Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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etwas zu sagen, was seinen Vater in der Sterbestunde kränken müßte. Der aber verstand ihn und antwortete mit matter Stimme: Du kennst nicht den Bundesbrief, Hans. Alles, was darin steht, ist gut und ehrenhaft, und wer ritterlich denkt, beschwört es gern. Schwach ist der einzelne; er braucht in allerhand Fährlichkeiten den stützenden Beistand der Genossen. Steh allein, und jeder Wicht reibt sich an dir; sei einer von vielen, und auch der Mächtige wagt keinen Angriff.

      Und was ich heut hab' erfahren müssen, Vater – Verrat des Hochmeisters –

      Sterbe ich nicht für seine gerechte Sache, mein Sohn? Ich sage dir, der Bundesbrief weiß nichts von solchen feigen, verräterischen Anschlägen. Aber es sind einige Schelme im Bunde, die meinen, weil sie Klagen und Beschwerden haben gegen den Orden, daß sie ihm absagen dürfen in der Not. Das ist ein gar unritterliches Tun und muß uns auch in Verruf bringen bei den Polen. Darum will ich eben, daß du dem Bunde beitrittst, damit du besser aufmerken kannst, was diese bösen Gesellen treiben, an deren Spitze Niklas von Renys steht. Bist du im Bunde, so dürfen sie nichts ratschlagen ohne dich, und leicht kannst du mit kluger Rede die Besseren gegen sie wenden, daß ihre Bosheit zuschanden wird. Es kommt eine schlimme Zeit über das Land, und der König von Polen wird seine Lockspeise auswerfen überallhin. Ich weiß, was er uns Gutsherren bietet, und an sich ist's nicht zu verachten. Aber solange der Orden nicht alle Macht verliert, uns zu schützen, und solange er uns bei unseren Rechten hält und sie mehrt, wollen wir unter deutscher Herrschaft bleiben. Dafür steh an meiner Stelle im Bunde – das gelobe mir!

      Hans kämpfte mit sich. Ich bin gewarnt, Vater, sagte er.

      Von wem gewarnt?

      Von dem edlen Komtur von Plauen.

      Ha, von der gnädigen Herren einem. Und ich, dein Vater, warne dich: schließe dich nicht aus von deinesgleichen. Hans, ich kann nicht ruhig sterben, wenn ich dich nicht gesichert weiß im Bunde. Nimm meine Marke mit der Eidechse – sie steckt in der Tasche, in der du den Schlüssel gefunden hast –, sie soll meines Erben ritterliches Siegel sein. Versprich mir, Hans –.

      Ein Krampf faßte seine Kinnbacken, er konnte nicht weitersprechen. Die Augen richteten sich ängstlich auf den Sohn. Hans konnte ihn nicht sterben lassen, ohne ihn beruhigt zu haben. Er zog die Marke mit der Eidechse aus der Gürteltasche, hob sie in die Höhe und rief: In Gottes Namen, Vater, ich will auch dieses Erbe übernehmen, wenn es mein Gewissen nicht belastet. Ich vertraue deinem Wort.

      Das Haupt des Ritters sank in seinen Arm zurück, die Augen schlossen sich für ewig.

      Hans ließ den entseelten Körper sanft auf die Erde gleiten, wühlte mit der Hand im losen Boden und legte ein Häuflein Erde auf seine Brust. Dann blickte er um. Rings Tote und Sterbende. Fern schon zogen die zusammengerafften Reste des Ordensheeres dem Dorfe zu, verfolgt von großen Schwärmen berittener Tataren, die dort bessere Beute zu machen hofften als auf dem Schlachtfelde, das ihnen ja auch später nicht entgehen könnte. Er stand auf und führte sein müdes Pferd, das von dem kurzen Heidegras abgerupft hatte, ohne sich weit zu entfernen, am Zügel langsam durch die schauerlichen Totengassen. Ein Wall von Leichen lag an der Stelle aufgehäuft, wo der Hochmeister zuletzt gekämpft hatte und gefallen war. Er lag ohne Rüstung da, sein Streitroß ohne Zaum- und Sattelzeug. Wahrscheinlich hatte man es vor der allgemeinen Plünderung in Sicherheit bringen wollen für den König. Auch den Gebietigern und Komturen waren meist die kostbareren Waffenstücke abgerissen.

      Als Hans von der Buche so langsam hinschritt, mit seinem Pferde sorgsam jedem gefallenen Schlachtgefährten ausweichend, fuhr er plötzlich entsetzt zurück. Da lag sein Freund Heinz von Waldstein auf dem Rücken, die Arme weit fortgestreckt, die Fäuste geballt, totenbleich mit geschlossenen Augen. Er ließ den Zügel aus der Hand und stürzte neben ihm nieder, hob den Kopf in seinen Arm und küßte Stirn und Mund wieder und wieder. Aus einer tiefen Wunde auf dem Scheitel sickerte das Blut, eine dunkle Lache im Grase zeigte an, wo der Kopf gelegen hatte, und nicht weit davon schaute noch unter dem braunen Heidekraut der geborstene Helm vor. Ein Pfeil stak in seiner Brust, und er zog ihn vorsichtig heraus. Oh, du Liebster, Teuerster, rief er laut, von wildestem Schmerz ergriffen, mußtest du hier dein junges Leben lassen, und mich traf des Feindes Schwert nicht! Wie gern lebtest du – wie heiter war dein Gemüt, wie voll Hoffnungen deine Seele! Und mit einem Schlage hin – alles hin. Heinz – Heinz, daß ich dich so wiederfinde!

