Bei der Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals beantwortet Marx die Frage folgendermaßen: "Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital ist fertig."198 Hier wird der Zuwachs des variablen Kapitals lediglich und direkt auf die natürliche Vermehrung der bereits vom Kapital kommandierten Arbeiterklasse durch Fortpflanzung reduziert. Dies entspricht auch genau dem Schema der erweiterten Reproduktion, das nach der Marxschen Voraussetzung die Kapitalisten und Arbeiter als einzige Gesellschaftsklassen, die kapitalistische Produktion als einzige und absolute Produktionsweise kennt. Unter diesen Voraussetzungen ist die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse die einzige Quelle der Vermehrung der vorhandenen Arbeitskräfte unter dem Kommando des Kapitals. Indes widerspricht diese Auffassung den Bewegungsgesetzen der Akkumulation. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiter steht weder zeitlich noch quantitativ im Verhältnis zu den Bedürfnissen des akkumulierenden Kapitals. Insbesondere vermag sie nicht, wie Marx das selbst glänzend dargelegt hat, mit den plötzlichen Expansionsbedürfnissen des Kapitals Schritt zu halten. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse als einzige Basis der Bewegungen des Kapitals würde den Fortgang der Akkumulation in periodischem Wechsel der Überspannung und der Ermattung sowie in sprungweiser Ausdehnung des Produktionsfeldes ausschließen und damit die Akkumulation selbst unmöglich machen. Letztere erfordert ebenso schrankenlose Bewegungsfreiheit in bezug auf das Wachstum des variablen Kapitals wie in bezug auf die Elemente des konstanten Kapitals, also schrankenlose Verfügungsmöglichkeit über die Zufuhr von Arbeitskraft. Nach der Marxschen Analyse findet dieses Erfordernis einen exakten Ausdruck in der Bildung der "industriellen Reservearmee der Arbeiter". Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion kennt freilich eine solche nicht und läßt auch keinen Raum für sie übrig. Die industrielle Reservearmee kann nämlich durch die natürliche Fortpflanzung des kapitalistischen Lohnproletariats nicht gebildet werden. Sie muß andere soziale Reservoirs haben, aus denen ihr die Arbeitskraft zufließt - Arbeitskraft, die bis dahin noch nicht unter dem Kommando des Kapitals stand und erst nach Bedarf dem Lohnproletariat zugefügt wird. Diese zuschüssigen Arbeitskräfte kann die kapitalistische Produktion nur aus nichtkapitalistischen Schichten und Ländern ständig beziehen. In seiner Analyse der industriellen Reservearmee (Das Kapital, Band I, Kapitel 23, 3) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S.650-677.] berücksichtigt Marx freilich nur 1. die Verdrängung älterer Arbeiter durch die Maschinerie, 2. den Zuzug ländlicher Arbeiter in die Stadt als Folge der Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der Agrikultur, 3. die von der Industrie ausrangierten Arbeitskräfte mit unregelmäßiger Beschäftigung, endlich 4. als den tiefsten Niederschlag der relativen Übervölkerung - den Pauperismus. Alle diese Kategorien stellen in verschiedener Form selbst schon Ausscheidungsprodukte der kapitalistischen Produktion dar, in dieser oder jener Form verbrauchte und überzählig gemachte Lohnproletarier. Auch die in die Stadt ständig ziehenden Landarbeiter sind bei Marx Lohnproletarier, die früher schon unter dem Kommando des agrikolen Kapitals standen und nunmehr bloß unter die Botmäßigkeit des industriellen Kapitals kommen. Marx hatte dabei augenscheinlich englische Verhältnisse auf hoher Stufe der kapitalistischen Entwicklung im Auge. Hingegen behandelt er in diesem Zusammenhang nicht die Frage, woher dieses städtische und ländliche Proletariat beständig zufließt, berücksichtigt nicht die in den europäischen Verhältnissen des Kontinents wichtigste Quelle dieses Zuflusses: die ständige Proletarisierung der ländlichen und städtischen Mittelschichten, den Verfall der bäuerlichen Wirtschaft und des handwerksmäßigen Kleingewerbes, also gerade den ständigen Übergang der Arbeitskräfte aus nichtkapitalistischen Verhältnissen in kapitalistische, als Ausscheidungsprodukt nicht der kapitalistischen, sondern vorkapitalistischer Produktionsweisen in dem fortschreitenden Prozeß ihres Zusammenbruchs und ihrer Auflösung. Hierher gehört aber nicht bloß die Zersetzung der europäischen Bauernwirtschaft und des Handwerks, sondern auch die Zersetzung der verschiedensten primitiven Produktions- und Gesellschaftsformen in außereuropäischen Ländern.
