Erst die Dritte Republik, das unumwundene Regiment der Bourgeoisie, hat den Mut und den Zynismus gefunden, alle Umschweife auf die Seite zu legen und ohne die vorbereitenden Schritte des Zweiten Kaiserreichs die Sache vom anderen Ende anzugreifen. Die direkte Aufteilung der Gebiete aller 700 arabischen Geschlechter in individuelle Anteile, eine parforce Einführung des Privateigentums in kürzester Zeit, das war der offen ausgesprochene Zweck des Gesetzes, den die Nationalversammlung im Jahre 1873 ausgearbeitet hat. Den Vorwand dazu boten die verzweifelten Zustände der Kolonie. Genau wie erst die große Hungersnot in Indien 1866 der Öffentlichkeit in England die schönen Resultate der englischen Kolonialpolitik drastisch vor die Augen geführt und eine parlamentarische Kommission zur Untersuchung der Mißstände veranlaßt hatte, so wurde Europa zu Ende der sechziger Jahre durch den Notschrei aus Algerien alarmiert, wo massenhafte Hungersnot und außerordentliche Sterblichkeit unter den Arabern über 40 Jahre französischer Herrschaft quittierten. Zur Untersuchung der Ursachen und zur Beglückung der Araber durch neue gesetzliche Maßnahmen wurde eine Kommission eingesetzt, die zu dem einstimmigen Beschlusse kam, daß den Arabern als Rettungsanker nur eins helfen könne - das Privateigentum. Dann erst würde nämlich jeder Araber in der Lage sein, sein Grundstück zu verkaufen oder darauf Hypotheken aufzunehmen und sich so vor der Not zu schützen. Um also der Notlage der Araber abzuhelfen, die durch teilweise von den Franzosen bereits ausgeführte Diebereien an algerischem Grund und Boden wie durch die von ihnen geschaffene Steuerlast und damit verbundene Verschuldung der Araber entstanden war, erklärte man als einziges Mittel: die vollständige Auslieferung der Araber in die Krallen des Wuchers. Diese Possenreißerei wurde vor der Nationalversammlung mit völlig ernstem Gesicht Vorgetragen und von der würdigen Körperschaft mit ebensolchem Ernst aufgenommen. Die Schamlosigkeit der "Sieger" über die Pariser Kommune feierte Orgien.
Zwei Argumente dienten besonders in der Nationalversammlung zur Stütze des neuen Gesetzes. Die Araber selbst wünschen dringend die Einführung des Privateigentums, betonten immer wieder die Verteidiger der Regierungsvorlage. In der Tat, sie wünschten es, nämlich die Bodenspekulanten und die Wucherer in Algerien, die ein dringendes Interesse daran hatten, ihre Opfer aus den schützenden Banden der Geschlechter und ihrer Solidarität zu "befreien". Solange nämlich das muselmännische Recht in Algerien galt, fand die Verpfändung des Grund und Bodens an der Nichtveräußerlichkeit des Gentil- und Familienbesitzes eine unüberwindliche Schranke. Erst das Gesetz von 1863 hatte darin eine Bresche geschlagen. Es galt, das Hindernis ganz wegzuräumen, um dem Wucher freien Spielraum zu lassen. Das zweite Argument war ein "wissenschaftliches". Es stammte aus demselben geistigen Arsenal, aus dem der ehrwürdige James Mill seine Verständnislosigkeit für die Eigentumsverhältnisse Indiens schöpfte: aus der englischen klassischen Nationalökonomie. Das Privateigentum ist die notwendige Vorbedingung jeder intensiveren, besseren Bodenbebauung in Algerien, die Hungersnöten vorbeugen würde, denn es ist klar, daß niemand Kapital oder intensive Arbeit in einen Boden stecken will, der nicht sein individuelles Eigentum ist und dessen Früchte nicht ausschließlich von ihm genossen werden - deklamierten mit Emphase die wissenschaftlich gebildeten Jünger Smith-Ricardos. Die Tatsachen freilich redeten eine andere Sprache. Sie zeigten, daß die französischen Spekulanten das von ihnen in Algerien geschaffene Privateigentum zu allem anderen gebrauchten, nur nicht zur intensiveren und höheren Bodenbebauung. Von den 400.000 Hektar Landes, die im Jahre 1873 den Franzosen gehörten, befanden sich 120.000 Hektar in den Händen der beiden kapitalistischen Gesellschaften, der Algerischen und der Setif-Kompanie, die ihre Ländereien überhaupt nicht selbst bewirtschafteten, sondern den Eingeborenen in Pacht zurückgaben, die sie ihrerseits in althergebrachter Weise bebauten. Ein Viertel der übrigen französischen Eigentümer befaßte sich ebensowenig mit Landwirtschaft. Die Kapitaleinlagen und intensive Bodenbebauung ließen sich eben hier sowenig wie die kapitalistischen Verhältnisse überhaupt künstlich aus dem Boden stampften. Diese bestanden nur in der profitgierigen Phantasie der französischen Spekulanten und in der doktrinären Nebelwelt ihrer wissenschaftlichen Ideologen aus der Nationalökonomie. Es handelte sich einfach, wenn man die Vorwände und die Floskeln in der Begründung des Gesetzes von 1873 auf die Seite schiebt, um den nackten Wunsch, den Arabern ihre Existenzbasis, den Grund und Boden, zu entreißen. Und trotz aller Fadenscheinigkeit der Argumentation, trotz offensichtlicher Verlogenheit seiner Begründung wurde das Gesetz, das der Bevölkerung Algeriens und ihrem materiellen Wohlstand den Todesstoß versetzen sollte, am 26. Juli 1873 fast einstimmig angenommen.
Doch das Fiasko des Gewaltstreiches ließ nicht lange auf sich warten. Die Politik der Dritten Republik scheiterte an der Schwierigkeit, das bürgerliche Privateigentum in uralten kommunistischen Großfamilienverbänden mit einem Schlage einzuführen, genauso, wie die Politik des Zweiten Kaiserreichs daran gescheitert war. Das Gesetz vom 26. Juli 1873, das durch ein zweites Gesetz vom 28. April 1887 ergänzt wurde, ergab nach 17jähriger Wirkung das folgende Resultat: Bis 1890 waren 14 Millionen Franc für ein Bereinigungsverfahren von 1,6 Millionen Hektar ausgegeben. Man berechnete, daß die Fortsetzung des Verfahrens bis 1950 hätte dauern und weitere 60 Millionen Franc kosten müssen. Das Ziel jedoch, den Großfamilienkommunismus zu beseitigen, war dabei immer noch nicht erreicht. Das einzige, was wirklich und unzweifelhaft bei alledem erreicht wurde, war eine tolle Bodenspekulation, ein üppig gedeihender Wucher und der wirtschaftliche Ruin der Eingeborenen.
Das Fiasko der gewaltsamen Einführung des Privateigentums führte darauf zu einem neuen Experiment. Obwohl das algerische Generalgouvernement schon 1890 eine Kommission eingesetzt hatte, die die Gesetze von 1873 und 188 nachgeprüft und verurteilt hat, dauerte es noch 7 Jahre, bis die Herren Gesetzgeber an der Seine sich zu einer Reform im Interesse des ruinierten Landes aufrafften. Bei der neuen Schwenkung hat man von der zwangsweisen Einführung des Privateigentums von Staats wegen im Prinzip abgesehen. Das Gesetz vom 27. Februar 1897 sowie die Instruktion des algerischen Generalgouverneurs vom 7. März 1898 sehen hauptsächlich die Einführung des Privateigentums auf freiwilligen Antrag der Eigentümer oder der Erwerber vor.212