»Ich habe keine Neigung, mich in fremde Korrespondenz zu mischen.«
»Wenn Sie nicht wollen… ich kann Ihnen jedoch versichern und auch Ihnen, Herr von Iversen, daß es sehr erwünscht wäre, wenn Herr Eisenecker diesen Brief läse. Vielleicht, daß dann gewisse schwere Verdachtsmomente gegen Herrn von Iversen entkräftet werden könnten.«
Eisenecker schaute zu Iversen hinüber. Auf dessen Gesicht war deutlich zu lesen, daß er in sichtlicher Bedrängnis war.
»Gestatten Sie, Herr von Iversen?« Eisenecker deutete dabei auf den Brief. »Ich möchte Ihnen helfen.«
Der kämpfte lange mit sich.
»Bitte!« Fast tonlos kam es von seinen Lippen. Eisenecker las den Brief. Gab ihn dann dem Kommissar zurück.
»Herr Kommissar, ich habe nach der Lektüre dieses Briefes nicht den geringsten Zweifel an der Identität dieses Herrn.«
Der Kommissar wiegte den Kopf.
»Es wäre sehr günstig für Sie, Herr von Iversen, wenn es so ist, wie Herr Eisenecker sagt.«
Einen Augenblick sah der Kommissar die beiden prüfend an.
»Noch einen Moment, meine Herren.« Er ging in den Nebenraum, wo sich der Hut Iversens befand, und maß mit einem Stahlband dessen Weite. Dann warf er einen Blick auf das Signalement Iversens… und nickte wiederum. Der Hut war in der Tat eine Nummer zu klein. Es war möglich, daß wirklich ein Windstoß ihn zur Erde geworfen hatte.
Er kehrte in den großen Raum zurück.
»Herr von Iversen, Sie haben Glück gehabt. Wollen Sie Ihre Sachen wieder an sich nehmen? Meine Herren, Sie sind beide entlassen. Die Angelegenheit, um derethalben wir Sie hierherbemühen mußten, ist aufgeklärt.«
Mit einer leichten Verbeugung verließ Eisenecker die Wache.
Vierzig Kilometer von der friesischen Küste entfernt liegt die kleine Insel Warnum in der Nordsee. Eigentlich nur eine große Hallig. In vergangenen Jahren die Heimat einiger weniger Fischer. Dann kamen die Riggers-Werke, kauften die Insel und verlegten dorthin ihre riesigen Laboratorien für das Studium der Atomenergie.
Seit jener Zeit war das Werk auf Warnum das Lieblingskind, aber auch das Schmerzenskind des Generaldirektors Harder.
»Ich gehe auf einige Wochen nach Biarritz.« Mit diesen Worten hatte er sich neulich in Berlin von den Physikern des Werkes verabschiedet. Wer von Berlin nach Biarritz will, der muß nach Süden fliegen. Warnum in der Nordsee liegt nicht an seinem Wege. Als aber die Privatjacht des Generaldirektors, die ihn und Mette nach Biarritz bringen sollte, am Bismarckdamm aufstieg und den Kiel nach Süden reckte, ergriff er das Telefon und befahl dem Piloten, den Kurs über Warnum zu nehmen und dort zu landen.
Der Gedanke, daß nicht nur der eine, der Tote, das erreicht hatte, was dort immer noch vergeblich erstrebt wurde… nein, weit mehr noch der andere viel quälendere, daß nun auch der zweite… der Lebende, es besaß, der Gedanke raubte ihm die Ruhe bei Tag und den Schlaf bei Nacht. Der Gedanke trieb ihn noch einmal hierhin, bevor er zur Erholung nach Süden flog.
Leicht senkte sich der große graue Vogel auf die leise atmende See und schwamm, bis er dicht neben der Mole von Warnum lag. Taue wurden festgemacht und Planken herangeschoben.
Und dann stand Harder zwischen seinen Physikern und Ingenieuren, die ihn längst weit im Süden wähnten. In ihrer Begleitung schritt er durch die weiten Hallen, von Station zu Station, von Prüffeld zu Prüffeld. Hörte ihre Berichte, und immer düsterer wurde sein Blick, immer faltiger seine Stirn.
»Wie stark das Feld hier?«
Der Oberingenieur warf einen kurzen Blick auf den Zeiger eines Meßinstrumentes.
