Kap. XX. (§ 56.) Später hat Dein feiner Punier (denn Du weisst ja, dass die Einwohner von Citium, Deine Klienten, aus Phönizien stammen), ein scharfsinniger Kopf, da er sah, dass er in der Sache nicht obsiegen könne und die Natur dem widerstreite, angefangen, die Worte zu verdrehen; zunächst gab er zu, dass die Dinge, welche wir für Güter halten, angemessen, passend und unsrer Natur entsprechend seien, und er begann einzuräumen, dass für den Weisen, d.h. für den höchst Glücklichen es doch angenehmer sei, wenn er das besitze, was er zwar Güter zu nennen nicht wagte, aber als naturgemäss anerkannte. Er behauptete daher nicht, dass Plato, sofern er nicht als Weiser gelten könne, in demselben Zustande wie der Tyrann Dionysius sich befunden habe; denn für Diesen sei das Sterben das Beste gewesen, weil an seiner Weisheit verzweifelt werden musste, während für Jenen das Leben besser gewesen, da er noch die Hoffnung auf Erlangung der Weisheit hatte. Ebenso erkannte er an, dass manche Fehler erträglich seien, andere nicht; weil manche mehr, andere weniger Pflichten verletzen, und dass unter den Unwissenden Manche der Art wären, dass sie die Weisheit niemals erlangen könnten, während Andere, wenn sie entsprechend gehandelt hätten, dies vermocht haben würden. (§ 57.) Dieser Mann sprach allerdings anders wie die übrigen Stoiker, allein innerlich dachte er doch wie sie. Indess schätzte er das, was er selbst als Güter nicht anerkennen wollte, nicht geringer als Die, welche es für Güter erklärten. Was hat er daher mit dieser Veränderung der Worte bezweckt? Er hätte wenigstens etwas von dem Gewichte bei diesen Dingen abnehmen und sie ein wenig geringer als die Peripatetiker schätzen sollen, damit man gesehen, er spreche nicht blos anders, sondern habe auch eine andere Meinung. Aber was sagt Ihr nun über das glückliche Leben, auf welches Alles bezogen wird? Ihr bestreitet, dass es jenes sei, was im Besitz Alles dessen ist, was die menschliche Natur begehrt; vielmehr setzt ihr es in die Tugend allein. Wenn nun aller Streit entweder über die Sache oder über deren Namen geführt wird, so entsteht ein solcher nach beiden Beziehungen, wenn man entweder die Sache nicht kennt oder in deren Namen sich irrt; ist keines von beiden der Fall, so soll man sich sorgfältig derjenigen Worte bedienen, welche die gebräuchlichsten und passendsten sind, d.h. welche die Sache selbst am besten bezeichnen. (§ 58.) Vielleicht kann man aber zweifeln, ob nicht die Alten, wenn sie auch in der Sache nichts versehen haben, doch in den Worten sich passender hätten ausdrücken können; wir wollen also zunächst ihre Ansichten untersuchen und dann auf die Worte zurückkommen.
