Heinz hatte sein Wams abgezogen und auf die Stange am Herde gehängt, sich auch der schweren Stiefel entledigt. Er setzte sich auf den Baumklotz, der als Stuhl neben einer bunt gemalten Lade stand, deren Platte zugleich als Tisch diente, und ließ sich Speise und Trank gut schmecken. Der Alte, der sich an seinen Gast zu gewöhnen schien, holte auch noch einen Krug Met aus einem Kellerloch vor und schenkte für sich und ihn ein. Er erkundigte sich nun auch, wo der Junker herkomme und wie er sich hierher verirrt habe, auch was es mit dem Pferde für eine Bewandtnis gehabt, immer freilich in seiner knurrigen, unfreundlichen Weise. Dabei sah er den Gast mitunter aus seinen tiefeingesunkenen Augen so prüfend an, als habe er noch ganz andere Fragen auf den Lippen.
Nun geht zur Ruhe, sagte er, als der Junker gesättigt schien, es ist spät geworden. Er warf ihm aus seiner Bettstelle die Decke auf die Streu in der Ecke und nahm für sich selbst einen Mantel von einem Pflock an der Wand. Die Kienfackel löschte er aus. Heinz streckte sich auf das weiche Moos und schlief bald ein. Mehrere Stunden lang mochte er in tiefem Schlaf gelegen haben, als eine wundersame Helle sich um ihn verbreitete. Es war ihm, wie wenn er von der Erde aufgehoben und fortgetragen werde, höher und höher und in immer lichtere Räume. Er sah darin Gestalten auf und ab schweben, alle wie in Licht gebadet und selbst leuchtend, und erkannte Maria und seine Schwester Waltrudis. Endlich wurde der Glanz so scharf, daß die geblendeten Augen Schmerz empfanden. Er wollte sich abkehren, aber es gelang bei aller Anstrengung nicht. Darüber wachte er auf.
Es war wirklich hell im Gemach, seinem Blick bot sich aber jetzt eine schreckhafte Erscheinung. Neben seinem Lager stand der alte Waldmeister, nur bekleidet mit einer engen Lederhose und einer wollenen Jacke, die über der Brust weit offenstand und so die ungemeine Magerkeit des Körpers erkennen ließ, der nur ein mit Haut überspanntes Knochengerüst zu sein schien. Er hatte in der linken Hand eine hell flackernde und knisternde Kienfackel, in der rechten aber das lange, nackte Weidmesser und prüfte mit gierigem Blick dessen Spitze auf dem Daumennagel der Hand, welche die Fackel trug. So eifrig war er damit beschäftigt, daß er nicht bemerkte, wie der Schlafende die Augen öffnete. Nur einen Augenblick freilich starrte der Junker ihn an, unsicher, ob er wache oder träume; dann gab er sich gewaltsam mit den Armen einen Stoß und saß nun aufrecht, alle Muskeln zu einem Sprunge gegen den Angreifer gestrafft.
Gundrat erschrak über diese plötzliche Bewegung aufs heftigste. Er taumelte einige Schritte zurück und ließ die Fackel zur Erde fallen. Sie erlosch dort nicht, drohte aber die hölzerne Bettstelle in Flammen zu setzen. Heinz sprang auf, riß sie an sich und beleuchtete seinen Wirt, der leichenblaß und zitternd an allen Gliedern dastand, den Arm mit dem Messer herabgesenkt. Mörder! rief er empört.
Mörder, wiederholte der Alte lallend. Mörder –
Was tat ich dir? fragte der Junker, indem er näher trat und ihm die Waffe aus der Hand nahm. Ich sah dich vorher nur einmal, und da erwies ich dir eine Guttat. Jetzt bin ich dein Gast, und ich war wehrlos und schlief. Warum wolltest du mir ans Leben?
Gundrat schüttelte den Kopf. Nicht Euch, nicht Euch – antwortete er mit matter Stimme. Diese Brust – wollte ich treffen, diese Brust. – Er faßte mit beiden Händen das wollene Hemd und zerrte es von den knochigen Schultern.
Und deshalb standest du mit dem Windlicht vor meinem Lager, rief Heinz hell auflachend, und prüftest über mir die Schneide des Messers! Glaubst du mit einem Narren zu sprechen?
Lacht nicht, Junker, lacht nicht – bat der Alte mit fast kläglichem Tone. Ich bin ein unglücklicher Mann und lange des Lebens satt. In dieser Nacht aber überkam es mich mit unwiderstehlicher Gewalt, daß ich ein Ende machen müßte. Das hat guten Grund, glaubt mir, guten Grund. Schon in Danzig bei hellem Tage – aber mehr noch gestern, als Ihr in mein Haus tratet – Ihr habt etwas, das mich anzieht und abschreckt zugleich. Ich kann das Auge nicht von Euch lassen, und finde doch nicht, was ich suche. Meine Gedanken aber werden rückwärts gezogen in eine ferne Zeit, und da steht vor ihnen eine schwere Tat, die unsühnbar mein Gewissen belastet. Ich floh vor ihr in diese Einsamkeit, und entfloh ihr doch nicht. Es ist Zeit, ein Ende zu machen.