      Tränen stürzten ihm aus den Augen und netzten die bleichen Wangen des gefallenen Freundes. Da gedachte er seines letzten Wunsches. Er zog ihm den Handschuh von der rechten Hand und streifte sanft den Ring mit dem blauen Vergißmeinnicht vom kleinen Finger. Er mußte ihn erst aufbiegen, da er sich fest zusammengekrampft hatte, und es war ihm einen Augenblick, als ob er ein Zucken der Hand fühlte. Aber er hatte sich getäuscht – der Körper lag leblos da.

      Er richtete ihn ein wenig auf und lehnte ihn gegen den Schenkel des Pferdes, so daß der Kopf einen Halt hatte. Noch eine Weile saß er neben ihm und schaute ihm traurig ins liebe Gesicht. Den Ring steckte er an die eigene Hand. Er dachte an Maria, die Heinz geliebt hatte, und dann an ein anderes, beiden teures Wesen – an Waltrudis, und wie sie um den Verlorenen weinen würden.

      Waltrudis! Da war's ihm, als ob ihm noch ein anderer Gedanke durch den Sinn ging. Der Kopf war ihm so dumpf und wüst, er konnte den Gedanken nicht gleich fassen und halten. Dann aber wurde es lichter und lichter in ihm. Ja, rief er, das ist deine nächste Pflicht! und sprang von der Erde auf. Noch einen Blick warf er auf den armen Freund, dann schwang er sich aufs Pferd und jagte davon, der scheidenden Sonne entgegen.

      Es war die höchste Zeit gewesen. Ein Trupp Polen kam eben dahergeritten. Sie schickten ihm ein Dutzend Pfeile nach, aber keiner traf ihn.

      Bald deckte ihn der Wald gegen weitere Nachstellung. Er ritt und ritt die ganze Nacht hindurch.

      15. HEINRICH VON PLAUEN

       Inhaltsverzeichnis

      Es war früh am Morgen, als Hans von der Buche die Türme der Burg Rheden sah. Er ritt auf die Brücke und rief dem Wächter zu: Sagt Eurem Herrn, daß die Schlacht verloren ist; er soll sein Haus vor den Polen hüten! Dann sprengte er weiter auf der Straße nach Buchwalde.

      Am Hoftor brach das Pferd unter ihm zusammen. Er selbst hielt sich nach zwei durchwachten Nächten kaum auf den Füßen; aber er wußte, was davon abhing, daß er jetzt nicht schwach würde, und faßte alle seine Kräfte zusammen. Vor dem Stall fand er den Kämmerer, der nicht wenig verwundert war, ihn so unerwartet rasch wiederzusehen. Von ihm erfuhr er, daß das Herrenhaus leer stehe, da die Gutsfrau und deren Tochter bald nach dem Abzuge des Ritters nach Schloß Sczanowo abgereist seien.

      Es war ihm eine Erleichterung, daß er für die Sicherheit der Frauen nicht zu sorgen hatte. Einer der Hofleute mußte sich sofort aufs Pferd werfen und zum Waldmeister eilen. Ein zweites Pferd für diesen wurde ihm mitgegeben. Der Alte sollte keinen Augenblick säumen, er habe Wichtiges mit ihm zu verabreden und könne diesmal nicht selbst zu ihm in den Wald hinaus. Der Kämmerer erhielt den Befehl, das stärkste und schnellste Pferd aus dem Herrenstall gut zu füttern und für ihn gesattelt zu halten. Dann erst ließ er sich Speise und Trank reichen, stärkte sich und streckte sich eine Weile auf seinem Bett aus. Sollte er einschlafen, so sei er sofort nach des Waldmeisters Ankunft zu wecken.

      Aber bei aller Müdigkeit wollte doch der Schlaf nicht kommen: die Aufregung war zu groß gewesen. Sowie die Augenlider zufallen wollten, schreckte er wieder auf. Er hörte noch immer das Donnern der Kanonen, das Klirren der Eisenwaffen, das Splittern der Lanzen, das Wiehern der Streithengste, das Geschrei der Kämpfenden. Und dann war es ihm, als ob er auf dem Hofe den Hufschlag von Rossen vernähme; aber so schnell konnte der Waldmeister auch bei größter Eile nicht eintreffen.

      Endlich kam Gundrat. Ihr habt mich rufen lassen, Junker, sagte er beim Eintreten mürrisch; was begehrt Ihr von mir?

      Hans sprang auf und reichte ihm die Hand. Mein Vater ist tot, antwortete er, gefallen bei Tannenberg in der Schlacht mit vielen Tausenden.

      Der Alte lüftete ein wenig die Kappe. So seid Ihr jetzt hier