»… Und so wollen Euer Majestät die Gnade haben, den ersten Sprengschuß auf das nächste Tausend zu lösen …«
Tiefe Stille in der Menge. Wieder berührte die Hand des Kaisers einen Hebel. Walter Uhlenkort, der hinter dem europäischen Botschafter stand, hatte das Chronometer gezogen und zählte die Sekunden.
Bei einer Schachttiefe von fünftausend Meter mußte der Schall der Explosion vom Grunde des Schachtes bis zur Mündung sechzehn Sekunden brauchen.
»… dreizehn … vierzehn … fünfzehn …«, murmelten seine Lippen, »… sechzehn …«
Im gleichen Moment drang ein Schall aus dem Schachtmund, ein Schall, der viele in der Runde erbleichen und erzittern ließ.
Die ungeheure Röhre des Schachtes ließ die Schallwellen der Explosion ungeschwächt, verstärkt durch den Widerhall, nach oben kommen. Minutenlang schien ständiger Donner der Schachtmündung zu entquellen. Es dauerte geraume Zeit, bis die Atmosphäre so weit zur Ruhe kam, daß menschliche Stimmen sich wieder vernehmbar machen konnten.
Der Kaiser sprach mit dem Chefingenieur. Man konnte aus den Nachbarlogen bemerken, daß sein Gesicht Züge einer ungewohnten Spannung trug. Man sah ihn auf die Uhr blicken und erregten Schrittes an der Brüstung der Loge hin und her gehen.
Der europäische Botschafter wandte sich zu Uhlenkort um.
»Noch etwas? Das Benehmen des Kaisers zeigt an, daß noch etwas Wichtiges zu erwarten steht. Haben Sie eine Vermutung?«
Uhlenkort zuckte die Achseln. Seine Augen waren starr auf den Kaiser und den Chefingenieur gerichtet, die offensichtlich in gespannter Erwartung, mit dem Blick auf die Uhr, dastanden. Da, ein neuer Klang aus der Tiefe! Ein schwaches Rollen gegenüber dem Getöse der letzten Sprengung. Uhlenkort sah, wie der Kaiser und der Chefingenieur zusammenzuckend aufhorchten … sah, wie der Chefingenieur hinwegeilte.
Allmählich merkte auch das übrige Publikum, daß hier etwas Neues, Unerwartetes, Großes im Gange war. In diesem Augenblick fuhr eine Förderschale von Sohle 1 dicht neben der Kaiserloge zu Tage. Über und über mit Palmenwedeln geschmückt.
Uhlenkort sah, wie der Chefingenieur an die Förderschale lief, dort einer Person irgendetwas aus den Händen riß. Tausende von Augen suchten zu erforschen, was wohl unter jenem weißseidenen Tuch verdeckt sein mochte.
Exzellenz Dührsen wandte sich wieder an Uhlenkort.
»Majestät lassen sich, scheint’s, die Trophäen des letzten Schusses – einige Gesteinsbrocken der sechsten Sohle – präsentieren. Uhlenkort!
Sie machen ja ein Gesicht, als ob Sie glaubten, Majestät hätten da unten das klare Gold geschossen!«
»Ungefähr! Herr Botschafter! Ich glaube, ich fürchte, daß …«
»Was, Sie meinen wirklich!«
»Sie werden sehr bald sehen, vielleicht auch riechen …«, erwiderte Uhlenkort mit einem nicht ganz freien Lächeln.
»Sie sprechen in Rätseln, Herr Uhlenkort.«
»Sehen Sie nach der Kaiserloge! Das Rätsel beginnt sich zu lösen.«
Der Chefingenieur war in die kaiserliche Loge getreten, hatte seine Last auf ein Tischchen gestellt. Jetzt zog er die weiße Hülle zur Seite.
Auf einer silbernen Schüssel lag ein kleiner Berg dunkelgrauer Gesteinsbrocken.
»Ah, das Küree! Die tiefsten, unbekanntesten Eingeweide der Erde!
Was will das werden?«
Der Chefingenieur beugte sich tief über die Schüssel, als ob er den Geruch jenes wunderlichen Gesteins einsaugen wolle. Augustus Salvator griff hinter sich, faßte einen gefüllten Weinkelch und goß ihn mit kurzem Ruck auf das Gestein.
Uhlenkort sah, wie es weiß aufbrodelte, wie das Gestein schäumte und aufbrauste.
