Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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Dienst. Nun konnten die Verwandten und Freunde für ihn nichts mehr tun; seine Sache war's, ihrer Empfehlung Ehre zu machen und sich als einen tapfern Kämpfer zu bewähren. Daß ihm dies gelingen werde, zweifelte er nicht, da ihm jetzt vollauf Gelegenheit geboten war. So kehrte er frohgelaunt in Wigands Zelle zurück.

      Seine Gedanken flogen hoch. Er war gerade in der Stimmung, sich durch die Erzählung von Meister Wallenrods Ehrentisch noch mehr anzufeuern. Und so ließ sich denn der Alte erbitten, den Abschnitt aus seinem Buche vorzulesen. Im Jahre des Heils 1393 war's, als Konrad von Wallenrod mit mehr als 50 000 fremden und eigenen Kriegern in Litauen einrückte, die Heiden mit dem Schwert zu züchtigen. Unaufhaltsam drangen sie vor. Auf einer Insel im Memelfluß unweit Kauen wurde der Ehrentisch unter einem prächtigen Zelt aufgestellt. Auf der Morgenseite des Flusses stand das Ordensheer, das der Ordensmarschall führte; gegenüber schauten die deutschen Kreuzfahrer, vom Großkomtur befehligt, dem Schauspiel zu. Zwölf Ehrenritter waren auserwählt und nahmen Platz an der Tafel. Damit jeder aus den beiden Heeren sehen könne, wurde das Zelt nach der Anrichtung weggezogen, den Tafelnden aber hielt man zum Schirm gegen die Sonne breite Hüte von goldenem Stuck übers Haupt, denn die Sonne war heiß und schien auf den Tisch, von dem das goldene Gefäß weithin erglänzte. Auf den Tisch trug man nichts auf als Gefäße ganz von Gold oder übergoldet. Dreißig Schüsseln wurden gereicht und zu jedem Gericht neue Teller und neue Löffel, zu jeglichem Getränk aber, das aus allen Landen da war, besondere Geschirre, und nur einmal durfte aus jedem Becher getrunken werden, dann stand wieder ein anderer da. Woraus ein jeder aß und woraus er trank, wie oft auch gewechselt wurde, das war alles sein, und er behielt es als Ehrengabe. So aßen sie von elf Uhr am Morgen bis zwei zur Vesperzeit. Viel Herolde aber lobten, während sie tafelten, mit rühmenden Worten die Taten derer, die Hilfe und Ehre getan in Preußen dem würdigen Orden. Der erste am Tisch war ein Ritter aus Österreich, Kinodius von Richardsdorf, der hatte in der Türkei vierzig Männer in guten Waffen, die ihm nachjagten, allein zu Boden gestreckt und mannhaft erschlagen. Den zweiten Platz hatte Markgraf Friedrich von Meißen, weil sein Geschlecht den Orden nicht verlassen hat in Nöten. Der dritte war der Graf Hildermidus aus Schottland, der ward geehrt seines Vaters wegen, denn er hatte sich töten lassen, damit sein Herr der König leben bleiben mochte, da ihm der König von England nach dem Leben trachtete. Als der vierte war Graf Rupert von Württemberg gesetzt, der aus Demut nicht die Kaiserkrone hatte annehmen wollen, wiewohl er doch erwählt worden war. Dann kam der Hochmeister, und von ihm rühmten die Herolde wahrhaftig, daß er reich von Gütern und eine auserwählt schöne Jungfrau, eine Gräfin von Habsburg, ihm zur Ehe angetragen war, er aber aus Liebe zu Maria alles abschlug und geistlich wurde. Der sechste war Degenhard, ein Bannerherr aus Westfalen, der hatte den Mördern seines Vaters vergeben, weil sie ihn anflehten um Mariens willen. Den siebenten nannte man Friedrich von Buchwalde, der hatte sein Leben lang nie einem etwas versagt, der ihn bat bei der Ehre des Ritters St. Georg, und so folgten noch fünf andere, und die Herolde priesen ihre löblichen Taten und frommen Werke.

      Als Wigand den siebenten erwähnte, gedachte Heinz seines Freundes, dessen Namen er führte. Und er fragte, ob jener aus demselben Geschlecht gewesen. Darauf nannte Wigand ihm einen älteren Bruder des Ritters, Arnold von der Buche, der bei Rheden angesessen sei. Er sei im Kampfe gegen die Litauer gefallen.

      An einer solchen Tafel zu sitzen dachte Heinz sich nun als die höchste Ehre, die ein ritterlicher Mann erwerben könne, und so erkundigte er sich fleißig, ob jenes der einzige und letzte Ehrentisch gewesen. Wigand aber antwortete darauf, der Deutsche Orden habe vor alters von Papst und Kaiser das Privileg zugesprochen erhalten, daß der Herr Hochmeister ihn seinen Gästen decken lassen möge, wann und wo er wolle, und daß wohl auch einmal in seinen Zeiten Ritterschaft noch so geehrt werden könne, obschon das Kreuz nicht mehr gepredigt werde gegen die Heiden. Es wird wieder not tun, fügte er hinzu, wenn es sich bewahrheitet, daß Russen und Tataren gegen Mariä Burg anrücken.

