Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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gehabt, und ich hatte ihn ohne weitere Vorsicht zu dir geführt. Als ich an die Art dachte, wie er deine Hand geküßt hatte, konnte ich nicht zweifeln, daß er sich selbst angesteckt. Man konnte nicht schlechter vorbereitet sein, aber die Liebe hatte ihn geimpft, es lief glücklich ab. Sie, die Lebengebende, hat dem Zärtlichsten aller Liebenden das Leben erhalten, er ist wiederhergestellt und nach Milord Eduard's letztem Briefe müssen sie jetzt wieder auf dem Wege nach Paris sein.

      So kannst du denn, allzuliebenswürdige Cousine, die Leichenphantasien verbannen, die dich ohne Ursache peinigten. Auf die Person deines Freundes hast du längst verzichtet und sein Leben ist in Sicherheit. Denke also nur daran, das deinige zu erhalten, und mit guter Manier das Opfer zu bringen, das dein Herz der Vaterliebe zugesagt hat. Laß endlich ab, der Spielball einer eiteln Hoffnung zu sein und dich mit leeren Träumen zu speisen. Du bist sehr eilig, dir etwas auf deine Häßlichkeit einzubilden; sei demüthiger, ich sage es dir, du hast nur noch zu viel Ursache dazu. Du hast einen harten Anfall bestanden, aber dein Gesicht ist verschont geblieben. Was du für Narben hältst, sind blos rothe Flecke, die bald verschwunden sein werden. Ich bin ärger mitgenommen worden, und doch siehst du, daß ich deswegen noch nicht gar zu übel bin. Du wirst wider deinen Willen hübsch bleiben, mein Engel; und wie sollte wohl der kalte Wolmar, den eine Abwesenheit von drei Jahren von einer Liebe nicht hat heilen können, die er in acht Tagen gefaßt hat, durch deinen jetzigen Anblick geheilt werden? Oh! wenn das deine einzige Zuflucht ist, daß du nicht mehr gefallen werdest, so ist dein Loos verzweifelt.

      Fünfzehnter Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Zu viel! zu viel! Freund, du hast gesiegt. Ich bin nicht fest gegen so viel Liebe, mein Widerstand ist erschöpft. Ich habe gebraucht, was ich an Kräften hatte, mein Gewissen giebt mir das tröstliche Zeugniß. Der Himmel fordere nicht Rechenschaft von mir über mehr, als er mir gegeben hat! Dieses armselige Herz, das du so oft erkauft hast und das dem deinigen so theuer zu stehen kam, es gehört ohne Rückhalt dir; es war dein vom ersten Augenblicke, da meine Augen dich sahen; es wird dein bleiben bis zu meinem letzten Hauche. Du hast es zu wohl verdient, um es zu verlieren, und ich bin müde, auf Kosten aller Billigkeit einer eingebildeten Tugend zu fröhnen.

      Ja, zärtlich Geliebter, edler Mensch, deine Julie wird ewig dein sein, wird dich ewig lieben: es muß sein, ich will es, ich bin es schuldig. Ich gebe dir die Herrschaft zurück, die dir die Liebe eingeräumt hat, und sie soll dir nicht wieder genommen werden. Vergeblich murret dawider eine lügnerische Stimme in der Tiefe meiner Seele, sie soll mich nicht betrügen. Was sind die eiteln Pflichten, die sie mir entgegenhält, gegen die Pflicht, auf ewig Den zu lieben, den mir der Himmel zu lieben gegeben hat? Habe ich nicht die heiligste von allen gegen dich? Habe ich nicht dir allein Alles versprochen? War nicht das erste Gelöbniß meines Herzens, dich nie zu vergessen? und ist nicht deine unwandelbare Treue eine neue Fessel für die meinige? Ach, in der Liebesbrunst, die mich wieder dir zuführt, ist nur das Eine mein Leid, daß ich so theure und so rechtmäßige Gefühle bekämpft habe. Natur, o süße Natur! nimm alle deine Rechte wieder ein; ich schwöre die unmenschlichen Tugenden ab, die dich zu nichte machen. Wären die Neigungen, die du mir eingepflanzt hast, trügerischer als die Schlüsse einer Vernunft, die mich so oft irregeführt hat?

      Habe Achtung vor diesen zärtlichen Neigungen, du mein liebenswürdiger Freund, du verdankst ihnen zu viel, um ihnen feind zu sein; aber unterwirf dich einer Theilung, sie ist lieb und süß; vergönne, daß die Rechte des Blutes und der Freundschaft nicht getilgt werden durch die Rechte der Liebe. Denke nicht, daß ich je, um dir zu folgen, das väterliche Haus verlassen werde, hoffe nicht, daß ich mich dem Bande entziehe, das mir eine geheiligte Macht auflegt; der schmerzliche Verlust des einen meiner Eltern hat es mir zu furchtbar gemacht, dem andern Trübsal zu bereiten. Nein, Die, von der er hinfort seinen ganzen Trost erwartet, wird seine von Kummer und Mühsal gebeugte Seele nicht betrüben; ich will nicht Allem, was mir das Leben gab, den Tod gegeben haben. Nein, nein, ich kenne mein Verbrechen und vermag nicht, es zu hassen. Pflicht, Ehre, Tugend, Alles das sagt mir nichts mehr, aber dennoch bin ich kein Ungeheuer; ich bin schwach, aber kein unnatürliches Geschöpf. Mein Entschluß ist gefaßt, ich will keinem von Denen, die ich liebe, wehe thun. Verfüge mein Vater, durch sein Wort gefesselt und eifersüchtig auf einen leeren Titel, über meine Hand, die er versprochen hat; die Liebe allein verfüge über mein Herz; und in den Busen einer zärtlichen Freundin sollen meine Thränen nicht aufhören sich zu ergießen. Mag ich erniedrigt und elend sein, sei nur Alles, was mir theuer ist, glücklich und zufrieden, wenn es sein kann. Machet ihr Drei allein mein ganzes Dasein aus, und euer Glück lasse mich mein Elend und meine Verzweiflung vergessen.