Sowenig die kapitalistische Produktion sich auf die Naturschätze und Produktivkräfte der gemäßigten Zone beschränken kann, vielmehr zu ihrer Entfaltung der Verfügungsmöglichkeit über alle Erdstriche und Klimate bedarf, sowenig kann sie mit der Arbeitskraft der weißen Rasse allein auskommen. Das Kapital braucht zur Nutzbarmachung von Erdstrichen, in denen die weiße Rasse arbeitsunfähig ist, andere Rassen, es braucht überhaupt die unumschränkte Verfügungsmöglichkeit über alle Arbeitskräfte des Erdrunds, um mit ihnen alle Produktivkräfte der Erde - soweit dies in den Schranken der Mehrwertproduktion möglich - mobil zu machen. Diese Arbeitskräfte findet es aber meist in festen Banden überkommener vorkapitalistischer Produktionsverhältnisse, aus denen sie erst "befreit" werden müssen, um in die tätige Armee des Kapitals enrolliert zu werden. Der Prozeß der Ausscheidung der Arbeitskräfte aus primitiven sozialen Verhältnissen und ihr Aufsaugen durch das kapitalistische Lohnsystem ist eine der unumgänglichen historischen Grundlagen des Kapitalismus. Die englische Baumwollindustrie als erster echt kapitalistischer Produktionszweig wäre unmöglich nicht bloß ohne die Baumwolle der Südstaaten der nordamerikanischen Union, sondern auch ohne die Millionen Afrikaneger, die nach Amerika verpflanzt wurden, um die Arbeitskräfte für die Plantagen zu liefern, und nach dem Sezessionskriege als freies Proletariat der kapitalistischen Lohnarbeiterklasse zugewachsen sind.199 Die Wichtigkeit des Bezuges von erforderlichen Arbeitskräften aus nichtkapitalistischen Gesellschaften wird dem Kapital sehr fühlbar in der Form der sogenannten Arbeiterfrage in den Kolonien. Der Lösung dieser Frage dienen alle möglichen Methoden der "sanften Gewalt", um die anderen sozialen Autoritäten und Produktionsbedingungen untergeordneten Arbeitskräfte von diesen loszulösen und dem Kommando des Kapitals zu unterstellen. Aus diesem Bestreben ergeben sich in den Kolonialländern die seltsamsten Mischformen zwischen modernem Lohnsystem und primitiven Herrschaftsverhältnissen.200 Diese illustrieren handgreiflich die Tatsache, daß die kapitalistische Produktion ohne Arbeitskräfte aus anderen sozialen Formationen nicht auszukommen vermag.
Marx behandelt freilich eingehend sowohl den Prozeß der Aneignung nichtkapitalistischer Produktionsmittel wie den Prozeß der Verwandlung des Bauerntums in kapitalistisches Proletariat. Das ganze 24. Kapitel im ersten Band des "Kapitals" ist der Schilderung der Entstehung des englischen Proletariats, der agrikolen kapitalistischen Pächterklasse sowie des industriellen Kapitals gewidmet. Eine hervorragende Rolle im letzteren Vorgang spielt in der Marxschen Schilderung die Ausplünderung der Kolonialländer durch das europäische Kapital. Dies alles aber wohlgemerkt nur unter dem Gesichtswinkel der sogenannten "primitiven Akkumulation". Die angegebenen Prozesse illustrieren bei Marx nur die Genesis, die Geburtsstunde