Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
Скачать книгу
ich kann dich nicht so lieben, um dich zu erstechen.

      O, kenntest du den Zustand dieses von Angst zusammengeschnürten Herzens! nie brannte es von so heiligem Feuer, nie waren ihm deine Unschuld und deine Tugend theurer. Ich habe lieb, und daß ich lieb haben kann, das fühle ich; aber ich bin nur ein Mensch und es geht über Menschenkraft, dem höchsten Glück zu entsagen. Eine Nacht, eine einzige Nacht hat auf immer meine ganze Seele verwandelt. Nimm diese gefährliche Erinnerung hinweg, und ich bin tugendhaft. Aber diese verhängnißvolle Nacht herrscht in der Tiefe meiner Seele und wird mit ihrem Dunkel den Rest meines Lebens bedecken. Ach Julie, Angebetete, wenn wir auf ewig elend sein müssen, noch eine Stunde Glück und dann ewige Trauer!

      Höre Den, der dich liebt. Warum wollten wir allein vernünftiger sein als alle übrigen Menschen und mit Kindereinfalt chimärischen Tugenden nachjagen, von denen alle Welt spricht und die Niemand übt? Wie? Sollen wir bessere Moralisten sein als diese Massen von Philosophen, von denen London und Paris voll ist, die sich alle über die eheliche Treue lustig machen und den Ehebruch als einen Spaß betrachten? Die Beispiele davon werden nicht anstößig gefunden; nein, es ist sogar nicht einmal erlaubt, etwas dawider zu haben, und alle ordentlichen Leute würden hier Den auslachen, der aus Respect für die Ehe den Hang seines Herzens bekämpfte. Ist nicht ein Unrecht, sagen sie, das nur von der Meinung zum Unrecht gestempelt ist, in der That keines, wenn es geheim bleibt? Was für Schaden hat der Mann von einer Untreue, die er nicht erfährt? Mit wie viel Aufmerksamkeit und Gefälligkeit macht nicht eine Frau ihre Fehltritte wett [Wo hat er das gesehen, der gute Schweizer? Schon lange stimmen die galanten Frauen ihren Ton höher. Sie fangen an, ihre Liebhaber stolz in's Haus einzulogiren, und wenn man den Mann noch darin duldet, so ist dabei vorausgesetzt, daß er sich gegen dieselben mit der Achtung betrage, die er ihnen schuldig ist, Eine Frau, die sich mit einem schlechten Umgang verstecken wollte, würde glauben machen, daß sie sich der Sache schäme, und das wäre eine Schande für sie, keine honnette Frau würde mehr mit ihr umgehen.]? Wie liebreich behandelt sie ihn, um seinen Verdacht abzuwenden, oder zubeschwichtigen? Eines eingebildeten Gutes beraubt, lebt er in Wirklichkeit glücklicher, und das vorgebliche Verbrechen, von welchem so viel Geschrei gemacht wird, ist nur ein Band mehr in der Gesellschaft.

      Gott verhüte, geliebte Freundin meines Herzens, daß ich mit so schändlichen Grundsätzen das deinige einschläfern wollte! ich verabscheue sie, ohne daß ich sie bekämpfen könnte, und mein Gewissen antwortet besser darauf als mein Verstand. Nicht daß ich mich mit einem Muthe brüsten wollte, den ich nicht besitze, oder daß ich eine Tugend möchte, die soviel kostet; aber ich komme mir weniger strafbar vor, wenn ich mir meine Fehler vorwerfe, als wenn ich Anstrengungen mache, sie zu rechtfertigen, und ich sehe es als das höchste Maß des Verbrechens an, dieses der Gewissensbisse entledigen zu wollen.

      Ich weiß nicht, was ich schreibe; ich fühle meine Seele in einem schrecklichen Zustande, schlimmer noch als ehe ich deinen Brief erhalten hatte. Die Hoffnung, die du mir giebst, ist traurig und düster, sie löscht jene lautre Klarheit aus, die uns so oft geleitet hat; deine Reize verblassen und werden nur noch rührender; ich sehe dich zärtlich und unglücklich; mein Herz ist von den Thränen überschwemmt, die aus deinen Augen strömen und ich mache mir ein Glück zu bitterem Vorwurf, das ich nicht anders mehr als auf Kosten des deinigen genießen kann.

      Und doch fühle ich, daß ein verborgenes Feuer mich noch beseelt und mir den Muth wiedergiebt, den mir die Gewissensbisse rauben wollen. Theure Freundin, ach, weißt du denn wohl, für wie viele Verluste eine solche Liebe wie die meinige dich entschädigen kann? Weißt du, bis zu welchem Grade ein Liebhaber, der nur für dich athmet, dir das Leben lieb machen kann? Begreifst du es recht, wie ich nur für dich allein leben, handeln, denken, fühlen will? Nein, köstlicher Quell meines Seins, ich werde keine Seele mehr haben als deine, ich werde nichts mehr sein als ein Theil von deinem Ich, und du wirst im Grunde meines Herzens ein so süßes Dasein finden, daß du nicht fühlen sollst, was das deinige an Reizen verloren hat. Wohlan! wir werden strafbar sein, aber böse werden wir nicht sein; wir werden strafbar sein, aber wir werden die Tugend doch lieb behalten: weit entfernt, unsere Fehler keck zu entschuldigen, werden wir sie mit einander beseufzen und beweinen; wir werden sie, wo möglich, wieder gut machen, indem wir wohlthätig und gut sind. Julie, Julie! was wolltest du thun? was kannst du thun? Du kannst meinem Herzen nicht entrinnen; hat es sich nicht dem deinigen vermählt?

