Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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erschienen die Ritter in ihren weißen Mänteln, begierig zu hören, was zu so ungewöhnlicher Zeit zu beraten sei, und doch mit feierlichem Schweigen ihre Plätze aufsuchend und dort geduldig wartend, bis der ganze Konvent versammelt. Auf dem Gesicht ihres Komturs lasen sie wohl dessen tiefe Bekümmernis, über niemand wagte zu fragen. Als die Türen geschlossen waren, erhob Plauen sich von seinem Sitz, nahm sein Schwert in beide Hände und hielt es mit dem Kreuzgriff vor sich hin. Im Namen der Jungfrau Maria, sagte er, das Kapitel ist eröffnet.

      Dann teilte er den Brüdern mit, alles was er erfahren hatte, so schlimm es auch war. Diese Nachrichten erschütterten sie tief, aber bei aller Beunruhigung im Innern verlor doch keiner die würdige Haltung, zu der die Beratung im Kapitel verpflichtete; so gute Zucht hatte der strenge Komtur gehalten. Und nun schloß er seine Ansprache: Liebe Brüder! Nichts habe ich euch verschwiegen, obschon mein Herz blutete, es zu melden. Denn nie bisher, solange der Deutsche Orden besteht, hat er einen solchen Tag der Schmach erlebt und einen so tiefen Fall getan. Lasset uns deshalb nicht mutlos werden! Es will mir scheinen, daß Gott uns berufen habe, sein Werk in diesem Lande vor dem Untergang zu bewahren. Wer unter euch möchte dazu raten, uns in des Königs Macht zu geben, weil er unsere Schwäche bedenkt? Gott ist stark in denen, die ihn anrufen! Erwartet auch nicht Befehle von auswärts. Wer soll sie auch geben? Tot ist der Hochmeister, tot der Ordensmarschall. Von allen Gebietigern lebt vielleicht nur der Spittler, und er ist gebeugt von Alter und Krankheit. Wir selbst müssen handeln. Diese Burg Schwetz ist fest und gut versehen mit Waffen und Vitalien. Eine kleine Schar kann sie gegen den Feind im Notfall halten, und mein Vetter von Plauen ist im raschen Anzuge mit mehreren Fähnlein Söldnern, die der Besatzung helfen können. Aber die Marienburg ist in Gefahr! Aus den Briefen, die mir der Herr Hochmeister schreiben hieß, hab' ich ersehen, daß sie entblößt ist von Mannschaft, Geschütz und Vorräten jeder Art. Das Heer ist zersprengt; es ist niemand da, der es sammelt und aufnimmt in ihren Mauern. Leicht mag es dem Könige gelingen, wenn er den allgemeinen Schrecken und die Verwirrung benutzt, die schlecht bewachte Feste ohne Schwertschlag einzunehmen. In der Marienburg aber ist des Ordens Heil! Sie muß ihm erhalten werden, es koste, was es wolle! Darum ist mein Rat, zu handeln auf eigene Verantwortlichkeit und uns selbst Vollmacht zu geben, was wir zu des Landes Bestem halten zu tun. Ich will in so wichtigen Dingen nicht entscheiden ohne der Brüder Zustimmung. Aber ich weiß es, sie wird mir nicht fehlen. Wer meines Sinnes ist, der erhebe sich von seinem Sitz und sage: amen!

      Da wagte niemand sitzenzubleiben. Alle erhoben sie sich, die einen schneller, die anderen langsamer, und alle sagten amen, wenn auch nicht mit gleicher Freudigkeit. Denn mancherlei Bedenken stiegen in den älteren auf, ob die Nachrichten ganz zuverlässig seien, ob man zur Zeit die Burg erreichen werde, und ob man nicht in den gewissen Tod gehe, wenn des Königs siegreiches Heer ihnen den Weg vorwärts und rückwärts verlege. Nun sie ihren guten Willen gezeigt hatten, hielten sie auch nicht ganz zurück mit bescheidenen Vorstellungen, wie schwierig und unsicher das Unternehmen sei. Plauen aber rief: Es ist beschlossen, und nun mag Gott helfen, wenn er will! Ans Werk denn! Keine Stunde ist zu versäumen! Stehe ein jeder an seiner Stelle als ein ganzer Mann, und er wird Männer finden, die ihm dienen. Noch vor Abend muß unser Heerhaufe gerüstet sein und ausrücken. Es ist alles bereit. In drei Tagen können wir die Marienburg erreichen.

      Ohne Zögern gab er nun jedem der Ritter seine Befehle. Der Hauskomtur sollte als Pfleger in der Burg zurückbleiben und für ihre Verteidigung sorgen. Ein anderer erhielt Auftrag, in der Rüstkammer auszuwählen, was an Harnisch und Waffen entbehrlich. Ein dritter hatte die Fuhrwerke zu beschaffen und mit dem nötigen Proviant zu beladen. Ein vierter wurde nach den Vorwerken geschickt, eiligst die Pferde herbeizuholen. Und so gab es für jeden zu tun. Auch gingen reitende Boten ab an die vornehmsten Landesritter mit der Weisung, sich sofort auf dem Schlosse einzufinden. Ebenso wurde der Bürgermeister von Schwetz geladen. Der Komtur selbst ging ins Lager der Söldner und sprach mit den Hauptleuten. Sie sollten die Zelte abbrechen und auf Wagen laden, ihre Fähnlein aber marschfertig machen.

