Ich wußte, daß Ihr zu mir kommen würdet, Konrad Letzkau, redete der Seeräuber ihn an, ohne den Kopf aufzurichten. Ich habe nicht umsonst Euren Ring bewahrt.
Und weshalb rieft Ihr mich, Marquard? fragte der Bürgermeister. Was habt Ihr mir Wichtiges mitzuteilen?
Stenebreeker lachte kurz auf. Solltet Ihr wirklich nicht gemerkt haben, Ihr kluger Mann, daß ich einen Vorwand brauchte? Ich wollte Euch mahnen, daß ich hier gefangen sitze. Ihr scheint es vergessen zu haben.
Ich hatte es nicht vergessen.
Und doch kümmert Ihr Euch wenig um mich. Ist es wahr, daß der Danziger Rat uns förmlich den Prozeß machen will?
Es ist so.
Was soll das? Wir Vitalienbrüder stehen nicht unter Danziger Gerichtsbarkeit. Was geschehen ist, ist geschehen auf freier See. Die See gehört niemand als dem, der sie bändigt mit Segel und Ruder. Wir haben uns nicht vergangen gegen eure Stadt oder einen ihrer Bürger nach ihrem Gesetz. Wir erkennen das Danziger Gesetz nicht über uns an. Als offene Feinde in ehrlicher Fehde sind wir euch da begegnet, wo allein das Recht des Stärkeren gilt. Wir sind besiegt worden und müssen leiden, daß man uns als Besiegte behandelt. Errichtet einen Galgen und knüpft uns auf, wenn ihr den Leuten ein Schauspiel geben wollt; aber treibt nicht euer Spiel mit uns vor Richter und Schöppen; man tötet seine Feinde, aber man richtet sie nicht!
Letzkau schüttelte den Kopf. Ihr kommt damit nicht weit. Die preußischen Städte haben die Vitalienbrüder nie als eine Seemacht anerkannt, die Krieg zu führen berechtigt wäre. Seeräuber seid ihr, seitdem ihr in keines Herrn Dienst und Pflicht steht, und als Räuber richten wir euch nach unserem Gesetz, wenn wir euch fangen.
Und übermorgen soll der Gerichtstag sein?
So ist's beschlossen.
Dann haben wir wenig Zeit. Nennt Euer Gericht wie Ihr wollt, sein Spruch ist im voraus gewiß, und Euer Henker wird nicht säumen, ihn zu vollführen. So oder so, aber – mich gelüstet nicht nach dem kalten Eisen oder dem Strange an meinem Halse, und ich hoffe wohl auch noch einen Freund in der Not zu haben, der mir darüber hinaushilft. Darum rief ich Euch, Konrad Letzkau.
Der Bürgermeister preßte die schmalen Lippen zusammen und blickte finster vor sich hin. Nach einer Weile sagte er dumpf: Ich kann Euch nicht helfen, Marquard – bei Gott, ich kann Euch nicht helfen.
Stenebreeker richtete sich auf seiner Bank auf, daß die Ketten laut rasselten. Ihr könnt mir nicht helfen? rief er. So wollt Ihr's nicht. Habt Ihr nicht auf Schloß Warberg in einem festeren Turm gesessen, und hab' ich Euch nicht die Freiheit verschafft durch ein Stück gereiftes Eisen und einen hanfenen Strick? Ist dergleichen in Danzig nicht zu haben? Und habt Ihr mir's nicht zugesagt, daß Ihr mir's vergelten wollet, was ich Gutes an Euch getan?
Eine Feile und ein Strick können Euch hier nichts nutzen, Marquard, antwortete Letzkau. Wenn Ihr auch auf die Straße hinabgelangt, was schwerlich unbemerkt bleiben kann, da Eure Zelle über dem Tordurchgang liegt, Ihr könntet nicht zur Stadt hinaus. Mauern schließen sie rundum ein, und zur Nachtzeit sind alle Tore geschlossen.
Das laßt meine Sorge sein. Wenn's aber hier so große Gefahr hat, laßt mich in ein anderes Gefängnis überführen. Ihr habt deren genug über den Wassertoren. Gewinne ich den Fluß, so denke ich wohl zu entkommen.
Es geht nicht an, Marquard.
Warum geht es nicht an? Seid Ihr nicht Bürgermeister dieser Stadt und habt zu befehlen?
Letzkau streckte die Hand mit dem Zeigefinger unter dem Mantel vor. Seht Ihr – deshalb geht es nicht an, Marquard, antwortete er aus beklommener Brust, weil ich der Bürgermeister dieser Stadt bin, deshalb geht es nicht an.
Stenebreeker warf den Kopf auf. Ah, dahinter verschanzt Ihr Euch?