      Jene eiteln Pläne auf Fortkommen in der Welt, die mich so grob getrogen haben, sind längst vergessen. Ich will es mir einzig angelegen sein lassen, die Pflichten zu erfüllen, welche mir die Dankbarkeit gegen Milord Eduard auflegt: er will mich mit nach England schleppen; ich könnte ihm da von Nutzen sein, behauptet er. Nun wohl: ich werde mit ihm gehen; aber alle Jahre werde ich mich fortstehlen, und mich heimlich in deine Nähe begeben. Wenn ich dich nicht sprechen kann, werde ich dich wenigstens gesehen haben; ich werde wenigstens deine Fußtapfen geküßt haben; ein Blick von deinen Augen wird mir zehn Monate Leben gegeben haben. Wenn ich dann wieder scheiden muß, so werde ich, mich entfernend von der Geliebten, zu meinem Troste die Schritte zählen, die mich zu ihr zurückführen sollen. Diese wiederholten Reisen werden deinen unglücklichen Liebhaber über sein Loos täuschen; er wird schon deinen Anblick zu genießen glauben, wenn er aufbricht, um dich zu sehen; die Erinnerung an sein Entzücken wird ihn auf der Rückreise bezaubern; dem grausamen Schicksal zum Trotze werden seine traurigen Jahre nicht ganz und gar verloren sein; es wird keines sein, das nicht mit einer Freude bezeichnet wäre, und die kurzen Augenblicke, die er in deiner Nähe zubringen wird, werden genug sein, um sein ganzes Leben auszufüllen.

      Siebzehnter Brief.

       Frau von Orbe an Juliens Liebsten.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie haben keine Geliebte mehr; ich aber habe meine Freundin wieder gefunden und Sie haben eine erlangt, deren Herz Ihnen weit mehr erstatten kann, als Sie verloren haben. Julie ist verheiratet und werth, den braven Mann glücklich zu machen, der sein Schicksal mit dem ihrigen verbunden hat. Nach so vielen unklugen Streichen müßt ihr dem Himmel danken, der euch alle beide gerettet hat, Julie vor der Schande, und Sie vor dem Leide, sie hineingestürzt zu haben. Achten Sie ihren neuen Stand, schreiben Sie ihr nicht, sie bittet Sie darum. Warten Sie, bis sie Ihnen schreibt, sie wird es in Kurzem thun. Jetzt ist die Zeit, da ich erkennen werde, ob Sie die Achtung verdienen, die ich für Sie hegte, und ob Ihr Herz für eine reine und uneigennützige Freundschaft empfänglich ist.

      Achtzehnter Brief.

       Julie an ihren Freund.

       Inhaltsverzeichnis

      So lange habe ich Ihnen alle Geheimnisse meines Herzens anvertraut, daß es sich von der süßen Gewohnheit nicht mehr losmachen kann. In dem wichtigsten Falle meines Lebens will es sich gegen Sie ausschütten: öffnen Sie ihm das Ihrige, mein liebenswürdiger Freund; sammeln Sie in Ihren Busen die langen Reden der Freundschaft: wenn sie je zuweilen den Freund, der spricht, weitschweifig macht, so macht sie dafür immer den Freund, der hört, geduldig.

      Durch ein unauflösliches Band an das Schicksal eines Gatten oder vielmehr an den Willen eines Vaters gefesselt, trete ich in eine neue Laufbahn, die nur mit dem Tode enden soll. Bei ihrem Beginne lassen Sie uns einen Blick auf diejenige werfen, aus der ich trete; es wird ja nicht peinlich sein, uns eine so liebe Zeit zurückzurufen; vielleicht finde ich dabei Lehren, die ich mir für die Folge merken kann, Sie vielleicht Aufklärung über Manches, was Ihnen in meinem Betragen dunkel geblieben. Wenigstens werden unsere Herzen, indem wir betrachten, was wir einander waren, nur umso besser fühlen, was sie einander bis an's Ende unserer Tage schuldig sind.

      Es ist ungefähr sechs Jahre her, als ich Sie zum ersten Male sah: Sie waren jung, wohlgebildet, liebenswürdig. Andere junge Leute haben mir schöner und stattlicher geschienen; keiner hat mich in die geringste Aufregung versetzt, und mein Herz gehörte Ihnen vom ersten Augenblicke an [Herr Richardson spottet viel über solche Zuneigungen, die beim ersten Sehen entstehen und auf unerklärlichen Seelenverwandtschaften beruhen. Es ist recht gut und schön, daß er