Nun stritten da sehr verschiedene Meinungen. Arnd Hecht in seiner zufahrenden Weise hielt es für das sicherste, in dieser Angelegenheit, wo das Recht so unzweifelhaft auf seiten der Stadt, das Schreiben des Hochmeisters nicht anders zu beachten als durch einen feierlichen Protest, inzwischen aber zu hängen und zu köpfen. Die Kreuzherren würden sehr böse darüber werden, sehe er voraus, und großen Lärm schlagen, aber was geschehen sei, sei dann doch nicht zu ändern, und wenn schlimmstenfalls der Stadt eine Geldbuße auferlegt werde wegen Ungehorsams, das sei immer noch lange nicht so schlimm, als wenn man so willfährig der Stadt Rechte vergebe. Dagegen sprach mit aller Entschiedenheit Gerd von der Beke und sein adeliger Anhang, der es mit dem Orden nicht verderben wollte. Das sei offenbare Auflehnung gegen die Herrschaft, hieß es hier, und man könne es vor der Gemeinde nicht verantworten, sie in solche Gefahr zu bringen. Der Streit im Rat, mit gegenseitigen Vorwürfen aller Art, wurde so heftig, daß Konrad Letzkau ernstlich Ruhe gebieten mußte. Man dürfe nichts gegen Eid und Pflicht tun, sagte er, und es stehe ihnen nicht zu, des Hochmeisters Willen zu verwerfen, wenn man seinen Entscheid auch für unrichtig halte. Er schlug vor, die Verurteilten in festem Gewahrsam zu halten, beim Herrn Hochmeister aber sofort vorstellig zu werden. Das wurde mit geringer Mehrheit der Stimmen angenommen.
Der Bote ging noch denselben Tag ab, brachte aber einen noch gemesseneren Befehl zurück, in allem dem Inhalt des ersten Briefes zu gehorsamen. Es folge wieder eine stürmische Beratung. Einer der jüngeren Ratmannen meinte, weil der Herr Hochmeister doch »die Hälfte« der Gefangenen verlangt habe, so solle man ihm doch die Hälfte geben: nach des Komturs Wahl Kopf oder Rumpf. Der Bürgermeister verwies ihm den Scherz als ungeziemend, aber jener hatte doch die Lacher auf seiner Seite. Endlich ward beschlossen, dem Komtur mit allem Protest anzuzeigen, daß er seinen Teil der Gefangenen auf dem Langgassentor in Empfang nehmen könne; über die Auswahl solle er sich mit den Bürgermeistern vergleichen.
Letzteres hatte keine sonderliche Schwierigkeit, außer daß über den Hauptmann Hader entstand. Der Komtur verlangte Marquard Stenebreeker für sich, Hecht für die Stadt. Letzkau meinte nun, ohne seine Pflicht zu verletzen, für seinen Retter etwas Freundliches tun zu dürfen, und sprach Hecht gütlich zu, nachzugeben. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, daß man den Räubern auf dem Schloß ans Leben gehen werde, während sie von der Stadt das Schlimmste zu erwarten hätten. Seine Meinung gab den Ausschlag, und so wurde Stenebreeker ins Schloßgefängnis übergeführt. Ihr tut wahrlich nicht gut, schalt Hecht auf dem Heimwege, dem Orden so willigen Gehorsam zu zeigen. Er wird bald übermütig werden in seinen Forderungen, und wir verderben uns unseren Anhang im Rat und in der Gemeinde, wenn wir im Schlosse gut angesehen sind.
Sorgt darum nicht, lieber Kumpan, antwortete der Bürgermeister, und schaut's von der rechten Seite an. Ihr seid lange Jahre zur See gefahren und wißt, daß man ein Schiff nicht geradeaus gegen den Wind steuern kann; man muß lavieren und kommt doch ans Ziel. Der Orden ist uns zu mächtig, und er kann leicht aus dem Kampf mit Polen noch mächtiger hervorgehen. Warten wir auf günstigere Gelegenheit.
Die Aufregung in der Stadt war groß. Es traf sich unter solchen Umständen wahrlich günstig, daß die Vorbereitungen zum Pfingstfeste schon im Gange waren und die Gedanken der Bürger auf friedliche Dinge ableiteten. In jedem Hause fast wurde darüber gesprochen, wie man sich beteiligen wolle. Die jungen Gesellen übten sich im Reiten und Tanzen, die Fräulein sorgten für ihren Putz, und die Hausväter und die Hausmütter ließen sich gern zu Rate ziehen, wie es vor Jahren gewesen sei und nun wieder sein solle.
So gab's denn auch nicht viel Gerede über die von einigen Brauseköpfen aufgeworfene Frage, ob man diesmal, wie sonst, den Herrn Komtur und die anderen Herren Ritter einladen oder sie lieber übergehen solle wegen des letzten Streites. Hier war auch Hecht der Meinung, daß man nicht unhöflich scheinen dürfe. Das Pfingstfest habe nichts gemein mit diesen öffentlichen Händeln, und sie seien ja auch vorläufig verglichen. So erging denn die übliche Einladung aufs Schloß und wurde mit einem freundlichen Dank erwidert. Man wolle verzeihen, wenn die Ritter nicht in voller Zahl erschienen, da einige der Dienst im Schlosse und in den Vorwerken, andere Krankheit abhielte, aber der Komtur bäte, ihm und mehreren Begleitern Platz zu halten. Man wollte auch dort geflissentlich zeigen, daß man den jüngsten Vorfall nicht nachtrage und ohne Groll sei.
