Wir gelangen durch diese Beispiele zu dem Resultat: Was für den einen Kapital, ist für den anderen Einkommen und umgekehrt. Wie kann unter diesen Umständen so etwas wie Gesamtkapital der Gesellschaft konstruiert werden? In der Tat folgerte fast die gesamte wissenschaftliche Ökonomie bis Marx, daß es kein gesellschaftliches Kapital gäbe.8 Bei Smith sehen wir noch Schwankungen und Widersprüche in dieser Frage, ebenso bei Ricardo. Ein Say erklärt schon kategorisch:
"Auf diese Weise verteilt sich der gesamte Wert der Produkte in der Gesellschaft. Ich sage der gesamte Wert; denn wenn mein Profit nur einen Teil des Wertes des Produktes darstellt, an dessen Herstellung ich mitgewirkt habe, so bildet der übrige Teil den Profit meiner Mitproduzenten. Ein Tuchfabrikant kauft einem Pächter Wolle ab; er entlohnt verschiedene Arten Arbeiter und verkauft das Tuch, das so entstanden ist, zu einem Preis, der ihm seine Auslagen zurückerstattet und ihm einen Profit läßt. Er betrachtet als Profit, als Fonds für sein Einkommen in seiner Industrie nur das, was ihm als Reineinkommen bleibt nach Abzug seiner Kosten. Aber diese Kosten waren nichts anderes als Vorschüsse, die er an andere Produzenten der verschiedenen Teile des Einkommens macht und für die er sich aus dem Bruttowert des Tuchs schadlos hält. Das, was er dem Pächter für Wolle bezahlt hat, war Einkommen des Landwirts, seiner Hirten, des Gutsbesitzers, des Pachthofs. Der Pächter betrachtet als sein Nettoprodukt nur das, was ihm verbleibt nach der Abfindung seiner Arbeiter und seines Grundherrn; aber das, was er ihnen bezahlt hat, bildete einen Teil der Einkommen dieser letzteren, es war der Lohn für die Arbeiter, es war der Pachtzins für den Grundherrn, also für den einen das Einkommen aus der Arbeit, für den anderen das Einkommen aus seinem Boden. Und es ist der Wert des Tuches, der das alles ersetzt hat. Man kann sich keinen Teil des Wertes dieses Tuches vorstellen, der nicht dazu gedient hörte, ein Einkommen zu zahlen. Sein ganzer Wert ist so draufgegangen."
"Mann ersieht daraus, daß der Ausdruck Reinprodukt nur auf einzelne Unternehmer Anwendung finden kann, daß aber die Einkommen aller einzelnen zusammengenommen oder der Gesellschaft dem nationalen Rohprodukt der Erde, der Kapitale und der Industrie (Say nennt so die Arbeit) gleich ist. Das vernichtet (ruine) das System der Ökonomen des achtzehnten Jahrhunderts (Physiokraten), die als Einkommen der Gesellschaft nur das Reinprodukt des Bodens betrachteten und folgerten, daß die Gesellschaft nur einen diesem Reinprodukt entsprechenden Wert konsumieren könne, als ob die Gesellschaft nicht den ganzen Wert, den sie geschaffen, konsumieren könnte!"9
Say belegt diese Theorie in einer ihm eigenen Weise. Während Ad. Smith den Beweis dadurch zu erbringen suchte, daß er jedes private Kapital auf seine Produktionsstätte verwies, um es in bloßes Arbeitsprodukt aufzulösen, jedes Arbeitsprodukt aber, streng kapitalistisch, als eine Summe bezahlter und unbezahlter Arbeit, als v + m auffaßte, und so dazu kam, schließlich das Gesamtprodukt der Gesellschaft in v + m aufzulösen, beeilt sich Say natürlich, mit sicherer Hand diese klassischen Irrtümer in ordinäre Vulgarismen zu verballhornen. Says Beweisführung beruht darauf, daß der Unternehmer in jedem Stadium der Produktion die Produktionsmittel (die für ihn Kapital bilden) anderen Leuten, den Vertretern früherer Produktionsstadien, bezahlt und daß jene Leute diese Bezahlung ihrerseits teils als eigenes Einkommen in die Tasche stecken, teils als Zurückerstattung der Auslagen gebrauchen, die sie selbst vorgestreckt hatten, um noch anderen Leuten ihr Einkommen zu bezahlen. Die Smithsche endlose Kette von Arbeitsprozessen verwandelt sich bei Say in eine endlose Kette von gegenseitigen Vorschüssen auf Einkommen und Zurückerstattungen aus dem Verkauf; auch der Arbeiter erscheint hier als ganz gleichgestellt dem Unternehmer: Er bekommt im Lohn sein Einkommen "vorgestreckt" und bezahlt es seinerseits mit geleisteter Arbeit. So stellt sich der schließliche Wert des gesellschaftlichen Gesamtprodukts als Summe von lauter "vorgeschossenen" Einkommen dar und geht im Austauschprozeß drauf, sämtliche Vorschüsse zu ersetzen. Bezeichnend für die Flachheit Says ist, daß er die gesellschaftlichen Zusammenhänge der kapitalistischen Reproduktion an dem Beispiel der Uhrenproduktion demonstriert - einem damals (und zum Teil heute noch) rein manufakturmäßigen Zweig, in dem die "Arbeiter" auch als kleine Unternehmer figurieren und der Produktionsprozeß des Mehrwerts durch lauter sukzessive Austauschakte der einfachen Warenproduktion maskiert ist.
