Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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der Halle war der Schenktisch aufgestellt. Man ging ab und zu, aß und trank. Die älteren Herren hatten sich an eine kleinere Tafel zusammengesetzt und füllten eifrig aus großen irdenen Kannen ihre Becher. In den Ringen an den Pfeilern staken brennende Holzspäne, von den Dienern beobachtet und oft erneut; der Rauch fand seinen Abzug durch die offenen Türen und Fenster. Die Frauen, wenn sie nicht draußen zuschauten, gingen zu zweien und dreien in der Halle auf und ab oder sammelten sich um Frau Cornelia, die in einer Ecke bunte Decken über die Holzbänke hatte breiten lasten zu weicherem Sitz. Zierlich gestaltetes Zuckerbrot, das in Thorn gebacken war, wurde war herumgereicht.

      Es war schon spät geworden, als Heinz die Nachricht erhielt, daß sein Pferd angelangt sei. Er ging deshalb auf den Hof, es in Empfang zu nehmen. Bleibt nicht zu lange fort! rief ihm Natalia nach. Waistute hatte sich nicht durchs Hoftor hineingewagt und übergab draußen den Gaul mit seinem Gepäck. Alles sein in Ordnung, versicherte er, viel laufen nach Pferd – kluge Leute verstecken. Der Junker gab ihm den versprochenen Goldgulden, worauf der Bursche sich eiligst aus dem Staube machte. Nun tauchte auch hinter einer Hecke eine lange Gestalt auf und verschwand in derselben Richtung. Heinz glaubte den Waldmeister zu erkennen, aber er hörte auf seinen Zuruf nicht. Wahrscheinlich hatte der Alte sich selbst Überzeugung verschaffen wollen, daß er sein Eigentum zurückerhalte.

      Eine Weile stand der Junker da, den Zügel des Pferdes in der Hand, und schaute in die Nacht hinaus. Aus der Ferne ließ sich der schwirrende Ton der Musik vernehmen. Wär's nicht das gescheiteste, jetzt aufsteigen und davonreiten? überlegte er. So lustig er beim Tanz gewesen war, jetzt, wenige Minuten nach seiner Entfernung aus dem Kreise der Fackeln, schon überkam ihn eine fast schwermütige Stimmung, als ob doch alle Lust der Welt eitel und eine schwere Versuchung zu fliehen sei. Er konnte den Gedanken an den Waldmeister und seine Geschichte nicht loswerden; so unheimlich seine Waldhütte war, er hätte am liebsten auch diese Nacht dort zugebracht. Es war ihm, als ob er ihm nachreiten müsse.

      Schon setzte er den Fuß in den Bügel, da klopfte ihm eine Hand auf die Schulter. Er blickte rasch um und erkannte Hans, der ihm nachgegangen war. Warum rufst du nicht einen von den Stallknechten? fragte er. Komm, wir führen den Gaul auf den Hof und geben ihn dort ab. Ist dir's recht, eine halbe Stunde mit mir allein zu sein? Wir haben einander heute noch so wenig gehabt.

      Aber man wird dich beim Tanz vermissen.

      Eher dich, Heinz. Willst du gleich wieder auf den Rasen?

      Nein, nein! Mir ist der Kopf wie berauscht – von der Musik, von dem Dunst der Fackeln, von dem fremden Wirbeltanz –

      Ich glaub's, Heinz. Im Artushof zu Danzig ging's ehrbarer zu, der Tanz brachte keinen außer Atem. Den jungen Fräulein blitzten nicht so feurig die Augen, und sie warfen sich nicht ihren Tänzern an die Brust, sondern reichten ihnen nur beim Umkreise zierlich die Fingerspitzen. Ich sehe dich noch immer mit Maria Huxer den Reigen führen. Ja – hier triffst du schon halb und halb polnische Wirtschaft. Man gewöhnt sich nicht so leicht daran.

      Er nahm ihm den Zügel aus der Hand und warf ihn einem Stallbuben zu, faßte ihn unter den Arm und zog ihn fort, dem alten Hause zu. Er sprach weiter von den Danziger Festtagen, als ob er recht absichtlich den Freund ableiten wollte, und dieser hörte mit immer größerem Behagen zu. Sein erhitztes Blut beruhigte sich mit jedem Schritte mehr. Ich habe ein Stübchen in dem alten Bau, sagte Hans, als sie sich dem Graben und der Brücke näherten, da bewahre ich meine Bücher und Skripturen auf. Willst du's sehen? Auch an einer Wachskerze fehlt mir's nicht.

      Heinz willigte gern ein. Auf der Brücke vor dem Portal stand aber ein Mann von der fremden Dienerschaft mit einem Spieß, der wehrte ihnen den Eintritt. Der Ritter von der Buche sei mit mehreren seiner Gäste in dem Hause, und er hätte strengen Befehl, niemand durch das Tor zu lassen, wer es auch sei. Heinz sah den Freund verwundert an. Der aber führte ihn ohne Widerspruch zurück und schlug den Weg am Graben entlang nach dem Waldhügel hinter dem Hause ein. Sie umgingen dasselbe, indem sie allmählich anstiegen.