Junker Heinz war indessen im Großschen Hause täglicher Gast. Dort gingen auch die Schwestern der Hausfrau oft aus und ein, und Katharina brachte mitunter ihre Freundin Maria Huxer mit. Heinz begleitete sie dann gern nach Hause, stellte sich wohl auch ohne solche Gelegenheit dort ein und fand immer freundliche Aufnahme selbst bei dem knurrigen Alten. Der Ritter, mit dem er die Schlafkammer teilte, hatte ihm sein Pferd zum Stechspiel zu leihen versprochen, da der Komtur aus dem Konventsstalle zu solchen Zweck keins herzugeben befugt war, und so durfte er hoffen, gut zu bestehen. Hans von der Buche erhielt sein Pferd von Barthel Groß, der auf seinem Gute vor der Stadt eine ganz ansehnliche Stuterei unterhielt und schöne englische Pferde für dieselbe hatte kommen lassen, aus denen ihm nun die Auswahl freistand. Er hatte zwar kein sonderliches Vergnügen an ritterlichen Künsten, meinte aber doch, diesmal nicht fehlen zu dürfen, und brachte nun halbe Tage auf dem Gutshofe zu, um sich eine sichere Hand im Stechen vom Pferde herab zu verschaffen, was er seit Jahren nicht geübt hatte. Verlangte sein Ehrgeiz auch nicht nach einem Preise, so wollte er doch mindestens nicht ausgelacht sein.
Endlich kam der ersehnte Tag und brachte blauen Himmel und hellen Sonnenschein von früh an. Die Luft war weich und warm, und der Mai, sonst durchaus nicht der Wonnemonat in diesen nordischen Küstenländern, schien eine rechte Freude daran zu haben, das Fest zu begünstigen. Die Schiffe und Kähne auf dem Flusse hatten geflaggt, die Türen der Häuser waren mit grünen Birkenreisern umsteckt, auf den Geländern der Vortreppen und aus den Fenstern hinaus hingen bunte Teppiche, und weiterhin auf die Straße waren überall gehackte Kalmusblätter und gelbe Blumen gestreut. Die ganze Stadt hatte ein Festgewand angelegt, und selbst von den finsteren Türmen der Mauern herab wehten Fahnen mit dem Stadtwappen. Sobald die Glocken läuteten, zogen die Bewohner der Stadt in ihren besten Festtagskleidern scharenweise nach der Marienkirche, deren weiter Raum sie kaum zu fassen vermochte. Nach der Messe wurde durch die Stadt spaziert, um deren Festschmuck in Augenschein zu nehmen, durch den sich namentlich die Langgasse, die Brauer- und die Bäckergasse auszeichneten, überall, wo die Ämter ihre Vereinslokale hatten, da waren vor den Türen ganze Bäume aufgepflanzt und mit bunten Bändern und Goldflittern verziert. Die Trompeter und Pfeifer des Artushofes aber zogen durch die Stadt, hielten vor den Häusern der Bürgermeister und Ratmannen und luden durch ein lustiges Stückchen zum Feste ein, gefolgt von der Danziger Stadtjugend.
Die Tore waren geöffnet, damit die Nachbarn aus der Altstadt und Jungstadt freien Durchgang hätten. Auch die Fischer vom Hakelwerk fanden sich ein, und die Seeleute der fremden Schiffe durchzogen in kleinen Trupps die Straßen. In allen Brauhäusern war heute der Ausschank frei, und allerorts gab's Leben und Bewegung.
Zeitig wurde zu Mittag gegessen, und eine Stunde darauf begannen die eigentlichen Festlichkeiten mit dem Mairitt. Die jungen Kaufgesellen, meist Patriziersöhne, sämtlich im blanken Waffenschmuck und mit grünen Kränzen auf den Hüten, eröffneten den Zug zu Pferde; dann waren die Trompeter und Pfeifer eingereiht, und ihnen folgten die Jungmeister und Gesellen der zünftigen Gewerke, die Brauer und Fleischer, gleichfalls beritten, die übrigen wenigstens von Berittenen im Harnisch der Gewerkschaft angeführt, sämtlich mit grünen Maien geschmückt. Vor den Zimmerleuten und Maurern gingen Fahnenschwenker her, die ihre erstaunliche Kunstfertigkeit bewiesen, im Gehen mit ihrer Fahne an kurzem Stock allerhand Bewegungen auszuführen, sie hoch in die Luft zu werfen und bald mit dem rechten, bald mit dem linken Arm aufzufangen. Der Zug bewegte sich vom Rathause, wo die Bürgermeister und Ratsgenossen auf der Freitreppe standen und zuschauten, durch alle Hauptstraßen der Stadt und machte dreimal die Runde, aus allen Fenstern beugten sich die Zuschauer und namentlich die schönen Zuschauerinnen mit ihrem glänzenden Kopfputz vor, und selbst in den Luken der spitzen Giebel wurden die neugierigen Gesichter der Hausmägde sichtbar, von denen so manche ihren Schatz unter den Handwerksknechten erkannte. Nach dem feierlichen Umzuge hielt man wieder vor dem Rathause, der vorderste Reiter sprang vom Pferde und überreichte dem Bürgermeister einen Kranz »für die schöne junge Dame, die auserkoren, den Sieger im Stechspiel zu belohnen«, und bat zugleich um des Hohen Rats Erlaubnis, daß jede Gewerkschaft in ihr Quartier oder in