Auf diese Weise bringt Say die von Smith angerichtete Verwirrung zum gröbsten Ausdruck: Die ganze von der Gesellschaft jährlich hergestellte Produktenmasse geht in ihrem Wert in lauter Einkommen auf; sie wird also jährlich auch ganz konsumiert. Der Wiederbeginn der Produktion ohne Kapital, ohne Produktionsmittel erscheint als ein Rätsel, die kapitalistische Reproduktion als ein unlösbares Problem.
Vergleicht man die Verschiebung, die das Problem der Reproduktion seit den Physiokraten bis Ad. Smith erfahren hat, so ist sowohl ein teilweiser Fortschritt wie ein teilweiser Rückschritt nicht zu verkennen. Das Charakteristische an dem ökonomischen System der Physiokraten war ihre Annahme, daß die Landwirtschaft allein Überschuß, d.h. Mehrwert, schaffe, die agrikole Arbeit somit die einzige produktive - im kapitalistischen Sinne - sei. Dementsprechend sehen wir im "Tableau éonomique", daß die "sterile" Klasse der Manufakturarbeiter nur für dieselben zwei Milliarden Wert schafft, die sie an Rohstoffen und Lebensmitteln verzehrt. Dementsprechend gehen auch im Austausch die gesamten Manufakturwaren je zur Hälfte an die Klasse der Pächter und der Grundbesitzer, während die Manufakturklasse selbst ihre eigenen Produkte gar nicht konsumiert. So reproduziert die Manufakturklasse in ihrem Warenwert eigentlich nur das verbrauchte zirkulierende Kapital, ein Einkommen der Unternehmerklasse wird hier gar nicht geschaffen. Das einzige Einkommen der Gesellschaft über alle Kapitalauslagen hinaus, das in Zirkulation kommt, wird in der Landwirtschaft geschaffen und von der Grundbesitzerklasse in Gestalt der Grundrente verzehrt, während die Pächterklasse auch nur ihr Kapital wieder ersetzt: eine Milliarde Zinsen vom fixen Kapital und zwei Milliarden zirkulierendes Betriebskapital, was zusammen sachlich zu zwei Dritteln in Rohstoffen und Lebensmitteln, zu einem Drittel in Manufakturprodukten besteht. Ferner fällt auf, daß Quesnay die Existenz des fixen Kapitals, das er "avances primitives" im Unterschied von "avances annuelles" nennt, überhaupt nur bei der Landwirtschaft annimmt. Die Manufaktur arbeitet bei ihm anscheinend ohne jedes fixe Kapital, nur mit dem jährlich umlaufenden Betriebskapital, schafft dementsprechend in ihrer jährlichen Warenmasse auch keinen Wertteil zum Ersatz des Verschleißes an fixem Kapital (wie Baulichkeiten, Werkzeuge usw.).10
Diesen augenscheinlichen Mängeln gegenüber bringt die englische klassische Schule vor allem den entscheidenden Fortschritt, daß sie jede Art Arbeit als produktiv erklärt, d.h. die Schaffung des Mehrwerts sowohl in der