Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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und die Bäume gingen mit mir im Kreise herum, bis ich taumelte und zu Boden fiel. Da faßte ich eine schlaffe Hand – einen Arm – eine Schulter, da griff ich in das weiche Haar. Ich riß gewaltsam die Augen auf – da blickte ich in ein bleiches, lebloses Antlitz, und auf der Stirn – mitten auf der Stirn war ein blauer Fleck. Ich warf mich über sie, ich rüttelte sie, ich küßte sie, ich gab ihr tausend süße Namen, auf die sie als Kind gehört hatte – sie regte sich nicht, sie war tot –, ich hatte sie erschlagen. Aus dem Wipfel der Tanne hinter der Hütte flogen zwei Raben auf und umkreisten mich krächzend. Wildes Entsetzen erfaßte mich. Mörder – Mörder! hörte ich über mir rufen. Ich raffte mich auf vom Boden, durchbrach die Hecke, lief wie gepeitscht waldeinwärts – immer weiter, immer weiter, bis ich zusammenbrach. Und nach kurzem Schlaf weiter den ganzen nächsten Tag, und so am dritten weiter, fast ohne Rast. Ich kam über das Gebirge, bettelte mich durch Schlesien, durch Polen nach Preußen hinein. Da setzte ich über den breiten Fluß und suchte wieder den finsteren Wald, mich zu verstecken vor der Sonne, die meine Tat wußte. Hier brach ich zusammen vor Hunger und Elend, und wäre gestorben, wenn sich nicht die Leute im Heidenwall meiner erbarmt hätten. Und so bin ich nach vielen Monden wieder gesundet und habe beschlossen, Gott nicht weiter zu versuchen und zu bleiben, wo er mich niedergeworfen hatte, und abzuwarten, was er über mich weiter verhängen wolle. Abnehmen kann er mir die Last nicht, die ich meinem Herzen aufgebürdet habe, und täglich hängt sich der Teufel daran und will sie noch schwerer machen. Nun treibt er sein Gaukelspiel mit Eurem Krauskopf und scheucht mich auf vom Bett und heißt mich, die Fackel über Euch halten. Ah, warum habt Ihr mich nicht gewähren lassen?

      Er sprang auf, riß die Fackel aus dem Ring und warf sie auf den Herd, daß die Funken aufstoben. Es wurde dunkel im Gemach, aber durch die Ritzen in den Wänden und im Dach blickte schon mattes Tageslicht. Heinz rührte sich nicht von der Stelle. Die Leidensgeschichte seines Wirtes hatte ihn aufs tiefste erschüttert. Er vermochte kein Wort darauf zu sagen, und auf das, was er noch zu fragen gehabt hätte, konnte der Alte keine Antwort geben. Es lag ihm im Sinne, was aus den Kindern geworden wäre, und ob der Mann sie neben dem toten Weibe noch lebend angetroffen hätte. Der Waldmeister ging eine Weile mit raschen Schritten auf und ab, unverständliche Laute vorstoßend und die Faust gegen seine Stirn drückend. Dann blieb er stehen und lachte auf. Ist's nicht toll, rief er, daß man über so etwas hinwegleben kann, Junker? Ihr seid wie auf den Mund geschlagen, und ich will's Euch nicht übelnehmen. Es ist Narrheit, daß ich Euch mit meinem Leid beschwere. Was geht's Euch an? Aber nun schlaft; Ihr habt noch ein paar Stunden Zeit. Ich will indes zusehen, ob ich Euch das Pferd wiederschaffe. Es wird nicht leicht gelingen.

      Damit warf er ein Wolfsfell als Mantel um seine knochigen Schultern, hob eine Armbrust von dem Wandpflock und verließ das Haus. Heinz hörte ihn draußen die Stalltür öffnen und den Hund freilassen. Er saß noch eine Weile auf der Lade und lehnte die Schulter gegen die Wand. Aber die Müdigkeit legte sich ihm so schwer auf die Augen, daß sie immer zufallen wollten. Deshalb hielt er's nun wirklich für das beste, dem Rate des Alten zu folgen, warf sich wieder aufs Lager, deckte sich warm zu und schlief nach wenigen Minuten schon so fest, als wäre er nie aus seiner Ruhe aufgestört worden. Glückliche Jugend!

      11. BUCHWALDE

       Inhaltsverzeichnis

      Heinz holte das Versäumte in vollem Maße nach. Die Sonne stand schon hoch über dem Rindendach des Waldhauses, als er aufwachte und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Er sah sich im Gemache um, das jetzt nicht ganz so unfreundlich schien als gestern bei der Fackelbeleuchtung. Durch ein kleines, hochgelegenes Fenster an der Giebelseite erhielt es zur Notdurft Licht. In der einen Ecke lehnten Jagdspieße von verschiedener Länge, Fangeisen und dergleichen Gerät; an den Pflöcken hingen Netze; im Winkel hinter der Lade lagen Tierfelle aufgeschichtet, darüber waren einige leere Bienenkörbe gestapelt. Neben seinem Lager stand eine irdene Schale mit Wasser, auf der Lade eine Kanne mit Met neben Brot und Käse. Der Waldmeister war also schon wieder eingekehrt und hatte für seinen Gast gesorgt.