      Da Heinz den Alten so bewandert fand in des Landes Geschichten, meinte er die Gelegenheit nutzen zu müssen, sich über alle Dinge eingehend zu unterrichten, die ihm jetzt nahelagen und zu wissen erwünscht waren. Sein Dienst bei dem Hochmeister ließ ihm für jetzt noch viel freie Zeit; man kümmerte sich, da immer neue Menschen zuströmten und Weisung erhalten wollten, kaum um ihn, so daß er nach Belieben Burg und Stadt besichtigen oder auch in Wigands Zelle verweilen konnte. An einem der nächsten Abende nach der Vesper, als er dort den alten Herrn mit Schreiben beschäftigt fand, sagte er: Mag es Euch nicht verdrießen, Herr Wigand von Marburg, wenn ich Euch noch um eine Auskunft bitte, und lacht mich nicht aus, wenn ich etwas frage, was hierzulande wahrscheinlich jedes Kind weiß. Es ist Euch aber bekannt, daß ich aus dem Reich eingewandert bin, und dorthin dringt spärlicher und ungenauer die Kunde von dem, was über dieses Ordensland hinaus im fernen Osten geschieht und geschehen ist. Wir haben die Namen der Litauerfürsten Witowd und Jagiel nennen hören und wissen, daß Wladislaus Jagello nun ein christlicher König von Polen ist; wie die Dinge aber des näheren zusammenhangen und welchen Grund es hat, daß der würdige Deutsche Orden von diesem Fürsten so hart bedrängt wird, das möchte ich erfahren, ehe ich selbst das Schwert ziehe. Euch, der Ihr des Landes Chronik geschrieben, wird es ein leichtes sein, mich in Kürze zu unterrichten.

      Wigand lächelte dazu, ein wenig geschmeichelt. Ich muß es loben, antwortete er, daß Ihr nicht wie ein Soldknecht um Lohn dienen, sondern wissen wollt, für welche Sache Ihr streitet. Aber so leicht ist das nicht, was Ihr von mir fordert. Denn die Geschicke jener fernen Länder sind dunkel, und es lebt dort niemand, der sie aufgeschrieben hätte, und so sehen wir von mancherlei Tun die Folgen, aber nicht den inneren Zusammenhang. Vieles davon steht in meinem Buche; wollte ich es Euch aber lesen, so möchten wohl Tage hingehen, bis ich zu Ende käme, und bei den vielen Kriegsfahrten, Einfällen und Belagerungen würde sich Euer Gedächtnis nur verwirren. So will ich denn versuchen, knapp zusammenzufassen, was mir das wichtigste scheint. Höret denn:

      Es ist Euch bekannt, Junker, daß in diesem unserem Lande voreinst die heidnischen Preußen wohnten, und daß sie vom Deutschen Orden niedergeworfen und nach mancherlei Aufständen gänzlich unterjocht und ausgerottet oder zum Christentum bekehrt sind vor nun hundertundfünfzig Jahren. Ihre Nachbarn im Osten aber waren die heidnischen Litauer, und sie bewohnten ein weites Reich, dessen Grenzen noch niemand gemessen hat, und fürchteten die Waffen der siegreichen Kreuzherren und der Schwertbrüder in Livland und fielen fast jährlich in deren Gebiete ein, Burgen und Höfe zu zerstören und Vieh fortzutreiben. An der Grenze entlang aber liegt ein Land, das heißt Szamaiten, und um das war nun vor alters der Streit. Die Litauer hätten es auch wohl behauptet und dem Orden noch mehr Schaden getan, wenn nicht Uneinigkeit unter ihnen selbst und ihren Fürsten gewesen wäre, daß sie gegeneinander um die Oberherrschaft kämpfen mußten. Davon will ich nun erzählen.

      Vor hundert Jahren etwa hatte Litauen einen Fürsten, der hieß Witen; sein Sohn aber war Gedemin, und er brachte die ganze Macht des Landes an sich und herrschte viele Jahre. Gedemin aber hatte sieben Söhne und teilte unter sie das Land. Der dritte war Olgierd, dem gab er die Herrschaft Krewo, und der Fürst von Witebsk, der keine Söhne hatte, nahm ihn zu seiner Tochter; der fünfte aber war Kynstut, der erhielt die Herrschaft Troki. Diese beiden standen in großer Liebe und Ehrung. Und sie besprachen sich untereinander, wie sie ihre Brüder herabsetzen wollten. Und es gelang nach ihrem Wunsch, sie zu unterwerfen, daß sie nun die oberste Macht hatten. Darauf bekämpften sie den Orden und führten vor jetzt vierzig Jahren ein mächtiges Heer nach Preußen und drangen ins Samland vor, bis Hennig Schindekopf ihnen bei Rudau entgegentrat und sie aufs Haupt schlug, selbst aber das tapfere Leben einbüßte.

      Daß die Litauer nun bei Rudau geschlagen wurden und die Flucht ergriffen, dafür war noch ein besonderer Grund, der wenigen bekannt ist. Olgierd hatte nämlich zwölf Söhne und liebte am meisten den Jagello, Kynstut aber hatte sechs Söhne und zog Witowd den andern vor. Und sie hatten diese beiden jungen Prinzen mit sich genommen, als sie in Preußen einbrachen. Da nun aber bei Rudau der Kampf schwankte, ließen sie die jungen Prinzen in Sicherheit bringen, und das war ihr eigenes Verderben. Denn als die Litauer dessen gewahr wurden, glaubten sie die Schlacht verloren und begaben sich eiligst zur Flucht.

      Jagello und Witowd aber, die jungen Prinzen, waren miteinander erzogen und liebten einander wie Brüder und hatten Freundschaft geschlossen für ihr ganzes Leben. Da sie nun sahen, daß die Ihrigen geschlagen wurden und viele Tausende auf dem Felde zu Rudau