Und Gesundheit, schloß Heinz lachend; auf dieses Sprüchelchen versteht sich jeder Bettler. Er gab ihr ein Geldstück und hieß sie gehen.
Ihr habt der Hexe nicht genug zugesetzt, meinte Gundrat, das Beste hat sie für sich behalten. Man muß das eigensinnige Volk kennen.
Ich weiß genug von dem, wovon man nichts wissen kann, antwortete der Junker. Allezeit ein Mann sein und den lieben Gott walten lassen, das ist meine Weisheit. Nun zeigt mir aber eiligst den Weg nach Buchwalde, ich sehne mich nach dem lieben Freunde.
Der Waldmeister schnallte wieder den Gurt um und nahm seine Armbrust auf. Ich bringe Euch durch den Wald, sagte er, weiter könnt Ihr nicht leicht fehlen. Aber stärkt Euch erst noch mit Speise und Trank. Wer weiß, ob Ihr je wieder mein Gast sein werdet. Das Rüstzeug schaffe ich Euch aufs Gut, sobald das Pferd gefunden ist. Oder schickt auch die Knechte danach.
Nach einer halben Stunde waren sie unterwegs. Der Wald lichtete sich bald, und vor ihnen lag eine weite Heide- und Ackerfläche, über die Dächer und Kirchtürme hinausragten. In der Ferne wurden die vier Ecktürme des Rhedener Schlosses und daneben rechts die Türme der Stadt Rheden sichtbar. Gundrat führte seinen Begleiter auf einen Feldweg und zeigte nach einem mit Bäumen bewachsenen Hügel; dahinter sollte Buchwalde liegen. Obschon ein Verirren jetzt nicht mehr möglich war, schien er sich doch von ihm nicht trennen zu können.
Ihnen entgegen kam aus derselben Richtung eine Reiterin. Das ist das Fräulein, sagte der Waldmeister.
Welches Fräulein?
Die Tochter des Ritters Arnold, den sie von der Buche nennen.
Meines Hans' Schwester also?
Hm – seine Halbschwester wenigstens. Des Junkers Mutter ist eine Deutsche gewesen. Der Ritter hat aber nach ihrem Tode nochmals geheiratet – eine Polin. Deren Tochter ist sie. Nehmt Euch in acht vor ihren Blitzaugen, die sind schon manchem gefährlich gewesen.
Heinz drehte heimlich sein Ringlein am kleinen Finger und lachte in sich hinein. Indessen war die Reiterin näher gekommen. Sie trug eine viereckige Kappe von rotem Samt mit blitzender Agraffe und hochaufstehender Reiherfeder über dem an der Stirn entlang geradlinig abgeschnittenen Haar. Auf ihrer Hand saß ein Falke. Ein Windspiel folgte dem schlanken Pferde.
Wenige Schritte vor den beiden Männern zog sie den Zügel scharf an und neigte sich ein wenig über den Hals des schäumenden Tieres. Ei, sehe ich recht: Gundrat? rief sie, eine Reihe perlweißer Zähne zeigend. Was hat das zu bedeuten, daß Ihr Euch aus Eurem Walde hinauswagt, und wem gebt Ihr das Geleite?
Der Alte lüftete seine Kappe. Es ist der Junker von Waldstein, antwortete er, der nach Buchwalde will. Er ward gestern vom Gewitter verschlagen und hat sein Pferd eingebüßt.
Sie betrachtete den jungen Herrn, der sich höflich verbeugte, aufmerksam. Der Junker von Waldstein – ah! den uns – Bruder Hans längst angekündigt hat. Seid willkommen, Junker! Ist's Euch genehm, so geleite ich Euch von hier ab nach meines Vaters Hause. Ihr seid abgedankt, Gundrat.
Sie lispelte ein wenig, und alles, was sie sagte, hatte eine fremd klingende Betonung, die sich jedoch dem Ohr leicht einschmeichelte. Ihr erweist mir viel unverhoffte Güte, Fräulein, antwortete Heinz, und es ziemt mir wohl zu prüfen, ob ich sie annehmen darf. Ich sehe, daß Ihr zur Jagd wolltet.
Sie lachte. Das laßt Euch nicht kümmern. Es ist schlechte Jagdzeit, und ich bin auch nur ausgeritten, weil's langweilig zu Hause war und weil ich meinen jagdlustigen Gesellen, Bobo, dem Falken, und Cilli, dem Hündchen, ein Vergnügen machen wollte. Nun, sie haben ihr Teil!
Lebt wohl, sagte der Waldmeister, ich bin Euch nun überflüssig! Er legte die Hand an die Kappe und entfernte sich.
Dank für Eure Gastfreundschaft! rief der Junker ihm nach und gesellte sich dann der jungen Dame zu, die ihr Pferd herumgeworfen hatte und es nun zu einer ruhigen Gangart zu nötigen bemüht war. Heinz schritt neben ihr her.
Verstand ich den Alten recht? fragte sie schon nach wenigen Schritten. Ihr habt Euer Pferd eingebüßt? Wie ist das zugegangen?