      Laß dich's nicht wundern, begann Hans nach einer Weile wieder das Gespräch. Sieh dort nach dem Eckturm – das Fenster oben ist erleuchtet. Da liegt ein kleines, fest eingewölbtes Gemach, das vor hundert Jahren der Türmer bewohnt haben mag. Jetzt ist es stets verschlossen. Ich erinnere mich, als Knabe gern die steile Mauertreppe hinaufgestiegen zu sein bis zur Platte, von der sich der ganze Hof und der Hügel und die Landschaft dahinter überschauen ließ. Eines Abends waren hier viele Herren aus der Nachbarschaft zum Besuche gewesen, und am Tage darauf fand ich zu meinem großen Leid ein Schloß vor die Tür gelegt. Seitdem wird das stille Gemach nur selten geöffnet, immer wenn wieder gewisse Nachbarn hier zusammentreffen. Ich weiß jetzt, daß die Eidechsen dort ihre Heimlichkeiten haben. Sie sorgen durch eine Wache, daß man sie nicht störe, denn was sie beraten, soll niemand wissen. Nicht alle, die heute zu Gast sind, gehören zu den Eidechsen. Mit Absicht werden aber solche Festtage gewählt, damit im Schlosse zu Rheden der Komtur Nikolaus von Melin von der geheimen Zusammenkunft nichts erfährt. Einer nach dem andern entfernt sich still aus der Halle, man vermißt sie kaum oder gibt sich den Anschein, sie nicht zu vermissen. Nach der Beratung finden sie sich dort wieder ein.

      Warum treiben sie's aber so versteckt? fragte Heinz.

      Das weiß ich natürlich nicht, antwortete der Freund, denn ich bin nicht eingeweiht, und wenn ich's wäre, dürfte ich sicher nicht darüber sprechen. Aber seit dein würdiger Oheim, der Komtur von Schwetz, mich so eindringlich vor dem Bunde gewarnt hat, bin ich aufmerksamer geworden auf das Gespräch der Männer, die das Abzeichen tragen, und habe da manches gehört, das mir nicht sonderlich gefallen hat. Man ist unzufrieden mit der Ordensherrschaft, obschon die Beschwerden nicht groß sind. Da ist dem einen die Ordensmühle im Wege, dem andern der Krug beschwerlich, den die Herren zu ihrem Vorteil auf der Schloßfreiheit gebaut haben, dem dritten gefällt es nicht, daß er in den Seen nicht mit beliebigen Netzen fischen darf. Die Hauptsache ist aber, daß der Landadel hierzulande nicht so viel Macht über seine Leute hat als der drüben in Polen, und auch der Herrschaft in ihre Angelegenheiten nicht dreinreden darf, während dort der König in allen wichtigen Dingen Rat annehmen muß. Die Gutsherren und die Köllmer in den Dörfern des Kulmer Landes sind deutsche Einzöglinge, aber das Landvolk, das ihnen dient, ist meist polnisch, und der Orden hat sich mit gutem Grunde die Gerichte über alle Nichtdeutschen vorbehalten, damit sie nicht Bedrückte würden und auch gegen die Herren zu ihrem Recht kämen. Das gefällt aber den Herren nicht, und sie möchten's in ihrem Belieben haben wie ihre Vettern in Polen, denen der Bauer mit Leib und Gut zu eigen ist. Darum sind sie auch dem König im Herzen nicht gram wie die Ritter in den Schlössern, und wünschen ihm wohl gar heimlich den Sieg.

      Aber sie werden sich doch nicht weigern dürfen, gegen ihn ins Feld zu ziehen?

      Das wagen sie freilich nicht. Der Kulmer Bannerführer, Herr Nikolaus von Renys, den du in der Halle gesehen hast, hat schon das Aufgebot erlassen. Buchwalde hat nach der alten Verschreibung einen Ritterdienst zu leisten, und es gehören drei Pferde dazu. Mein Vater selbst wird in den schweren Waffen reiten, und es ist schon verabredet, daß ich ihn begleite als sein Knecht, denn er will, daß ich mir die Sporen verdiene. So werden auch die andern alle zur Stelle sein, daß keine Klage gegen sie laut wird. Aber wie sie die Waffen brauchen, ist doch damit noch nicht gesagt.

      Wie, du wolltest sie beschuldigen – fuhr Heinz erschreckt auf.

      Ich vertraue dir nur, was mich besorgt macht. Einen Tag erst bist du hier, und doch wird dir schon vieles Absonderliche in die Augen gefallen sein, was dir zu denken gibt. Ich bin darin aufgewachsen, und doch – nach diesen drei Jahren … du glaubst nicht, wie fremd ich mich in der Heimat fühle – wie fremd! Meine Stiefmutter –. Er stockte.

      Sie muß einmal sehr schön gewesen sein, sagte Heinz, um doch etwas zu sagen.

      Und wird ihren Landsleuten noch jetzt dafür gelten. Sie hat auch sonst treffliche Eigenschaften, ist großherzig und ohne Falschheit. Nie hat sie mich's fühlen lassen, daß ich nicht ihr rechtes Kind war, nie stand sie mir beim Vater im Wege, nie hat sie aus mir etwas anderes machen wollen, als nach meinen Anlagen aus mir werden mochte. Vielleicht wär's ihr lieb gewesen, wenn ich mich dem geistlichen Stande gewidmet hätte, aber dann sicher mehr aus einem anerzogenen Hange der Frömmigkeit, als aus der Berechnung, daß ihre Tochter den Grundbesitz erben könne.