»Und die diplomatischen Verwicklungen, die sich daraus mit Sicherheit ergeben dürften … schwierige diplomatische Verwicklungen …« Der Präsident sprach es.
Walter Uhlenkort zuckte die Achseln. »Herr Präsident, diplomatische Verwicklungen schwieriger Art entstehen immer nur dann, wenn das Schwert locker sitzt. Wir müssen mit der Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung rechnen.«
Juanita Alameda entstieg dem Kraftwagen und betrat die Vorhalle des Delarey-Hotels in Kapstadt. Einen Augenblick verweilte sie im Vorbeigehen bei dem Portier.
»In einer halben Stunde wird ein Angestellter des Modehauses Princeton & Williams kommen, um mir eine Auswahl vorzulegen.
Lassen Sie ihn in mein Zimmer führen.«
»Sehr wohl, gnädige Frau!«
Eine halbe Stunde später fuhr der Liftboy einen Herrn mit diversen Kartons hinauf und geleitete ihn in Juanitas Wohnzimmer.
»Der Herr von Princeton & Williams!«
Juanita erhob sich vom Schreibtisch.
»Ganz recht. Lassen Sie sehen, was Sie gebracht haben.«
Mit einer tiefen Verbeugung trat der Ankömmling auf die Dame zu.
Doch kaum hatte der Liftboy das Zimmer verlassen, als er sich aufrichtete und mit gedämpfter Stimme sagte: »Bitte, meine Gnädigste?«
Juanita trat dicht an ihn heran und flüsterte ihm kaum hörbar das Schlüsselwort zu. Dann trat sie zurück und sprach wieder mit lauter Stimme.
»Bitte, wollen Sie die Stoffe hier auf diesem Tisch ausbreiten … Hier, ja! … Die Farbe ist doch … Ob es mich kleiden wird?«
»Wir können einen kleinen Versuch machen. Vielleicht darf ich Ihnen den Stoff über die Schulter hängen?«
Etwas umständlich bemühte er sich, die Stoffe über der Figur Juanitas zu drapieren. Bald trat er ein paar Schritte zurück, als wolle er die Wirkung besser beurteilen. Bald stand er wieder unmittelbar neben ihr, zog hier und dort eine Falte zu Recht und sprach.
Sprach laut wie ein eifriger, pflichtbewußter Verkäufer von Princeton & Williams, wenn er entfernt vor ihr stand, und flüsterte unhörbar, wenn er dicht bei ihr die Stoffe zu Recht zog.
Juanita stand, ließ sich behängen und drapieren und schrieb all die Dinge, die ihr zugeflüstert wurden, in ihr Gedächtnis ein wie in eine Schreibtafel. Machte dazwischen laute Bemerkungen, die auf die Anprobe Bezug hatten. Bis nach einer halben Stunde der Angestellte von Princeton & Williams, die Anprobe für beendet hielt und sich anschickte, seine Kartons zusammen zupacken. Da flüsterte sie noch eine Frage. Ohne besonderen Zusammenhang mit dem Bisherigen fragte sie:
»Sind sonst noch Nachrichten?«
Erhielt im gleichen Flüsterton die Antwort.
»Jawohl! Unter Chiffre Omega zusenden: Christie Harlessen, zurzeit als Schulreiterin Kapstadt, Zirkus Briggs.«
»Senden Sie dies selbst weiter!« Und dann wieder laut: »Lassen Sie das Gewählte hier!«
Sie drückte auf einen Knopf. Der Liftboy erschien. Der Herr von Princeton & Williams empfahl sich mit seinen Kartons.
Als er gegangen war, stand Juanita wohl eine Minute regungslos wie eine Bildsäule. Ihre Fäuste ballten sich. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie raffte sich auf. Kaltes Blut, Juanita! Erst die Depesche an den Kaiser! Sie nahm wieder am Schreibtisch Platz und begann, nach dem Gedächtnis niederzuschreiben, was sie gehört, was sie Wort für Wort ein gesogen, sich eingeprägt hatte. Und dann lag es vor ihr, und sie begann, das geschriebene in die Chiffre zu setzen.
Ein Telegramm, welches die Unterredung von Anfang bis zu Ende enthielt, die Uhlenkort vor einer Stunde mit dem Staatspräsidenten gehabt hatte … Maßnahmen gegen die wachsende Übermacht des schwarzen Kaiserreichs. Mitteilungen über eine bedeutend zu verstärkende europäische Einwanderung, hauptsächlich entlassene oder noch zu entlassende europäische Soldaten. Nachrichten über große Lieferungen von Kriegsmitteln.