      Nur einen Teil seines Heerbannes hatte der Komtur schon ausgehoben. Mehr als sechzig Ritterdienste und vierzig Schützendienste waren im Gebiet der Komturei zu leisten. Die noch auf ihren Höfen geblieben waren und auf die Einmahnung warteten, wurden nun mit Boten beschickt und aufgefordert, sich unterwegs an vorbestimmten Orten anzuschließen. Aber auch für die Landesverteidigung in des Komturs Abwesenheit mußte gesorgt werden. Deshalb eben waren die Landesältesten aufs Schloß berufen. Sie versprachen, gute Ordnung zu halten. Im stillen bei sich aber mochte mancher denken: steht des Ordens Sache auf so schwanken Füßen, so dürfen wir nicht vergessen, daß wir des Königs von Polen nächste Nachbarn sind. Wir wollen vorsichtig zuwarten, daß wir nicht in Schaden kommen. Nur Herr Both von Ileburg schüttelte des Komturs Hand und sagte: Wem ich mich zugeschworen habe mit Leib und Leben, der soll mich allemal treu befinden. Verlaßt Euch auf mich.

      Erst spät am Nachmittage, als alle Anordnungen für den Heerzug getroffen waren und die Söldner schon in Rotten zusammentraten zur letzten Musterung, gedachte Plauen des jungen Freundes, den er nach der Unterredung in der Kapelle nicht mehr gesehen, aber in der Unruhe des Tages auch nicht vermißt hatte. Nun fragte er nach ihm, und er wurde in das Schlafhaus gewiesen. Dort fand er den Junker wirklich noch immer in tiefem Schlaf; wie man ihn hingelegt hatte, so lag er da; nicht die Hand oder den Arm hatte er gerührt, nur die Brust hob und senkte sich bei den regelmäßigen schweren Atemzügen.

      Der Komtur stand eine Weile neben seinem Lager und betrachtete ihn nachdenklich. Der Junker von der Buche war ihm keine Persönlichkeit gewesen, zu der er schnell Vertrauen fassen konnte. Auf den ersten Blick – damals bei der Begegnung im Hause des Ratmanns Clocz – hatte er sich eher abgestoßen gefühlt, er wußte selbst nicht den Grund davon. Lieber wäre es ihm gewesen, Heinz hätte sich diesen Gesellen nicht ausgesucht, der ihm etwas Unfaßliches hatte, das ihn beunruhigte. Auch der Gastaufenthalt im Schlosse hatte ihm den Junker nicht nähergebracht, und nun mußte der gerade ihm die Todesnachricht des jungen Freundes zuführen und des Ordens schwerste Niederlage berichten. Das verstärkte bei ihm das Gefühl der Abneigung. Und doch mußte er sich gestehen, daß der Junker sich redlich bemüht hatte, ihm und seinem Orden einen großen Dienst zu leisten, daß er alles Vertrauen verdiente und auf einen wärmeren Dank rechnen durfte, als der ihm zuteil geworden war. Er soll ihm werden, sprach er vor sich hin.

      Nun legte er die Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn ein wenig, um ihn zu erwecken. Es gelang nicht so leicht. Erst als er sich über ihn beugte und laut seinen Namen rief, schrak der Junker auf und sah ihn mit verwunderten Augen an. Wo bin ich –? fragte er schlaftrunken. Gleich darauf aber sprang er vom Lager auf. Oh, Ihr seid's gnädiger Herr –! Ich schlief gewiß lange – verzeiht!

      Gern hätte ich Euch länger Ruhe gegönnt, antwortete der Komtur, denn Eure Ermüdung nach dem scharfen Ritt muß groß sein. Aber in einer Stunde verlasse ich das Schloß und wollte Euch vor meiner Abreise noch gesprochen haben. Gedenkt Ihr nach Eurer Heimat zurückzukehren?

      Ich werde dort wenig nützen können, sagte Hans, sich den Schlaf aus den Augen reibend und sein Gedächtnis anstrengend, da alles, was in den letzten Tagen geschehen, ihm wie ein wüster Traum vorkam. Meine Meinung war, daß ich mich Euch zur Verfügung stellen wollte, wenn Euch mein Dienst genehm wäre. Ich war überzeugt, daß Ihr etwas Tapferes unternehmen würdet, und wollte dabei nicht gern fehlen. Deshalb setzte ich für alle Fälle in Buchwalde einen Verwalter ein; man erwartet mich dort nicht so bald.

      Der Komtur nickte freundlich. Ihr habt Euch in mir nicht getäuscht. Ich führe meine Mannschaft nach der Marienburg, zu sehen, ob ich sie gegen die Litauer und Polen halten kann. Wollt Ihr mir dahin folgen? Einen Mann mehr weiß ich zu schätzen.

      Von Herzen gern! rief der Junker. Gebietet über mich, gnädiger Herr!

      So hört, was ich Euch zu sagen habe. Ich will Euch ein Gut anvertrauen, das ich in den treuesten Händen wissen muß, wenn ich ruhig sein soll. Euch ist bekannt geworden, daß Heinz von Waldstein, den Ihr Euren Freund nanntet, eine Schwester –

      Waltrudis! Was kann für sie geschehen? Mein Blut und Leben –

      Hört mich zu Ende. Ich vertrete Vaterstelle bei der Waise, wie Ihr wißt, und meine Sorge um ihre Sicherheit ist daher gerechtfertigt. Es kann sein, daß der Feind die Stadt Schwetz nicht belästigt. Aber wahrscheinlicher dünkt mich's,