»Was ist das?« flüsterte der Botschafter ihm zu.
»CaC2, Herr Botschafter!«
Einen Moment suchte der Botschafter nach Worten.
»Jawohl, Exzellenz, der Kaiser Augustus hat ein natürliches Karbidlager von unbekannten Abmessungen soeben erbohrt. Die Bedeutung dieses Fundes dürfte ungeheuer sein! Für Europa ein Schlag, dem es wehrlos gegenübersteht, augenblicklich wenigstens. Sie werden das bald an der Haltung des Kaisers in außenpolitischen Fragen verspüren.«
Ein Adjutant erschien und bat die Insassen der Loge zum Kaiser. Die diplomatische Vertretung der Welt versammelte sich um Augustus Salvator. Man sah, wie der Kaiser mühsam eine große innere Freude zu verbergen suchte. Dann gewann er die Fassung wieder und sprach mit einem verhaltenen Lächeln, das von einer gewissen Ironie nicht frei war.
»Meine Herren, als ich den ersten Spatenstich zu diesem Schacht tat in der Absicht, eine neue Energiequelle zu erbohren, erregte das in der Welt weniger Bewunderung als Verwunderung. Bis heute sind die Meinungen nicht verstummt, die dies Unternehmen als gelinde gesagt utopisch hinstellten. Das Grab unzähliger Milliarden, wie man den Schacht zu nennen pflegte. Hier der Erfolg!«
Er nahm einige Gesteinsbrocken und reichte sie den Umstehenden.
»Karbid! Meine Herren … reines Karbid, wie Sie sehen. Es war ein Dozent meiner Universität Timbuktu, dem die Ehre gebührt, die günstige, bergmännisch zu erbohrende Lage des natürlichen Karbids an dieser Stelle vorausgesagt zu haben. Ich gedenke heute, an diesem Tage, an erster Stelle dieses Mannes, den ein zu früher Tod von meiner Seite gerissen hat.
Wenn das Geheimnis bis heute gewahrt wurde, so waren dafür Gründe mannigfacher Art maßgebend. Meine Herren, von heute ab steht die Energiewirtschaft Afrikas auf eigenen Füßen.«
Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich der Kaiser. Tiefes Schweigen unter den zurückgebliebenen Diplomaten. Zu unerwartet waren ihnen diese Geschehnisse gekommen. Die Gesichter wurden lang und immer länger. Hier und dort begann ein leises Flüstern, dann ein Summen, Raunen und Rauschen. Uhlenkort wandte sich an den Botschafter.
»Gehen wir, Exzellenz! Es war eine wohl gelungene Vorstellung. Ein überraschtes Publikum wird vorläufig nichts anderes tun können, als den Akteuren zu applaudieren!«
Uhlenkort trat in das dritte Wellblechhaus der fünften Querstraße, zu dessen Entdeckung er bereits seit einer halben Stunde in der weit ausgedehnten Barackenstadt umhergeirrt war.
»Mr. Tredrup?«
Ein kleiner schwarzer Diener öffnete die Tür zu einem halbverdunkelten Raum. Noch bevor Uhlenkorts Augen sich an das Halblicht gewöhnt hatten, erklang eine Stimme hinter einem Bettschirm.
»Scher di rut, du swarten Satan, hebb ich die nich seggt, dat ich slopen will?«
»Na, Gott sei Dank, Mr. Tredrup! Die Snut geit noch. Wenn alles andere so klar ist, so soll’s gut sein.«
»Hallo, Mr. Uhlenkort! Sie sind’s?«
»Jawohl, mein lieber Herr Tredrup! Was machen Sie für Sachen?
Komme ich da von der Feier und muß hören, daß Sie Ihren Kopf hingehalten haben, wo Steine fallen …«
Das elektrische Licht flammte auf. Klaus Tredrup hatte den Schalter erwischt und richtete sich halb auf. Sein Schädel, von einem mächtigen Eisbeutel gekrönt, bot einen Anblick, der Uhlenkort unwillkürlich zum Lachen reizte.
Tredrup stimmte ein.
»Feiner Turban! Komme mir wie ein doppelter Hadschi vor. Freue mich riesig, daß Sie mich besuchen.«
Mit einer kräftigen Geste fegte er ein paar Kleidungsstücke vom nächsten Schemel und machte eine einladende Handbewegung.
»Wo kommen Sie her? Waren Sie dabei, bei dem großen Theater?«
»Jawohl,