Wie die Epikureer. Vgl. Laelius 9, 32.
In dieser Behauptung glaube ich die Stimme eines unvernünftigen Thieres, nicht eines Menschen zu hören. Du, dem die Gottheit oder die Natur 21 , die Mutter aller Dinge, wenn ich so reden darf, einen Geist, der das vorzüglichste und göttlichste Gut ist, verliehen hat, du willst dich selbst so wegwerfen und erniedrigen, daß du zwischen dir und einem Vierfüßler keinen Unterschied findest?
Ist wol irgend Etwas ein Gut, das den, der es besitzt, nicht wirklich besser macht? 15. Denn je größer der Antheil ist, den Jemand an einem solchen Gute besitzt, desto lobenswürdiger ist er, und es gibt kein Gut, dessen sich nicht der Besitzer mit Ehren rühmen könnte.
Was findet sich aber hiervon in der Sinnenlust? Macht sie den Menschen besser oder lobenswürdiger? Brüstet sich wol Einer sich rühmend und preisend, wenn er sinnliche Vergnügungen genießt?
Nun denn, wenn die Sinnenlust, die von so Vielen in Schutz genommen wird, nicht unter die Güter zu zählen ist, sondern vielmehr, je größer sie ist, um desto mehr den Geist gleichsam aus seiner Fassung bringt und von seinem Standpunkte verdrängt: so heißt gut und glückselig leben in der That nichts Anderes als tugendhaft und rechtschaffen leben.
Zweites Paradoxon
‘Ότι αυτάρκης η αρετὴ πρὸς ευδαιμονίαν.
Die Tugend genügt sich selbst zur Glückseligkeit.
Ueber Marcus Atilius Regulus s. zu Cato Kap. 20, §. 75. für mühselig noch für unglücklich oder elend gehalten. Denn nicht wurde seine Seelengröße von den Puniern gemartert, nicht sein gesetzter Charakter, nicht seine Zuverläßigkeit, nicht seine Standhaftigkeit, keine einzige seiner Tugenden, nicht endlich sein Geist, der unter dem Schutze und dem mächtigen Gefolge so vieler Tugenden, obwol sein Körper in Gefangenschaft gerieth, doch sicherlich selbst nicht in Gefangenschaft gerathen konnte. Den Gajus Marius 22 aber haben wir Cicero hatte als junger Mensch von 22 Jahren in dem Marsischen Kriege unter Marius gedient.. Bei günstigem Geschicke erschien er mir als einer der vom Glücke begünstigten Menschen, bei widrigem als einer der großen Männer: die größte Glückseligkeit, die einem zu Theil werden kann.
Vgl. Cicer. Tuscul. V. 12, 36: Cui viro ex se ipso apta sunt omnia, quae ad beate vivendum ferunt nec suspensa aliorum aut bono casu aut contrario pendere ex alterius eventis et errare coguntur, huic optime vivendi ratio comparata est.. Wem alle Hoffnung, Berechnung und Ueberlegung vom Schicksale abhängig ist, für den kann es nichts Gewisses geben, Nichts, wovon er mit Zuversicht wissen konnte, daß es ihm auch nur einen Tag verbleiben werde.
Triffst du einen solchen Menschen an, den magst du mit deinen Drohungen des Todes oder der Landesverweisung in Schrecken setzen; mir aber wird, was sich auch in einem so undankbaren Staate 23 ereignen mag, so begegnen, daß ich dagegen nicht ankämpfe, ja nicht einmal mich dessen weigere. Denn wozu hätte ich mich abgemüht, oder was hätte ich ausgerichtet, wozu hätte ich in Sorgen und Nachdenken die Nächte durchwacht, wenn anders ich nicht so viel gewonnen, nicht so viel erreicht hätte, daß ich mich in einem Zustande befände, den weder die Laune des Geschickes noch die Ungerechtigkeit meiner Feinde erschüttern kann?
