Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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Nun beugte er sich vor und küßte ihre Stirn; sie aber lehnte den Kopf an seine Schulter und umfaßte ihn mit den Händen. Bruder, lieber Bruder, hauchte sie leise, habe mich nur recht lieb!

      Er wollte sich nicht von der Rührung übermannen lassen. Wahrhaftig, rief er in munterm Ton, du hast auch nötig, darum zu bitten! Da ist's eher an mir, zu sagen: Habe Geduld, mit der Zeit sollst du wohl merken, daß ich's gut meine und ein leidlicher Geselle bin. Daß man uns auch solange voneinander ferngehalten hat! Aber ich will dankbar sein, daß ich dich nun ans Herz schließe und nicht mehr verliere. Nicht wahr, ich verliere dich nicht mehr?

      Sie sah mit feuchten Augen zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Wir werden uns nun unvergeßlich sein, antwortete sie, was auch ferner über uns bestimmt ist.

      Das wollen wir besiegeln mit einem herzlichen Kuß! rief er. Bruder und Schwester, die dürfen nichts Fremdes haben und müssen schnell nehmen, was ihnen von Gottes wegen gebührt. Er legte die Hand auf ihr goldiges Haar, beugte ihren Kopf ein wenig zurück und drückte einen Kuß auf ihren Mund. Amen, sagte das Ehepaar.

      Die Tür nach dem Hinterstübchen war nicht fest geschlossen worden, und nun ließ sich von dort ein schelmisches Kichern vernehmen. Können die Mädels nicht eine Minute ernst sein? knurrte der Alte.

      Warum sollen sie denn nicht lachen? fragte Heinz. Ist's doch ein froher Tag, hoffentlich auch für sie. Eure Töchter, Herr Johannes Clocz, nicht wahr? Erlaubt, daß ich ihnen einen höflichen Gruß biete.

      Er wollte nach der Tür eilen, aber Waltrudis hielt ihn an der Hand zurück. Es ist da noch ein anderer, der dich überraschen will, erklärte sie, und deshalb sind sie lachlustig.

      Wer ist's?

      Rate!

      Wie soll ich raten?

      Wen hättest du jetzt wohl am liebsten hier?

      Heinz sah sie verwundert an. Kannst du zaubern? fragte er.

      Ja, sie ist ein Feenkind, bestätigte der Ratmann schmunzelnd.

      Sag's nur, bat Waltrudis zuversichtlich.

      Heinz ließ einen Blick auf seine linke Hand hinabfallen, an deren kleinem Finger er den Ring mit dem blauen Vergißmeinnicht trug. Männlich oder weiblich? fragte er und wurde blutrot.

      Sie war diesem Blick mit den Augen gefolgt. Ah, woran denkst du? fragte sie fast erschreckt. Nein, darüber habe ich keine Gewalt!

      Und über das andere auch nicht, meinte er. Ich habe einen braven Gesellen auf der Reise liebgewonnen, und er ist nicht gar weit von uns, aber doch weit genug, daß ihn kein Feenkind herzuzaubern vermag. Unsere Wege trennten sich gestern nach rechts und links.

      Sie faßte seine Hand und führte ihn nach der Tür. Laß einmal sehen, ob ich dir gleich recht schwesterlich eine Freude bereiten kann. Sie klopfte leise an. Komm heraus, lieber Gast!

      Die Überraschung glückte vollkommen, und die beiden munteren Mädchen lachten dazu aus vollem Halse.

      So waren die neuen Bekanntschaften allseitig freundlich eingeleitet. Zum Mittag kam auch Lippolt Clacz, ein vierschrötiger Kleinstädter, mit seiner Neuenburgerin, einer hübschen Blondine. Er wußte anfangs nicht recht, wie er sich zum Junker von der Buche stellen sollte, da die Schulfreundschaft doch schon weit hinter ihnen lag und ihre Lebensstellungen nun sehr verschiedenartig waren; aber Hans verstand in seiner freundlichen Weise darüber hinwegzuhelfen, indem er bei den alten Kulmer Erinnerungen anklopfte. Frau Clocz hatte aufgetragen, was Küche und Keller irgend bieten wollten. So gab's eine vergnügte Tafel.

      Nachmittags sprach der Pfarrherr wie von ungefähr ein wenig an. Seiner Hochwürden läßt's schon keine Ruhe mehr, meinte der Ratmann, als er ihn über den Markt auf sein Haus zukommen sah. Er muß wissen, was wir für Gäste bei uns haben.

      Spioniert er gern? fragte Hans.