Dann nahm sie einen Kristallflakon aus ihrem Toilettenkoffer, goß etwas von seinem Inhalt in ein Glas, legte den Entwurf des Telegramms hinein und wartete, bis das Papier sich in der Flüssigkeit völlig auflöste, zu einem Nichts wurde. Und dann brachte sie das Chiffretelegramm selbst zum Hotelsender.
Auf dem Rückweg rief sie den Portier an.
»Einen Logenplatz für die Zirkusvorstellung heute Abend!«
Sie trat wieder in ihr Zimmer. Ruhelos lief sie auf und ab, sang und dachte dabei. Ah! Was kann das sein? Dieser Eisblock! Du glaubtest einmal, er hätte ein Herz … kein Mensch … ein Eisblock … und jetzt … nein … ich werde sehen … und handeln.
Klaus Tredrup trat in Uhlenkorts Zimmer.
»Hallo, Bas! Endlich fertig? Eben sah ich Herrn Rasmussen durch die Vorhalle schreiten. Die Mienen des Herrn schienen mit recht bewölkt.
Er hat auch am Ende Gründe stärkster Art«, fuhr Tredrup fort, als Uhlenkort nichts erwiderte.
»Sitzt da als Leiter der Uhlenkortschen Zinnminen im Aufmarschgelände, fast möchte ich sagen, auf den zukünftigen Schlachtfeldern zwischen Schwarz und Weiß mitten im Hereroland …«
Ein Scherzwort, das auf seinen Lippen schwebte, blieb unausgesprochen als Walter Uhlenkort sich an seinem Schreibtisch umwandte und Tredrup ins Gesicht sah, auf dem tiefe Abspannung lagerte.
»Genug für heute, Herr Uhlenkort! Genug! Ich bin nur ein freier Vogel, dessen ganze Habe in einem hellen Kopf und zwei gesunden Fäusten besteht. Ich kann mich vielleicht nicht so ganz in Ihre Lage versetzen. Aber das glaube ich doch, glaube ich sicher, daß es für heute genug ist. Genug der Arbeit und der Sorgen! Suchen wir irgendeine Zerstreuung! Kapstadt ist nicht arm daran.«
»Sie haben recht, Herr Tredrup«, erwiderte Uhlenkort mit einem schwachen Lächeln. »Ich nehme an, daß Sie den Vergnügungsanzeiger eingehend studiert haben, und bitte um Ihre Vorschläge. Ich füge mich allem.«
»Lachen Sie oder lachen Sie nicht! Ich schlage vor, wir sehen uns ein Zirkusprogramm an, und zwar ganz, nicht nur teilweise, wie neulich in Timbuktu.«
»Zirkus? Schon wieder Zirkus? Sind Sie ein so großer Verehrer der Zirkuskunst, Herr Tredrup?«
»Offen gestanden, ja. Ich weiß Mut und Kräfte zu schätzen, wo immer sie sich zeigen. Die letzten Jahre mußte ich mein Leben größtenteils in Weltgegenden verbringen, wo ein Zirkus nicht einmal dem Namen nach bekannt war. Daher lasse ich die Gelegenheiten, etwas Derartiges zu sehen, nur ungern vorübergehen. So las ich die Nachricht, daß der Zirkus Briggs hier gastiert, mit großem Vergnügen.«
»Zirkus Briggs?« Uhlenkort horchte auf. »Briggs?«
»Jawohl, Herr Uhlenkort.«
Uhlenkort hatte seine Brieftasche gezogen und blickte auf das letzte Telegramm des Pinkerton Office.
»Gut! Sehr gut, Herr Tredrup! Gehen wir in den Zirkus. Wie spät ist es?«
»Eben acht Uhr. Wenn wir uns beeilen, werden wir zu Nummer fünf des Programms noch zurechtkommen. Vier Nummern haben wir ja in Timbuktu gesehen.«
»Richtig, Herr Tredrup.« Uhlenkort lachte. »Und dann gingen wir damals zum Obermoser.«
Ein Kraftwagen brachte sie schnell zum Zirkus.
»Sagt’ ich’s nicht?« rief Tredrup. »Wir treffen es genau. Die fünfte Nummer. Die fliegenden Geschwister am hohen Trapez fangen eben mit ihrem Fliegen an. Gott sei Dank, das Publikum ist hier doch etwas weniger gefärbt. Zwar nach der Galerie zu auch stark Melange. Aber das läßt sich ertragen.«
Mit Interesse folgten beide dem tollkühnen Treiben da oben am Zirkushimmel.
»Allerdings