In des Jünglings Gemüt kämpften die Empfindungen des Abscheus und des Mitleids. Das Mitleid siegte. Er faßte den Arm des Alten und führte ihn nach dem Klotz neben der Lade, drückte ihn sanft auf denselben hinab und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Wand des Kastens. Ihr scheint zu träumen, sagte er, und es ist augenscheinlich nicht ohne Gefahr, Euer Schlafgeselle zu sein. Ich kenne Euch als einen jähzornigen Mann, dem gar leicht das Messer in die Hand fliegt, und wenn es einmal den Unrechten trifft –
Ich schwöre Euch, Junker, unterbrach Gundrat, es war auf mein eigenes Leben abgesehen. Aber wie ich nun auf meinem Bette lag und nach dem Weidmesser hinter mir an der Wand griff, tanzte darüber der bleiche Schein von den glimmenden Kohlen auf der Herdstelle wie ein Gespenst hin, daß ich erschrak und mich umschaute, und da sah ich Euch liegen und konnte Euer Gesicht doch nicht genau erkennen. Und es war mir, als ob ich es genau erkennen müßte. So ließ es mir keine Ruhe, bis ich aufgestanden war und in die Kohlen geblasen und die Kienfackel angesteckt und über Euch gehalten hatte. Da erwachtet Ihr.
Und was ist das für eine Tat, von der Ihr sprecht? fragte Heinz teilnehmend. Keine ist unsühnbar, als die gegen Gott selbst gerichtet war.
Der Alte ließ den Kopf auf die Brust sinken. Diese doch – diese doch, antwortete er. Es wäre Gotteslästerung, zu behaupten, daß ein Priester sie vergeben könne. Eine schwerere Buße, als die er auszudenken vermöchte, habe ich mir selbst auferlegt, aber das Gewissen schweigt nicht und verwirrt mir die Sinne, daß ich mit Augen sehe und mit Ohren höre, was nicht da ist, und mein Leben lang bin ich ein elender Mann. Oh – oh – oh!
Er seufzte aus tiefster Brust und starrte wie abwesend vor sich hin.
Erleichtert Euch, bat Heinz, indem er sich seitwärts auf die Lade setzte. Teilt mir mit, was Euch so schwer bedrückt.
Ich werde Euch nicht helfen können, aber auch das schon ist Trost, mit seinem Leide nicht mehr allein sein zu dürfen.
Der Waldmeister nickte. Es ist Trost. Und Ihr gerade. – Es mag Sinnenverblendnis sein, wie der Teufel denn allemal gern mit sündigen Seelen spielt; aber Ihr habt nun einmal diese traurige Erinnerung wieder in mir geweckt – sei's drum! Ihr sollt alles erfahren. Einen jähzornigen Mann habt Ihr mich genannt, Junker, und Ihr sollt recht haben. Als Knabe war ich schon von heftiger Gemütsart, und wenn mir das Herz schwoll, achtete ich nicht darauf, ob ich einen oder zehn gegen mich hatte, sondern schlug zu, wohin ich traf. Aber das Herz schwoll mir nur, wenn ich Unrecht litt oder Unrecht sah; sonst war ich in allem bedacht und gut zu leiden. Das war mir aber mitgegeben von meiner Mutter, einer Friesin, die schwere Schicksale erlebt hatte und durch arge Ränke der Feinde ihrer Familie um Haus und Hof gebracht war, daß sie nun in der Fremde Dienst tun mußte. Als sie meinen Vater heiratete, verlangte sie dessen Schwur, daß er sie rächen wollte, und er leistete ihn. So trug sie sich immer mit Gedanken, ob es schon an der Zeit sei, und nährte im stillen ihren Zorn. Als ich sechs Jahre alt, zog mein Vater aus, der Mutter Erbe zurückzugewinnen. Er verbündete sich mit anderen Unzufriedenen, und es kam zum Schwertkampf. Er erlag. Meine Mutter hatte seitdem keinen frohen Tag mehr. Sie verzweifelte an Gottes Gerechtigkeit und starb im Wahnsinn. Meiner hatte sich ein vornehmer Herr angenommen, der über viel Land und Leute gebot und auch große Waldungen sein Eigentum nannte. Er gab mich zu einem Waldwart und setzte mich, als ich erwachsen und in jedem weidmännischen Brauch wohl erfahren war, selbst in ein Jägerhaus ein. Es lag fern vom Schloß, nahe der Grenze, und selten sah ich andere Leute als Holzschläger und Wilddiebe. Aber mir war es nicht einsam, seit ich ein Weib gefunden hatte, das mich von ganzem Herzen liebte. Gott schenkte uns auch ein Töchterchen, ein wundersam schönes Kind, und nun war unser Glück voll.
Er stützte den Kopf in die Hand und schien ganz in Gedanken verloren. Nach einer Weile fuhr er fort: Ja, sie war wundersam schön, die Kleine. Sie hatte ihrer Großmutter, der Friesin, lichtes Haar, und sah aus wie heller Sonnenschein. Meine Frau hatte ihr ein rotes Käppchen gemacht, und nun nannten wir sie unser Rotkäppchen, und ich sagte immer: sie kann durch den tiefsten Wald gehen ganz allein, Bär und Wolf tun ihr nichts an. Wie Mechthild dann schlank aufwuchs, hatte jeder seine Freude, sie zu sehen, und wo sie sich zeigte, wurde es still,