      Draußen wurden Stimmen laut. Heinz eilte an die Haustür. Dort fand er Gundrat im Gespräch mit zwei Leuten, von denen der eine Waistute war. Sie trugen seinen Harnisch, seinen Eisenhut, die Armbrust, den Mantelsack und was sich sonst auf seinem Pferde befunden hatte, und legten die Sachen neben dem Hause ab. Seid Ihr endlich auf? rief der Waldmeister dem Junker zu. Das nenn' ich einen gesegneten Schlaf! Hab's auch einmal so gut gehabt. Der Teufel hole das verdammte Volk! Ist sonst ehrliches Gesindel, aber wenn sie ein Pferd sehen, können sie das Diebsgelüst nicht unterdrücken. Ich habe gewettert und gedroht im Heidenwall, und was ist erreicht? Daß sie das da im Walde gefunden haben. Der Dieb hat's abgeworfen, sagen sie. Pah! Sie können die Waffen nicht brauchen, das Pferd findet aber seinen Reiter. Sicher weidet es mit geknebelten Vorderfüßen auf einer ihrer versteckten Wiesen am Melno-See. Aber diesmal verstehe ich keinen Spaß, ihr Langfinger. Vor Abend steht der Gaul angebunden an dieser Türklinke, oder ich hetze euch alle Hunde vom Herrenhofe auf den Leib!

      Er sprach dann noch in der fremden Sprache auf sie ein, sie aber zuckten die Achseln und zeigten die leeren Hände und schienen ihre Unschuld zu versichern. Heinz griff in die Gürteltasche, holte einen Goldgulden vor und ließ ihn zwischen den Fingern drehen. Schafft mir das Pferd, und das da gehört euch, lockte er. Die schwarzen Augen der Waldleute blitzten, aber sie wiederholten doch nur ihr Gebärdenspiel, das wenig Hoffnung ließ.

      In einiger Entfernung unter den Bäumen stand ein altes Weib, das wahrscheinlich aufzupassen hatte, was den beiden geschehen würde.

      Heran, du Hexe, rief Gundrat, ich habe mit dir zu reden. Fürchte dich nicht! Wenn du gutwillig gehorchst, tu ich dir nichts.

      Die Alte humpelte an ihrem Stabe heran. Du sollst dem Junker aus der Hand wahrsagen, fuhr Gundrat fort, und wehe dir, wenn du lügst! Laßt's Euch gefallen, Junker, wandte er sich an Heinz, sie ist eine kluge Frau, und Ihr wißt dann doch, wovor Ihr Euch zu hüten habt, wenn Ihr von der Zukunft etwas erfahrt.

      Die Alte schüttelte den grauen Kopf. Kann nicht wissen, was wird sein, antwortete sie mit meckernder Stimme; kann nicht wissen keine Mensch, was wird sein. Machen die Götter alles, wie wollen.

      Hört die verdammte Hexe, sagte der Waldmeister; tut wahrhaftig, als ob ich von ihren Heimlichkeiten nichts wüßte. Glaubt ihr nicht! Sie haben einen Gott, der heißt Curcho, und seine Priester nennen sich Pilwaiten. Aus der Zunft stammt sie ab. Sie haben auch noch andere Götter in ihrem großen Baum: den Perkun und Potrimpos und Pikoll und wie sie sonst heißen mögen, aber der Curcho ist der mächtigste, und von ihm erfahren sie mancherlei, wovon kein Christenmensch weiß. Haltet nur Eure Hand hin.

      Die Alte wollte nicht darauf achten. Götter reden in Donner und Blitz, wandte sie ein, reden in Blut von Tier, reden in heilige Schlange, aber reden nicht aus Mund von alt Weib. Lassen gehen, lassen gehen, Waldmeister.

      Gundrat löste seinen Leibriemen und schwang ihn durch die Luft. Rot vor Zorn schrie er: Es geht dir schlecht, Hexe, wenn du mich vor dem Junker Lügen strafst. Du wirst ihm aus dieser Hand da wahrsagen, oder der Riemen soll auf deinem Rücken tanzen.

      Dabei ergriff er des Junkers rechte Hand und hielt sie ihr unter die Augen.

      Die Alte hüstelte, blickte scheu zu dem Zornmütigen auf, murmelte ihre Sprüche und prüfte die Hand. Krieg und Wunden, sagte sie dann, Krieg und Wunden – viel Schwerter gekreuzen – viel rote Blut – viel Tränen.

      Heinz lachte. Das andere stimmt für einen Kriegsmann, aber auch viel Tränen? Wer soll sie weinen?

      Die Alte warf wieder einen Blick auf den Waldmeister, der noch den Riemen zusammengefaßt in der Hand hielt, und fuhr fort: Gute Schwester weinen – schöne Braut weinen – Ring nicht schließen – viele Not, viele Not! Aber mit Vater wieder vereinen –

      Da sehe ich, was deine Kunst wert ist, Hexe! Mein Vater ist tot. Wie soll ich mich mit ihm wieder vereinen, wenn nicht am Jüngsten Tag im Himmel?

      Sie zuckte die Achseln. Nichts wissen, Junker. Nur lesen, was stehen geschrieben – kommen zusammen, Vater – Sohn, bei eine Kreuz. Nichts wissen von selbst.

      Und