      Sechzehnter Brief.

       Antwort.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir leben wieder auf, meine Julie, alle wahren Empfindungen unserer Seelen nehmen wieder ihren Lauf. Die Natur hat uns das Dasein erhalten und die Liebe giebt uns das Leben wieder. Hast du daran gezweifelt? Warst du kühn genug zu glauben, daß du mir dein Herz entziehen könntest? Geh, ich kenne es besser als du, dieses Herz, das der Himmel für das meinige geschaffen hat. Ich fühle sie verbunden zu einer Einheit des Daseins, die ihnen nur durch den Tod verloren gehen kann. Steht es in unserer Macht, sie zu trennen oder auch nur es zu wollen? Hängen sie aneinander durch Bande von Menschenhand geschlungen und durch Menschenhand zerreißbar? Nein, Julie, nein, wenn das grausame Schicksal uns den süßen Gattennamen verweigert, den Namen treuer Liebender kann nichts uns rauben; er wird der Trost unserer trübseligen Tage sein und wir werden ihn mit in's Grab nehmen.

      So fangen wir wieder an zu leben, um wieder zu leiden, und das Gefühl unseres Daseins ist für uns nur ein Schmerzensgefühl. Wir Unglücklichen, was ist aus uns geworden? Wie haben wir aufhören können das zu sein, was wir waren? Wo ist jener Seligkeitszauber? Wo ist die hohe Begeisterung, mit der alle Tugenden unsere Glut nährten? Nichts ist von uns übrig geblieben als unsere Liebe; die Liebe allein bleibt und ihre Reize sind verflogen. Allzu unterwürfige Tochter, Liebende ohne Muth, sieh, alle unsere Leiden stammen aus unsern Irrthümern. Ach! ein weniger reines Herz würde dich weniger irregeführt haben! Ja, die Lauterkeit deines Herzens ist es, die uns zu Grunde richtet; die Rechtschaffenheit, die es ganz erfüllt, hat alle Klugheit daraus vertrieben. Du denkst dir, die Kindeszärtlichkeit mit der unzähmbaren Liebe zu versöhnen; indem du dich allen deinen Neigungen zugleich hinziehst, verwirrst du sie, anstatt sie in Einklang zu bringen und wirst aus Tugend strafbar. O Julie, was für eine unbegreifliche Herrschaft übst du! Durch wie wunderbare Macht bezauberst du meine Vernunft! Selbst indem du mich erröthen machst über unsere Liebe, machst du zugleich, daß man dich um deine Fehltritte schätzen muß; du zwingst mich, dich zu bewundern, indem ich deine Gewissensbisse mitfühle .... Gewissensbisse! …. Du, du konntest bestimmt sein, Gewissensbisse zu fühlen? .... Du, die ich liebe .... du, die ich anzubeten nicht aufhören kann .... deinem Herzen hätte das Verbrechen nahen können? .... Grausame! du giebst mir dieses Herz wieder, das mir gehört, gieb es mir so wieder, wie es mir geschenkt wurde!

      Was hast du mir gesagt? .... was wagst du mir anzudeuten? .... Du, in die Arme eines Andern! .... Ein Anderer dich besitzen!.... Nicht mehr mein sein! oder, o Entsetzlichstes von Allem, nicht mein allein! Ich, ich sollte diese schauderhafte Marter dulden! .... sollte dich dich selbst überleben sehen! .... Nein! lieber dich verlieren als dich theilen .... Warum gab mir der Himmel nicht einen Muth dem Zornfeuer gleich, das mich durchlodert! .... Ehe sich deine Hand herabgewürdigt hätte in diesem von der Liebe verworfenen, von der Ehre verdammten Bündniß, würde ich mit der meinigen einen Dolch in deinen Busen stoßen; ich würde dein keusches Herz zwingen, all sein Blut auszugießen, ehe die Untreue es befleckt hätte. Mit diesem reinen Blute würde ich das mischen, welches durch meine Adern flammt in unauslöschlicher Glut; ich würde in deine Arme sinken; ich würde auf deine Lippen meinen letzten Seufzer drücken .... den deinigen empfangen .... Julie sterbend! .... diese sanften, lieben Augen brechend im grausigen Tode! dieser Busen, dieser Thron der Liebe, aufgerissen von meiner Hand, in großen Tropfen hinträufelnd