Er erzählte sein kleines Abenteuer am Heidenwall. Ja, bemerkte sie lachend, die Preußen sind geborene Pferdediebe wie die Litauer. Übrigens verstehe ich meinen Vater nicht, daß er das Volk noch immer da hausen läßt, trotz aller Mahnungen des Herrn Bischofs und seiner Geistlichen. Leidet man doch sonst nicht einmal die Ketzer, und die da sind schlimmer als Ketzer; sie wissen von dem Herrn Christus nichts und haben ihre eigenen Götter. Ich glaube, er scheut sich nur, es mit dem alten Waldmeister zu verderben, der sie in seinen Schutz genommen hat; sonst dürft Ihr an seiner Rechtgläubigkeit nicht zweifeln.
Das sagte sie mit großem Ernst. Gleich aber waren ihre Gedanken wieder bei dem Pferde. Wie schade, rief sie, daß wir nicht zusammen in den Hof einreiten können! Einer im Sattel, der andere zu Fuß, die halten schwer gleichen Schritt. Ihr seht, daß ich meinem Braunen schon fast die Zunge abdrücke, aber das Tänzeln kann er nicht lassen. Er weiß zu gut, daß ich sonst keine geduldige Reiterin bin und gern rasch über Weg und Feld hinfliege. Ruhig, Brauner, ruhig!
Heinz klopfte den Hals des Pferdes, unbekümmert um die Schaumspritzer, die nach rechts und links flogen. Ein schönes Tier, lobte er, zierlich und doch voll Kraft. Es scheint stolz zu sein auf die Reiterin, die es trägt.
Das Näschen hob sich, und die braunen Augen blitzten in die Ferne hinaus. Ihr solltet erst sehen, wenn's im Galopp geht! Seitwärts erstreckte sich eine weite Heidefläche, von Feldern eingefaßt, bis an den Weg heran. Gebt einmal acht! Sie schnalzte mit der Zunge, ließ den Zügel frei und setzte in hohem Sprunge über den Graben. Dann ging's im schnellsten Lauf und in weitem Bogen über Stock und Stein mit dem Windspiel um die Wette, das bald ein Häschen aufgejagt hatte. Heinz blieb auf dem Wege und folgte mit aufmerksamen Blicken der kühnen Reiterin. Er mußte sich gestehen, daß ihm noch nie die Reitkunst einer Dame so naturwüchsig erschienen war, und gab seinem Vergnügen durch lautes Klatschen in die Hände Ausdruck.
Nun, habe ich zuviel versprochen? fragte sie, als sie wieder an seiner Seite ritt.
Gewiß nicht, versicherte er; aber es ist auch eine Freude, Euch das schöne Tier meistern zu sehen, Fräulein. Ihr sitzt im Sattel wie festgewachsen.
Sie nickte ihm einen freundlichen Dank zu. Ich hab's von meiner Mutter gelernt, sagte sie. In Polen ist's eine Schande, nicht gut zu reiten. Mit Bruder Hans komme ich nicht gut fort. Er ist so bedächtig beim Reiten, als gälte es nur immer die Rücksicht, den Gaul nicht unnütz anzustrengen. Für ihn muß alles einen Zweck haben; für mich aber ist das Reiten an sich eine Lust, und ich denke mir, dem Gaul macht's auch mehr Vergnügen, wenn es recht toll hergeht. Reitet Ihr gern, Junker?
Das bejahte er, und sie verabredete nun sogleich mit ihm einen Wettritt, zu dem er sich das Pferd im Gutsstall aussuchen solle. So plaudernd kamen sie in die Nähe des bewaldeten Hügels, in dessen auslaufenden Rücken der Weg einschnitt. Wir sind gleich am Ziel, sagte sie, dort wird schon das Spitzendach des alten Hauses von Buchwalde sichtbar. Wir wohnen im neuen, das erst vor wenigen Jahren gebaut ist; meiner Mutter wollte es in dem finsteren Gemäuer nicht gefallen. Ihr Pferd war dem Fußgänger immer mehrere Schritte voraus, und die Reiterin schien recht ungeduldig zu werden. Es ist doch besser, ich melde Euch an, fuhr sie fort, als der Rand des Wäldchens erreicht war, und begrüße Euch dann an der Schwelle des Hauses nach Art der deutschen Schloßfräulein.
Ohne seine Antwort abzuwarten, jagte sie davon.
Heinz hatte, während er bergab schritt, hinlänglich Zeit, sich den Gutshof anzuschauen. Rechts lag das alte Haus – mächtige Fundamentmauern von unbehauenen Steinen und darüber ein Ziegelbau mit wenigen kleinen, tiefen und unregelmäßig eingelassenen Fensteröffnungen – auf einer Erhöhung, die durch einen tiefen Graben von dem Hügel ausgeschnitten war. Ein Eckturm überragte denselben knapp so weit, daß ein Wächter von der Platte zu der Zeit, als die Krone des Hügels noch kahl war, hinüberschauen und die Annäherung von Menschen bemerken konnte.