Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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das Land bis zu den Häusern von Elbing und Preußisch-Holland überschauen und den Drausensee blinken sehen konnte, eine schwindelnde Höhe. Gegenüber, der Stadt Marienburg zugekehrt, trat die Marienkapelle mit ihrem zierlichen Bau über das Vieres hinaus und bis an den Burggraben vor.

      Ein tiefer, trockener Graben, von einer Brücke überspannt, trennte die Burg von dem mittleren Hause mit seinen drei Flügeln und dem vorspringenden Prachtbau, der eigentlichen Residenz des Hochmeisters. Welches Wunder der Baukunst, stark und anmutig zugleich! Die Front nach dem Wasser hin wurde von zwei viereckigen Mauerpfeilern eingefaßt, die hoch oben auf weit vorragenden Gesimsen das Gezack der Zinnen trugen. Dazwischen sah man wie in ein Spalier von drei schmalen Mauerstreben auf die tiefe, meist verschattete Wand mit den Fenstern in drei Geschossen. Damit aber alle Einförmigkeit und Schwere aufgehoben werde, hatte der Baumeister im Mittelgeschoß, wo die Prunkgemächer lagen, zwischen den Fenstern die Mauerstreben durch zierliche Säulen unterbrochen, daß nun die Gemächer lichter wurden und die Höhe zweigeteilt erschien. An dieses Haupthaus schloß sich auf der Rückseite ein Seitenflügel mit weiten, hohen Fenstern unter dem zinnentragenden Wehrgange an; darin befand sich der Konventsremter, dessen Spitzbogendecke sich über drei schlanken Steinpfeilern bis unter das Dach wölbte. Dort war der Ort für die glänzenden Feste, die der Meister fremden Fürstlichkeiten oder den Gesandten mächtiger Reiche zu Ehren veranstaltete.

      Daran schloß sich, von der Pfahlbrücke gesehen, noch weiter links die Vorburg an, ein weiter Raum, befestigt ringsum mit Mauern und Türmen. Da stand das riesige Kornhaus des Ordens mit vier Schüttungen übereinander, das Haus für die neue Stückgießerei, die Pulvermühle; da hatten die Ställe des Meisters, des Großkomturs und der Ritter, die Schirrkammern, die Vorratshäuser ihren Platz. Aber auch nach der rechten Seite hin setzten sich die Befestigungen über das alte Schloß hinaus fort und umfaßten die auf seiner Rückseite sich anlehnende Stadt mit ihrem gotischen Rathause und einer weit sichtbaren Kirche.

      Junker Heinz von Waldstein fand seine Erwartungen weit übertroffen. Wenn er gemeint hatte, wie in den Schlössern zu Danzig und Schwetz nur in den Schloßhof eintreten zu dürfen, um sogleich bemerkt und zurechtgewiesen zu werden, so irrte er sehr. Es gab da so verschiedene Burghöfe und Vorplätze und Freiheiten, Durchgänge und Brücken, daß man ganz verwirrt werden konnte, und überall war das lebhafte Getreibe von Menschen, die mit sich selbst so sehr beschäftigt schienen, daß sie auf den jungen Gesellen, der sein Pferd am Zügel nach sich führte, gar nicht achteten. Da tummelten die Ritter ihre Rosse, da musterte der Pferdmarschall die Hengste, die auf den Vorwerken zum Kriegsdienst ausgewählt oder von anderen Komtureien hergeschickt waren. Da wurden die Söldner gemustert, die aus Schlesien und Mähren angelangt waren, da übten die Hauptleute ihre Haufen im Waffendienst. Auf einem Vorplatze schlug man Zelte auf, um sie sogleich wieder auseinander zu nehmen, wenn alle Stücke sich beisammenfanden, und sie auf großen Wagen zu verpacken. An einer anderen Stelle arbeiteten die Stückknechte mit schweren Geschützen, die aus dem Metzhause gekommen waren, indem sie dieselben mit Windemaschinen auf Untergestelle mit Rädern heben ließen. Dann wurden acht, zehn und mehr Pferde vorgespannt, um eine Fahrt rund um den Platz zu versuchen. Sie gelang nicht sogleich, denn die Pferde zogen ungleich an, sie bäumten sich, schlugen über die Stränge. Weiterhin vor den Speichern und Vorratshäusern war eine ganze Wagenburg aufgefahren. Hunderte von Händen waren damit beschäftigt, sie mit Lebensmitteln aller Art, Decken, Lanzen und Pfeilen zu beladen; die Aufseher trieben zur Eile an, Schreiber gingen ab und zu und notierten die einzelnen Ladungen. Heinz mußte froh sein, daß man ihn endlich nach langem Herumirren zu dem Marstall wies, wo er sein Pferd unterstellen könne. Der Raum war aber schon so gefüllt, daß er nur mit Mühe ein freies Plätzchen an einer Raufe ermitteln konnte. Es blieb ihm nichts übrig, als selbst etwas Heu aufzuschütten und einen Stalleimer mit Wasser aus dem Brunnen zu füllen, damit sein müder Gaul sich erfrische.