Kap. XXI. Nach ihnen wird das Begehren in der Seele erweckt, wenn ihr Etwas als naturgemäss erscheint; alles Naturgemässe sei aber schätzenswerth und zwar jedes nach seiner Bedeutung. Von dem Naturgemässen habe ein Theil nichts von dem oft genannten Verlangen in sich; und es gelte weder als sittlich noch als löblich; ein anderer Theil errege in allem Lebendigen die Lust und bei dem Menschen auch die Vernunft. Von Letzterem werde das Passende sittlich, schön und lobenswerth genannt; das Andere heisse das Natürliche, und dieser Theil, verbunden mit dem Sittlichen, vollende das glückliche Leben. (§ 59.) Von allen jenen angenehmen Dingen, die sie zwar Güter nennen, aber die sie nicht höher stellen, als Zeno, welcher leugnet, dass sie zu den Gütern gehören, ist das Sittliche und Löbliche bei Weitem das vorzüglichere; wenn aber ein zwiefaches Sittliche vorliege, von denen das eine mit Gesundheit, das andere mit Krankheit verbunden ist, so könne man zwar darüber nicht zweifeln, zu welchem von beiden die Natur selbst uns führen werde; allein trotzdem sei die Macht der Sittlichkeit so gross und sie übertreffe alles Andere so sehr, dass der Mensch sich durch keine Strafe und keinen Lohn von dem abbringen lassen werde, was er als recht erkannt habe; vielmehr könnten alle Schwierigkeiten, Widerwärtigkeiten und Unfälle durch die Tugenden, mit welchen die Natur uns geschmückt habe, zu nichte gemacht werden. Dies sei zwar nicht so leicht und jene Dinge seien von Bedeutung; denn was hätte man sonst so Grosses an der Tugend; aber unser Urtheil müsse immer dahin gehen, dass in diesen Dingen nicht die Hauptsache für das glückliche oder unglückliche Leben enthalten sei. (§ 60.) Kurz, die Dinge, welche Zeno schätzbar, annehmbar und naturgemäss genannt hat, nennen Jene Güter, und das glückliche Leben besteht nach ihnen aus den genannten Dingen, oder wenigstens aus den meisten und wichtigsten davon. Zeno nennt dagegen nur das ein Gut, was wegen seiner eigenthümlichen Schönheit zu erstreben ist, und nur das ein glückliches Leben, was tugendhaft verlebt wird.
Kap. XXII. In der Sache selbst wird zwischen mir und Dir, mein Cato, keine Meinungsverschiedenheit bestehen; in der Sache sind wir überall einig; nur geben wir den Dingen verschiedene Namen. Auch Zeno hat dies wohl gewusst, allein er ergötzte sich an glänzenden und hochklingenden Worten; denn wenn er es so meinte, wie er sprach, so bliebe kein unterschied zwischen ihm und dem Pyrrho und Aristo. Wenn er aber mit Diesen nicht einer Meinung war, wozu nutzte es da, sich von Denen, mit welchen er in der Sache einig war, in den Worten zu trennen? (§ 61.) Wenn nun die Schüler des Plato und deren Zuhörer wieder lebendig würden und zu Dir sprächen: Wir hören, mein Cato, dass Du der Philosophie eifrig ergeben, ein Mann voll Rechtlichkeit, der beste Richter, der gewissenhafteste Zeuge seiest und wundern uns deshalb, weshalb Du uns den Stoiker nachsetzest, die über die Güter und Uebel ganz so denken, wie Zeno es von dem Polemo gelernt hatte, und nur sich solcher Ausdrücke bedienen, die zwar beim ersten Hören Bewunderung erwecken, aber wenn man ihren Sinn erkannt hat, nur das Lachen erregen. Wenn Du diese Ansichten billigst, weshalb hältst Du sie nicht mit den richtigen Worten fest? Wenn das Ansehn der Person Dich bestimmt hat, so ziehst Du also uns Allen und selbst dem Plato Einen, ich weiss nicht, wie ich ihn nennen soll, vor? Zumal da Du im Staate Dich auszeichnen willst, hättest Du von uns am besten ausgerüstet und belehrt werden können, um den Staat mit Deiner ganzen Würde zu schützen. Denn wir haben dies untersucht, beschrieben, verzeichnet und gelehrt, und über die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten und über die Arten, Zustände, Veränderungen, Gesetze, Einrichtungen und Sitten der Staaten ausführliche Bücher verfasst. Ebenso hättest Du für die Beredsamkeit, welche auch den vornehmsten Männern zur grossen Zierde gereicht und in welcher Du ein Meister sein sollst, aus den Denkmälern unsres Geistes Vieles lernen können. – Wenn jene Männer so zu Dir gesprochen hätten, was hättest Du ihnen wohl antworten können? – (§ 62.) Thue