Familie wurden gestern überfallen und der Sohn ist verschwunden. Möglicherweise gekidnappt. Darum kümmert sich natürlich die Polizei Fünen, aber der Polizeidirektor hat uns gebeten, die Umstände des Überfalls zu untersuchen. Die Ehefrau des Beamten hat ausgesagt, sie habe das Gefühl gehabt, dass die Täter ihren Mann kannten.“
„In der Regel kennen die Kriminellen die Beamten ja eher als umgekehrt“, gab Mark Haldbjerg zu bedenken.
„Tja, natürlich, aber sie sprachen über einen Tauschhandel für den Sohn.“
„Tausch? Gegen was?“, fragte Roland.
„Das wusste sie nicht. Sie steht natürlich unter Schock und ist nervös, was das Schicksal ihres Sohnes angeht. Die Täter ähnelten welchen aus einer Bande, ihrer Beschreibung nach.“
„Rockerbande oder Einwandererbande, in Odense haben sie ja alles.“
Viktor Enevoldsen setzte sich auf die Schreibtischkante neben Mark. „Die haben auch alles, ja, und der Polizei Fünen zufolge handelt es sich möglicherweise um eine neue Bande, die vor einem Jahr in die Gegend gekommen ist und noch gefährlicher als die anderen sein soll. Es sind Mitglieder sowohl der Einwanderer- als auch der Rockerbanden, die aus ihren Gruppen ausgebrochen sind und eine neue gebildet haben. Wahrscheinlich weil sie das ,schlaffe‘ Verhalten ihrer Anführer leid waren. Der harte Kern. Die Gewalttätigsten, die fanden, sie dürften nicht das tun, was sie gerne wollten.“
„Warum glauben sie, dass es ausgerechnet die sind?“
„Hauptsächlich wegen einer Tätowierung. Sie nennen sich Black Swan, ein Tattoo auf dem rechten Handrücken ist obligatorisch in der Bande wie eine Art Blutband. Sie stellt natürlich einen bösen, schwarzen Schwan da. Ihre Hauptgebiete sind Drogen und Prostitution, und Sander Lindholm, so heißt der Beamte, war vor einem halben Jahr bei der Verhaftung mehrerer Bandenmitglieder dabei, die unter anderem wegen des Verkaufs und Schmuggels von Drogen verurteilt wurden. In Verbindung mit den Verhaftungen wurden Amphetamin, Hasch, Kokain und Ecstasy gefunden samt Automatikwaffen und Pistolen.“
„Wie schlimm ist es mit dem Beamten und seiner Frau?“, wollte Roland wissen.
„Ziemlich schlimm. Besonders mit dem Beamten, der bis zur Unkenntlichkeit verprügelt wurde, aber nicht mit tödlichen Schlägen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Absicht war, dass sie überleben sollten. Der Sohn, der entführt wurde, heißt Janus. Er ist sechs Jahre alt, er hatte Geburtstag an dem Tag, an dem es passierte. Sie hatten ihn im Zoo in Odense gefeiert und waren auf dem Heimweg. Alberte Lindholm war schwanger. Mit Zwillingen. Sie hat sie verloren.“
Es wurde still. Roland nutzte die Gelegenheit, noch einen Schluck Kaffee zu trinken.
„Worauf zielt unsere Ermittlung ganz genau ab?“, fragte Mark.
Viktor räusperte sich. „Nach der Befragung von Alberte Lindholm wurde der Polizeidirektor misstrauisch. Warum den Sohn entführen und wieso war die Rede von einem Tauschhandel? Kidnapping ist nicht gerade die Vorgehensweise von Black Swan. Jedenfalls nicht, soweit die Polizei weiß.“
„Was sagt Sander Lindholm selbst?“, fragte Roland.
„Bisher gab es nur kurz die Möglichkeit, ihn zu befragen. Aber er bestreitet, die Täter auf irgendeine Art zu kennen und weiß nicht, warum sie seinen Sohn entführt haben.“
„Könnte es etwas mit der Verhaftung der Bandenmitglieder zu tun haben? Rache?“, überlegte Roland.
„Vielleicht, aber was wollen die mit Janus? Was wollen sie dafür von Sander Lindholm haben?“
„Wird er wegen irgendetwas verdächtigt?“
Viktor stand auf. „Das ist das, was ihr herausfinden sollt. Polizeidirektor Harald Andersen hat ein ungutes Gefühl in dieser Sache, deswegen will er sie von uns gründlich untersucht haben. Jetzt ist ein kleiner, unschuldiger Junge involviert.“
Der Autobahnverkehr floss stetig. Roland hatte willig Mark das Steuer überlassen. Er mochte längere Autofahrten nicht besonders. Es war immer noch nur sein Geheimnis, dass der rechte Arm manchmal urplötzlich all seine Kraft verlor. Er müsste zum Arzt gehen. Irene würde ihn zwingen,