      Dann suchte er sich wieder den Weg zurück nach dem mittleren Hause, seine Briefe abzugeben. Dort war aber in den Korridoren und auf den Treppen ein solches Gedränge von Menschen, daß er lange zur Seite stand und meinte, abwarten zu müssen, bis die Menge sich verzogen habe. Es war aber ein fortwährendes Gewoge auf und ab, so daß er sich endlich überzeugte, er würde so bis zum Abend stehen und warten können, ohne doch seinen Zweck zu erreichen. Deshalb brauchte er nun seine Schultern, zwängte sich in den Treppenaufgang hinein und ließ sich bis zum oberen Flur hinausschieben. Dort war der Raum freier; in Gruppen standen Ritter, Priesterbrüder, Soldhauptleute, Bürgermeister und Ratmannen von verschiedenen Städten, die allerhand Anliegen an den Meister hatten, Withinge mit Botentaschen, Kämmerer und Hofleute. Die Türen zu den Gemächern des Hochmeisters waren belagert, immer drei und vier zu gleicher Zeit begehrten Einlaß; aber die Lanzenknechte hielten Ordnung und sorgten dafür, daß nicht mehr Leute in die Vorzimmer hineingehen durften, als sich daraus entfernten. Als Heinz endlich an die Reihe kam, half es ihm doch wenig, einige Schritte vorzudringen. Es hieß, die Gesandten des Königs von Ungarn, der Großgraf Nikolaus von Gera und der Edle Stibor von Stiborziz seien beim Herrn Hochmeister, und die Unterredung werde vermutlich lange dauern. Ihr Gefolge stand da in fremdartigen Trachten. Ein Hauskomtur suchte die Zudrängenden soviel als möglich abzufertigen, indem er sie anhörte und an die Ordensbeamten wies, die Geschäften ihrer Art vorstanden, Heinz wurde bedeutet, daß heute nicht die mindeste Aussicht sei, beim Hochmeister vorgelassen zu werden; er solle aber seine Briefe auf den Tisch legen, so werde er sie gelegentlich hineinschaffen. Das schien dem Junker zu unsicher. Nach einiger Zeit kam der Großkomtur aus des Meisters Gemach und sagte, die Herrschaften würden sogleich zur Abendtafel gehen. Viele von den Wartenden folgten ihm, um wenigstens bei ihm, als des Meisters Stellvertreter, ihr Anliegen anzubringen.

      Heinz trat wieder auf den Korridor hinaus und stellte sich in eine der Fensternischen, unschlüssig, was weiter zu tun, und doch nicht gewillt, das Haus ohne irgendeine bestimmte Auskunft zu verlassen. Da stand er wohl eine Stunde und meinte, endlich werde sich doch einer von der Dienerschaft seiner annehmen müssen, wenn die dringenderen Geschäfte besorgt seien. Es fragte ihn nun aber niemand nach seinem Begehr. Unmutig dachte er schon daran, sein Pferd wieder aus dem Stalle zu ziehen und in der Stadt eine Herberge zu suchen, als er einen alten Ordensbruder langsam und nachdenklich vorübergehen sah. Das gutmütige, stille Gesicht flößte ihm Vertrauen ein. Er trat vor, zog seine Kappe ab und sagte: Ehrwürdiger Herr, gefalle es Euch, einen Fremden zurechtzuweisen, der heute zum erstenmal dieses Haus besuchte und ein Quartier zur Nacht nicht entbehren kann. Ich darf mich nicht entfernen, bis ich dem Herrn Hochmeister eine Botschaft ausgerichtet habe.

      Der Bruder blieb stehen und betrachtete ihn mit seinen aufmerksamen Augen. Wer seid Ihr, und wer sendet Euch? erkundete er.

      Der Junker gab Auskunft. Als er den Komtur von Schwetz nannte, lächelte der Alte freundlich. Den kenne ich gar wohl, sagte er, und er ist ein wackerer Ritter von alter, guter Art, wie es leider nicht mehr viele in unserem Orden gibt. Denn Hoffart schlägt Rittertum. Ich glaube wohl, daß Euch das Getreibe hier verwirrt. Ihr seid in einem Fürstenschlosse, nicht in einem Ordenshause, und der nahe Krieg schafft viel Unruhe. Gott der Herr wolle alles zum besten wenden!

      Kann ich Euch nützen, lieber Sohn, so tu ich's gern, des braven Plauen wegen. Kommt zunächst mit mir an die Firmarietafel. Ich gehöre zu den Kranken und Gebrechlichen, die dort gespeist werden, und räume Euch mit des Spittlers Genehmigung willig meinen Platz ein, wenn er die Speisen schon verteilt haben sollte. Dann mögt Ihr in meiner Zelle schlafen. Es steht da noch das Bett für den Krankenpfleger, den ich vor einigen Tagen brauchte. Morgen wollen wir weiter zusehen, wie Eure Angelegenheit zu fördern ist. Haltet Euch an mich, und daß Ihr mich allezeit zu finden wißt, sage ich Euch, daß man mich den Bruder Wigand von Marburg nennt. Merkt Euch den Namen.

      Heinz dankte ihm für seine Güte und folgte ihm die Treppe hinab über die Brücke nach dem hohen Hause, das sie durch ein hochgewölbtes Portal betraten. Bruder Wigand versäumte nicht, in die Kirche einzutreten und ein kurzes Gebet an einem Seitenaltar zu sprechen. Der Spittler nahm den Gast auf seine Empfehlung gütig auf und hatte genug Speisevorrat und Tafelbier für beide.

      Die Schlafzelle lag nicht weit davon; sie gehörte zum Spital und bot mancherlei Bequemlichkeit, die den Ritterwohnungen fehlte, so auch einen kleinen Ofen, durch den der Raum im Winter erwärmt werden konnte. In die dicke Mauer war eine tiefe Fensternische eingeschnitten, der Fußboden in derselben durch einen hölzernen, mit