»Vier Millionen Gauß, Herr Generaldirektor.«
»Zu wenig!… Zu wenig!« Harder stieß es zwischen den Zähnen hervor. »Die Veränderungen? Was haben Sie beobachtet? Wie verhält sich das Eisen in diesem Felde?«
»Starke Atomveränderungen, Herr Generaldirektor. Chrom, Titan, Kalzium sicher nachgewiesen. Die Heliumlinien bei der Spektraluntersuchung unverkennbar…«
»Das ist nicht genug, Herr Doktor. Das genügt mir nicht… bei weitem nicht… das muß ganz anders werden.«
»Herr Generaldirektor, wir haben trotz mancher… ich muß es offen aussprechen, recht schwerer Bedenken die Feldstärke in einem anderen Stand weitergetrieben. Dort drüben in Stand sechzehn.«
»Wie weit?… Wie stark ist das Feld?«
»4,2 Millionen Gauß, Herr Generaldirektor.«
»4,2 Millionen… und die Erfolge?«
»Der Gehalt des behandelten Eisens an dem von mir genannten Stoff ist dort erheblich stärker. Es ist außer Zweifel, daß in diesem stärkeren Felde mehr Eisenatome aufgebrochen werden. Wir hatten dort in chemisch reinem Eisen, nachdem es fünf Minuten im Felde war, einen Chromgehalt von fünfzehn Prozent.«
»Und dann?… und was weiter? Was war nach zehn und zwanzig Minuten? Bitte, Herr Doktor, halten Sie mit Ihrer Wissenschaft nicht hinter dem Berge.«
»Der Chromgehalt nahm weiter langsam zu, Herr Generaldirektor. Aber nicht mehr so schnell wie in den ersten Minuten des Versuches.«
Harder schlug mit der Faust auf einen Werktisch, daß die Gläser und Retorten auf ihm durcheinanderfielen und in Splitter gingen. Die Adern seiner Stirn schwollen drohend an, »Und das nennen Sie nach meinen Anordnungen handeln, Herr Doktor? Habe ich nicht ausdrücklich bei unserer letzten Zusammenkunft gesagt, daß wir schnell und zielbewußt weiterkommen müssen?… Habe ich Ihnen damals nicht die Gründe auseinandergesetzt, weswegen das für uns unter allen Umständen notwendig… geradezu eine Lebensfrage für die Riggers-Werke ist? Schnell und zielbewußt habe ich gesagt, Herr Doktor. Hier ist weder von Schnelligkeit noch von einem Ziel etwas zu merken.«
Der Gescholtene schwieg. Er wußte aus langer Erfahrung, daß in diesem Zustande mit dem Generaldirektor nicht gut Kirschen essen war.
»Das ist Ihre größte Feldstärke, Herr Doktor?«
»So ist es, Herr Generaldirektor.«
Harder drehte sich kurz auf dem Absatz herum und ging in das Konferenzzimmer.
»Bitte, Herr Doktor, die anderen Herren auch hierher!«
In kurzer Zeit war der ganze Stab des Warnum-Werkes um den Gewaltigen versammelt. Mit finsteren Blicken musterte er die Versammelten. Sie senkten den eigenen Blick davor, denn sie sahen, daß das Barometer auf Sturm stand. Dann sprach er. Rauh und abgebrochen kamen die Worte von seinen Lippen.
»Meine Herren! Für das, was ich heute hier gesehen habe, gibt es nur zwei Erklärungen. Unfähigkeit… oder Feigheit.«
Ein dumpfes Murren ging durch die Runde.
»Jawohl, Feigheit, meine Herren. Die Möglichkeit besteht, denn an einen solchen Grad von Unfähigkeit kann ich kaum glauben.«
Wieder wollten sie aufbegehren, und wieder traf sie ein Blick, der alles schweigen ließ.
»Ich sagte Ihnen bereits in Berlin, daß der theoretische Wert der Feldstärke bei fünf Millionen Gauß liegt. Sie haben hier die technischen Mittel, um diese Feldstärke zu erreichen. Warum wurde sie noch nicht erreicht? Bitte, Herr Doktor.« Er wandte sich an den Oberingenieur. »Bitte, Herr Doktor, wollen Sie oder will einer der anderen Herren mir darauf eine klare Antwort geben.«
Ein drückendes Schweigen. Dann raffte sich der Oberingenieur zur Antwort zusammen.
»Sie sagten selbst, Herr Generaldirektor, bei unserer letzten Konferenz in Berlin, daß Montgomery die Atomenergie vielleicht schon mit schwächeren Feldern gewonnen hat. Deshalb…«
»Ich sagte: