Groß erklärte sich gern bereit, ihn zu begleiten, wenn er sich eine Stunde gedulden wolle, die er noch auf seinem Kontor zubringen müsse; am Markttage sei immer mehr zu tun als gewöhnlich, auch für den Getreidehändler, und die Hofleute von seinen Liegenschaften bei der Stadt seien zur Abrechnung hereingekommen. Die beiden Junker gingen deshalb vorläufig allein fort und versprachen, sich wieder zu melden. Frau Anna bat, sich rechtzeitig beim Mittagstisch einzufinden.
Im Marktgewühl kamen sie unversehens auseinander. Heinz ließ sich der Stadtwaage zudrängen, arbeitete sich mit den Ellenbogen durch und stand bald nicht weit von dem großen Gestell. Ein alter Mann mit langem, weißem Haar und zottigem Bart, bekleidet mit einem knappen Lederwams, über dem eine Weidmannstasche hing, und mit einem breitkrempigen Hut, der das verwitterte Gesicht beschattete, ließ mehrere Tonnen Honig und Fastagen mit großen Stücken Wachs verwiegen, die zwei Leute in der Tracht der preußischen Bauern auf einer Trage herangebracht hatten. Gegenüber an der Waagschale stand der Kaufmann, der die Ware behandelt hatte. Heinz bemerkte, daß er dem Gehilfen des Wägers, der die eisernen Gewichte aufsetzte, mit einem heimlichen Wink etwas in die Hand steckte. Der beeilte das Geschäft nun sehr auffällig, drückte mit der Hand die Schale nieder und wollte sogleich wieder abräumen. Das geht nicht ganz mit rechten Dingen zu, dachte Heinz bei sich.
Auch der Alte mußte wohl Unrat gemerkt haben. So gilt's nicht, rief er zutretend und die Kette der Waagschale erfassend. Die grauen Augen blickten zornig aus den tiefen Höhlen.
Wie gilt's nicht? fragte der Knecht zurück, ohne sich im Abräumen stören zu lassen.
Mein Wachs wiegt mehr, antwortete der Alte, Ihr habt die Schale mit der Hand bedrückt.
Wollt Ihr mich wiegen lehren? fuhr der Knecht auf. Sechs Stein und acht Pfund.
Sieben Stein, rief der Alte, nicht ein Pfund weniger! Stellt noch einmal die Gewichte auf!
Habe mehr zu tun, wies ihn der andere ab. Macht, daß Ihr fortkommt, alter Polacke!
Dem Alten schwollen die Adern auf der Stirn. Wer ist ein Polacke? schrie er. Ihr aber seid ein Betrüger, das will ich Euch beweisen!
Ihr habt's gehört, wandte der Knecht sich an die Umstehenden, das Wort soll er mir teuer bezahlen! Wo ist die Marktwache?
Der Mann im Lederwams ließ die Kette nicht los. Ich will mein ehrliches Gewicht! Glaubt Ihr's mit einem dummen Kassuben zu tun zu haben? Zahle ich meinen Wiegepfennig, so muß ich nach dem Rechten bedient werden. Nochmals die Gewichte auf die Schale!
Der Wäger wollte ihn nun gewaltsam mit dem Arm fortschieben. Kaum aber hatte er seine Brust berührt, als der Alte, rot vor Zorn, ein langes Messer zog und sich auf ihn stürzte. Brauchst du Gewalt, du Hund? schrie er. Warte, ich will dich klug machen!
Er hätte ihn sicher verwundet, wenn nicht Heinz vorgesprungen wäre. Ruhig Blut, Alter! rief er ihm zu und drückte mit der Hand seinen Arm nieder.
Der Alte schaute zornig um, gab aber sogleich den Versuch auf, sich zu befreien. Was er sah, schien ihn zu erschrecken, denn der Kopf zuckte zurück, und der Blick wurde unsicher. Wer – seid Ihr – Herr, fragte er, daß Ihr's wagt –
Mein Name kümmert Euch wenig, antwortete der Junker, aber dem Richter will ich ihn nennen, wenn ich für Euch zeuge.
Ihr wollt –?
Ich will für Euch zeugen. Der Schalknecht hat die Schale niedergehalten, auf der die Gewichte standen. Ich hab's mit meinen Augen gesehen.
Was habt Ihr gesehen? wandte sich nun der grobe Mensch gegen ihn. Wollt Ihr mich Lügen strafen? Was habt Ihr hier überhaupt müßig zu stehen und zu gaffen? Schert Euch Eurer Wege! Der Handel ist richtig!
Ho, ho! rief Heinz. So schafft Ihr mich nicht fort! Wenn Ihr's denn wissen wollt: Ich habe noch mehr gesehen. Hat Euch nicht der Kaufmann etwas in die Hand gesteckt? Das war doch nicht der Wiegepfennig.
Nun wurde der Lärm erst recht groß. Der Schalknecht wollte den lästigen Vermittler fassen und der Marktwache übergeben; der Alte aber wehrte ihn ab, und der geschworene Wäger trat nun hinzu, für seinen Gesellen Partei nehmend. Was gewogen ist, das ist gewogen, entschied er, und wer meinen Knecht des Truges beschuldigt, der beschuldigt auch mich, daß ich untreue Genossen halte. Ich leide es nicht!
Und ich nehme meine Ware zurück! schrie der Alte. Schande über eure Stadt, wenn der fremde Mann nicht Recht finden kann gegen den Bürger! Der Handel ist aufgehoben!
Der Handel gilt, behauptete der Kaufmann; wir sind einig geworden über den Preis!
Aber nicht über das Gewicht, wandte der Verkäufer ein und stieß ihn von den Tonnen zurück. Seine Begleiter machten sich daran, wieder aufzuladen; die Beamten wollten sie hindern; wieder blitzte das Jagdmesser in des Alten Hand.
Da rief von hinten her eine Stimme über die Köpfe der Umstehenden hinweg: Gundrat – was gibt's da? Ruhe und Frieden!
Heinz erkannte sie sogleich als die seines Freundes Hans von der Buche. Aber auch dem Alten mußte sie bekannt klingen. Er steckte eilig das Messer fort und griff an den Hut. Seid Ihr's, Junker? fragte er hinüber. Wahrhaftig, Ihr seid's!
Und Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, um Eure eigene Sache zu führen, denn auch Eures Herrn Vaters Gut ist dabei.
Hans schüttelte dem alten Manne die Hand. Muß ich dich gleich wieder in Streit und Hader finden? ermahnte er freundlich. Immer noch der alte Brausekopf, der gleich mit der Faust dazwischenfährt, wenn's nicht nach seinem Sinne geht. Ruhig, ruhig!
Gundrat sah finster zur Erde. Soll ich Unrecht leiden, Junker? Der ist kein Mann, der nicht für seine gerechte Sache eintritt, was auch draus folge!
Unser alter Waldmeister, wandte Hans von der Buche sich an seinen Freund. Er haust in den Wäldern meines Vaters am Melno-See und sieht manchmal wochenlang keinen Menschen. Da muß man ihm sein rauhes Wesen nicht übelnehmen. Warum bringst du denn deinen Honig und Wachs bis Danzig hinauf, Gundrat? Konntest du ihn nicht in Graudenz loswerden?
Er preist dort schlecht, antwortete der Alte, und wir brauchen Geld zur Rüstung in diesen schweren Zeiten. Es ging gerade ein Weichselkahn stromhinab; da meint' ich, die Reise wohl einbringen zu können. Aber lieber nehm ich meinen Jahresertrag wieder zurück und verschenke ihn an die Armen, als daß ich mich von dem Buben hier –
Still, still, fiel der Junker ein. Beginnt den Zank nicht von neuem. Laß deine Leute bei den Tonnen und Bodemen zurück und folge mir aufs Rathaus; ich will dort deine Sache führen.
Ich brauche den Richter nicht, wenn ich mir selbst helfen kann, knurrte der Waldmeister, ging aber doch mit. Auch Heinz schloß sich an, und der Wäger, da er Ernst sah, mußte wohl als verklagter Teil dabeisein.
In einem Zimmer des Erdgeschosses, dessen Türen weit offenstanden, sah einer von den Ratmannen mit zwei Schöffen, die Markthändel sofort zu schlichten. Er kannte die beiden Junker und empfing sie freundlich. Hans von der Buche trug die Sache vor, und Heinz legte sein Zeugnis ab. Nun wurde der Schalknecht sehr kleinlaut, sprach von Irrtum und kam immer wieder auf seine Klage zurück, daß der Alte ihn mit dem Messer bedroht hätte, um von dem Hauptpunkt abzulenken. Aber der Marktherr ließ sich nicht irremachen. Er begleitete die Streitenden zur Stadtwaage und verlangte, daß in seiner Gegenwart nachgewogen werde. Nun gab der Schalknecht dem Kaufmann einen Wink, daß er durch einen Vergleich zuvorkommen solle. Der ging auch darauf ein, aber Gundrat bestand auf seinem Recht. So wurden denn die Tonnen wieder aufgelegt und die Gewichte eingestellt; die Ware wog reichlich sieben Stein. Wollt Ihr sie zu diesem Gewicht annehmen? fragte der Marktherr den Krämer. Der bejahte verdrießlich. So gehört sie Euch gegen Zahlung des Preises nach dem Gewicht, denn darauf war der Handel abgeschlossen. Ihr aber, untreuer Mann, verlasset die Stadtwaage und sollt nicht wieder zurück ins Amt, das ihr gewissenlos verwaltet habt. Und Euch, dem geschworenen Wäger, will ich ernstlich raten, daß Ihr Euch künftig besser vorsehet in der Wahl Eurer Gesellen, damit Euch der Rat nicht kündige. Euch endlich, Waldmeister, lege ich eine Buße von drei Pfennigen auf, weil Ihr das Messer auf dem Markt gezogen