      Der Alte strich sein Kinn. Nun – nennt's, wie Ihr wollt. Er ist einmal des Herrn Bischofs von Kujawien Hauskaplan gewesen und verkehrt noch immer gern an dessen Hof zu Subkau. Wir haben ihn in Verdacht, daß er ihm allerhand zuträgt, was im Schlosse und hier in der Stadt sich ereignet. Es ist ein Glück, daß man auch im Beichtstuhl nicht mehr sagen kann, als man weiß. Seit das Fräulein bei uns ist, umschleicht er unser Haus wie ein Fuchs. Es soll durchaus damit eine ganz besondere Bewandtnis haben, und so zerbricht er sich den Kopf um Dinge, die ihn sowenig angehen als mich. Laßt ihn nicht wissen, Junker, daß Ihr in Prag gewesen seid. Ihr habt da bei Tisch Reden geführt – hm, mir habt Ihr recht aus dem Herzen gesprochen, aber den Römischen –

      Er mußte abbrechen, denn der geistliche Herr räusperte sich schon draußen. Sollte mir leid sein, wenn ich störe, sagte er, beim Eintreten die Gesellschaft musternd. Wollte nur eine kleine Rücksprache halten wegen des Daches der Pfarrkirche, das über dem Chor schadhaft geworden ist. Aber ein andermal, ein andermal, wenn's Euch heute nicht ansteht.

      Er ging aber doch nicht, sondern nahm ein Gläschen süßen Ungarnwein an und mühte sich um eine vertrauliche Unterhaltung. Dabei war's leicht zu durchschauen, daß er besondere Aufmerksamkeit auf den Bruder seines frommen Beichtkindes richtete, wie er Waltrudis mit Vorliebe nannte. Er wußte ihn geschickt darüber auszufragen, von wo er gekommen sei und wer ihn geschickt habe und was er hier für Geschäfte betreibe, und wie überhaupt sein Lebenslauf bisher gewesen wäre, daß Heinz bald um Antworten verlegen wurde, zumal der Ratmann ihm heimlich zublinkte, vorsichtig zu sein. Als der Pfarrherr sich nach einer guten Stunde entfernte, wurde allen wohl zumut.

      Dann wurde, als die Sonne nicht mehr so scharf brannte, ein Spaziergang nach den Stadtgärten beschlossen. Man ging zum Kulmer Tor hinaus, das dem Schloßtor gerade gegenüberlag, links von dem breiten Turm, der dieser Seite der Stadtmauer eine erhöhte Festigkeit gab und auch mit einer Ausfallpforte für Zeiten der Not versehen war. Die anderen Türme hatten nicht dieselbe Höhe und Breite, traten aber doch drohend genug nach dem Graben vor; die kleine Stadt zeigte sich überhaupt auf dieser am meisten gefährdeten Seite von recht kriegerischem Aussehen. Feldwege führten zu den Gärten und Stadtäckern, auf denen fleißig gearbeitet wurde. Auf einer Stelle, wo sich der Boden gegen den Weichselstrom hin ein wenig erhob, standen im Kreise mehrere Eichen, die hier schon vor länger als hundert Jahren von freundlicher Hand gepflanzt sein mußten. Die kleine Gesellschaft lagerte sich dort im Schatten; die Mädchen sangen Lieder, die vom Rhein und Main her zugleich mit den deutschen Einzöglingen ins Land Preußen gekommen und älter sein mochten als die Eichen über ihnen, und die jungen Leute versuchten, sie im Baß zu begleiten. Dann strichen sie quer über Feld bis zum Schwarzwasser und folgten dessen geschwindem Lauf bis zum Brückenturm, kehrten aber erst nach der Stadt zurück, nachdem sie weiter hinaus den Hügel gegenüber dem Schlosse bestiegen hatten, auf dem einmal vor dem großen Brande die alte Stadt Schwetz gelegen hatte, jetzt nur noch vertreten durch eine Marienkirche, einen Gefängnisstock und eine Scheunengasse. Man hatte von hier einen Blick über die nicht hohe Verbindungsmauer zwischen Schloß und Stadt auf das Zeltlager der Söldner, das wohl für eine Weile die Schaulust beschäftigen konnte.

      Hans von der Buche war Waltrudis nicht von der Seite gegangen. Sonst meist still und in sich gekehrt, zeigte er sich jetzt gesprächig und unterhaltend. Er konnte gar nicht müde werden, dem schönen Mädchen in die wundersamen Augen zu schauen, und diese Augen richteten sich gern auf ihn, wenn er sprach. Daß sie ihn mit dem Bruder hatte verwechseln können, schien ihm in ihrer Schätzung einen bleibenden Vorzug zu geben. Heinz, der bald merkte, wo die Glocken hingen, handelte freundschaftlich, ging ab und zu und plauderte mit den beiden Ratstöchtern oder sagte der Neuenburgerin eine Artigkeit oder neckte Lippolt wegen seines Ansatzes zu einem Bäuchlein, das sich in der guten Pflege der Eheliebsten wohl zu behagen scheine. Wenn er dann zur Schwester zurückkehrte, sagte er gleichsam entschuldigend: Wir haben einander länger oder dergleichen, was nicht auf Hans Bezug hatte, und drückte ihr die Hand. Der aber erfuhr in der einen Stunde alles, was sie von ihrem jungen Leben zu sagen wußte, daß sie nach dem frühen Tode der Eltern im Kloster auferzogen sei, daß eine der Schwestern, eine nahe Verwandte der Plauen, eine sehr gelehrte Frau gewesen, und daß sie von ihr nicht nur das Lesen und Schreiben, sondern auch das Ausmalen der großen Anfangsbuchstaben mit bunten Farben und sogar ein wenig Latein gelernt habe. Lange sei sie der Meinung