Schon Sokrates hatte erklärt, er sei ein κόσμιος, κοσμοπολίτης ( mundanus), ein Weltbürger. Arrian. Epict. I, 9: Τί άλλο απολείπεται τοι̃ς ανθρώποις ὴ τὸ του̃ Σωκράτους, μηδέποτε πρὸς τὸν πυθόμενον, ποδαπός εστιν, ειπει̃ν, ότι Αθηναι̃ος ὴ Κορίνθιος, αλλ' ότι κόσμιος. Cicer. Tusc. V. 27, 108: Socrates quidem quum rogaretur, cujatem se esse diceret: Mundanum, inquit. Totius enim mundi se incolam et civem arbitrabatur. Diesen Satz nahmen später die Stoiker wieder auf. Vgl. Cicer. Fin. III. 19, 64. halten. Dich drückt alles Elend, alle Mühseligkeit, der du dich für glücklich, für angesehen hältst. Dich quälen deine Begierden. Du wirst Tag und Nacht gemartert, du, der du nicht genug hast an dem, was du hast, und besorgt bist, auch dieses möge von nicht langer Dauer sein. Dich stachelt das Bewußtsein deiner Missethaten; dich entseelt die Furcht vor den Gerichten und den Gesetzen. Wohin du auch blicken magst, stellen sich dir, wie Furien, deine ungerechten Thaten vor die Augen und lassen dich nicht aufathmen.
19. Sowie es also keinem bösen, thörichten und feigherzigen Menschen wahrhaft gut ergehen kann, ebenso kann kein guter, weiser und tapferer Mann unglücklich sein. Und fürwahr, wenn eines Menschen tugendhafter Charakter Lob verdient, so muß auch sein Leben lobenswürdig sein, sowie auch ein Leben, das lobenswürdig ist, nicht vermieden werden darf; nun aber müßte es vermieden werden, wenn es elend wäre. Darum geziemt es, daß man Alles, was lobenswürdig ist, zugleich auch als glückselig, herrlich und begehrenswerth ansieht.
Sowie die Sünden, so sind auch die guten Handlungen einander gleich 24 .
I. 20. Eine Kleinigkeit ist es, sagst du. – Aber groß die Schuld. Denn die Sünden sind nicht nach ihren Folgen, sondern nach den Lastern der Menschen zu bemessen. Der Gegenstand, worin man sündigt, kann freilich bald wichtiger bald geringer sein; das Sündigen selbst aber, nach welcher Seite du dich auch hinwenden magst, ist immer einerlei.
Mag ein Steuermann ein Schiff mit Gold oder eines mit Spreu scheitern lassen; in der Sache selbst findet ein nicht unbedeutender Unterschied statt, in der Unkunde des Steuermanns aber keiner. Die Wollust hat sich an einem Frauenzimmer von niedrigem Stande versündigt; der Schmerz trifft Wenigere, als wenn sie ihr freches Spiel mit einer edlen und vornehmen Jungfrau getrieben hätte; gesündigt aber hat sie um Nichts weniger, wenn anders sündigen so viel heißt als die Schranken übertreten. Und hast du dieses gethan, so ist die Schuld begangen. Wie weit du alsdann darüber hinausschreitest, sobald du sie einmal übertreten hast, das trägt zur Vermehrung deiner Schuld Nichts bei. Zu sündigen ist sicherlich Niemandem erlaubt. Was aber nicht erlaubt ist, das wird durch den Umstand allein als strafbar anerkannt, wenn bewiesen wird, daß es nicht erlaubt sei. Wenn nun dieses Erlaubtsein niemals weder in größerem noch in kleinerem Grade stattfinden kann, – denn man sündigt insofern, als Etwas nicht erlaubt ist, und dieses ist immer eines und dasselbe; – so müssen auch die Sünden, die hieraus entspringen, natürlich einander gleich sein.
21. Wenn nun die Tugenden einander gleich sind, so müssen es auch nothwendig die Laster sein. Nun aber läßt es sich sehr leicht begreifen, daß die Tugenden einander gleich sind, und daß Niemand besser als der gute, mäßiger als der mäßige, tapferer als der tapfere, weiser als der weise Mann werden kann. Oder würdest du wol denjenigen einen guten Mann nennen, der eine ohne Zeugen bei ihm niedergelegte Summe, obwol er zehn Pfund Goldes ungestraft gewinnen könnte, wiedergibt, wenn ebenderselbe bei zehntausend Pfund nicht ein Gleiches thäte? oder einen mäßigen, der sich in der einen Leidenschaft zu bezähmen weiß, in der anderen hingegen sich ganz gehen läßt?
Der Ausdruck » gerade Handlungen ( recte facta)« ist von der geraden Linie hergenommen. Die Stoiker vermischen hier, wie Wyttenbach richtig bemerkt, das geometrische Gerade mit dem moralischen. Alle geraden Linien sind auf gleiche Weise gerade; aber darum sind nicht alle krummen auf gleiche Weise krumm., und Nichts gerader als gerade ist; so läßt sich sicherlich auch Nichts auffinden, was besser als gut wäre. Hieraus