Nicht so, Marquard. Bei Gott, ich suche nicht Vorwand, mich der Pflicht der Dankbarkeit zu entziehen, und es beschwert mein Herz, daß ich Euch nicht Dank beweisen kann, wie ich wohl möchte. Aber hier ist's nicht der Konrad Letzkau, an den Ihr Euch wendet: der Bürgermeister von Danzig steht vor Euch, und der hat seinen Mitbürgern geschworen, der Stadt Rechte zu wahren. Ihr seid ein Gefangener der Stadt Danzig, und wenn der Bürgermeister von Danzig Euch zur Flucht hilft, so ist er ein Nichtswürdiger, der Eid und Amt nicht achtet und untreu waltet aus Eigennutz. Ich kann's nicht, so wahr ich ein ehrlicher Mann bleiben will.
Der Seeräuber kämmte mit den Fingern seinen langen Bart drei, viermal. Ihr macht da einen gar feinen Unterschied, sagte er dann, aber Euer zartes Gewissen wird ihn nicht gelten lassen. Wenn ich gedacht hätte wie Ihr, wo wäret Ihr dann heut? Auch ich hatte damals einen Herrn, und Abraham Broderson war mir, was Euch die Stadt Danzig ist. Dennoch half ich Euch, und Ihr habt nicht danach gefragt, ob ich Eurem Peiniger die Treue brach.
Letzkau trat näher und legte die Hand auf die Schulter des geketteten Mannes. Es steht doch nicht gleich, Marquard, sagte er. Ihr hattet nicht viel Ehre und guten Namen zu verlieren, und das wenige habt Ihr nicht einmal verloren meinetwegen, denn die Tat war heimlich, und niemand konnte Euch anklagen. Was ich aber für Euch täte, das könnte nicht heimlich bleiben. Der Rat, der mich gewählt hat, würde mir die goldene Kette abreißen und mein Haupt auf den Block legen. Schimpf und Schande würde ich auf Kinder und Kindeskinder bringen. Und ich kann's auch nicht nach meinem Gewissen! Legt mir eine Buße auf, so hoch Ihr mögt, ich will sie zahlen, zu Eurem Seelenheil an Kirche oder Kloster oder an einen, der Eurem Herzen nahesteht. Aber Euch aus diesem Gefängnis zu entlassen – vermag ich nicht, das müßt Ihr mir glauben.
Stenebreeker schüttelte seine Hand von der Schulter ab und sah ihn verächtlich von unten her an. Was nützt mir Eure Buße, rief er, wenn ich unterm Galgen begraben bin wie ein Hund! Hätt' ich Euch doch im Turm vermodern lassen! Hilf großen Herren aus der Not und warte auf Lohn! Geht – geht! Ihr seid ein Undankbarer!
Marquard! Wenn sonst etwas, das in meiner Macht –
Geht, sage ich, daß ich nicht mit der Kette nach Euch schlage. Er spie aus. Pfui, es ist eine Sünde, so gewissenhaft zu sein! Aber hört, was ich Euch sage, Konrad Letzkau: Noch sitzt mein Kopf fest auf dem Rumpf, und Gottes Wege sind oft wunderbar. Es könnte doch sein, daß ich diese Fährlichkeit überstehe – niemand soll auf den nächsten Tag schwören. Betrachtet mich von dieser Stunde ab als Euren Feind und hütet Euch vor mir: ich will mich selbst bezahlt machen!
Der Bürgermeister wich keinen Schritt zurück trotz der drohenden Nähe des Wütenden. Ihr habt keine Hoffnung, sagte er mild, söhnt Euch mit dem Himmel aus, wenn Ihr könnt. Ich bitt' Euch, Marquard, reicht mir die Hand zum Abschied.
Meinem Henker lieber! rief Stenebreeker und knirschte mit den Zähnen. Letzkau wandte sich traurig der Tür zu. Aber noch eins: Gebt mir den Ring zurück, den ich Euch schickte. Er gehört mir ja doch und ist redlich verdient. Ich will ihn als ein Andenken an Euch am Finger tragen, wenn ich die Leiter besteige.
Letzkau reichte ihm den Ring und entfernte sich schweigend; er wußte nun, daß der Mann nicht zu versöhnen war, und konnte ihm nicht zürnen. Das lastet auf mir bis ans Ende meiner Tage, murmelte er, als er die enge Steintreppe hinabstieg.
Er kehrte nicht mehr nach dem Artushof zurück, sondern begab sich sogleich nach seinem Hause. Auf Schlaf für diese Nacht rechnete er nicht.
Die Junkerbank leerte sich aber an diesem Abend erst, als um zehn Uhr der Torwächter ansagen kam, daß er nach des Hofes Ordnung schließen müsse.
Barthel Groß und Hans von der Buche geleiteten Heinz bis zum Haustor, und da der Wächter versprach, es ihnen offenzuhalten, noch eine Strecke durch das stille Hakelwerk, denn er ging nicht ganz sicher auf seinen Füßen. –
Am nächsten Vormittag nach der Messe versammelte sich der Rat. Wie zu erwarten stand, beschloß er, daß die Stadt das Gericht hege ohne des Ordens Beistand. Das wurde brieflich aufs Schloß gemeldet.
Am