Wie ein Kranker, der, wenn er in Schwäche fällt, nicht mehr leidet, dann aber wieder zu lebhafteren Schmerzen sich aufrafft, fühlte ich die meinigen bald alle wiederkehren, als mein Vater mir die nahe bevorstehende Zurückkunft des Herrn von Wolmar ankündigte. Da gab mir die unüberwindliche Liebe von Neuem Kräfte, deren ich mich nicht mehr fähig glaubte. Zum ersten Male in meinem Leben wagte ich, mich meinem Vater in's Angesicht zu widersetzen; ich erklärte ihm rund heraus, daß Herr von Wolmar mir nichts sein könnte, daß ich entschlossen sei, ledig zu sterben; er könne über mein Leben gebieten, aber nicht über mein Herz, und nichts würde mich zu einer Aenderung meines Willens bewegen. Ich will nichts sagen von seinem Zorn, von der Behandlung, die ich zu erleiden hatlte. Ich war unerschütterlich: da meine Aengstlichkeit einmal überwunden war, ging ich zu dem anderen Aeußersten über, und wenn mein Ton weniger gebieterisch war als der meines Vaters, war er doch ebenso fest.
Er sah, daß mein Entschluß gefaßt war, und daß er mit Gewalt nichts bei mir ausrichten würde. Schon glaubte ich, daß er mich nun nicht weiter plagen würde; aber wie ward mir, als ich auf einmal den strengsten der Väter weichmüthig und in Thränen zerfließend zu meinen Füßen sah? Ohne zuzulassen, daß ich ihn aufhob, preßte er meine Knie, und seine nassen Augen auf die meinigen geheftet, sagte er mit einer rührenden Stimme, die ich noch in meinem Innern höre: Meine Tochter, achte die weißen Haare deines unglücklichen Vaters, laß ihn nicht mit Schmerzen in die Grube fahren, wie Die, welche dich in ihrem Schoße trug. Ach! willst du deiner ganzen Familie den Tod geben?
Denken Sie sich meine Erschütterung. Diese Stellung, dieser Ton, diese Geberde, diese Rede, dieser furchtbare Gedanke packten mich so, daß ich halb todt in seine Arme glitt, und erst nachdem ich mir mit heftigem Schluchzen Luft gemacht hatte, konnte ich mit gebrochener schwacher Stimme antworten: O mein Vater, ich war gewaffnet gegen Ihre Drohungen, aber nicht gegen Ihre Thränen; Sie, Sie werden Ihre Tochter tödten.
Wir waren beide in solcher Bewegung, daß wir uns lange nicht fassen konnten. Indessen, seine letzten Worte mir in Gedanken wiederholend, erkannte ich, daß er besser unterrichtet war, als ich geglaubt hatte; ich beschloß, mir sein Wissen zu einer Waffe gegen ihn zu machen, und schickte mich an, ihm, auf Gefahr meines Lebens, ein nur zu lange schon aufgeschobenes Bekenntniß abzulegen, als er mich mit einer Lebhaftigkeit unterbrach, als ob er vorausgesehen und gefürchtet hätte, was ich ihm sagen wollte, und Folgendes sprach:
„Ich weiß nicht, was für Phantasien, die eines Mädchens von gutem Herkommen unwürdig sind, du in deinem Herzen nährest. Es ist Zeit, der Pflicht und der Schicklichkeit eine schimpfliche Leidenschaft zu opfern, die dich entehrt, und die du nur auf Kosten meines Lebens befriedigen könntest. Höre einmal an, was von dir die Ehre deines Vaters und deine eigene Ehre fordern, und dann entscheide selbst.
Herr von Wolmar ist ein Mann von vornehmer Geburt, durch alle Eigenschaften ausgezeichnet, welche dieselbe nur unterstützen können, ein Mann, der der allgemeinen Achtung genießt, und sie verdient. Er hat mir das Leben gerettet. Du weißt, welches Uebereinkommen ich mit ihm getroffen habe. Nun muß ich dir noch sagen, daß er nach Hause ging, um seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, dort aber in die letzte Revolution verwickelt wurde, und alle seine Güter verloren hat, daß er nur durch einen merkwürdigen Glücksfall dem Loos entgangen ist, nach Sibirien geschickt zu werden, und daß er jetzt mit dem kläglichen Ueberrest seines Vermögens hierher kommt, vertrauend auf das Wort seines Freundes, der sein Wort noch nie einem Menschen gebrochen hat. Sage mir jetzt, wie ich ihn empfangen soll, wenn er nun ankommt, Soll ich ihm sagen: Mein Herr, ich habe Ihnen meine Tochter versprochen, als Sie reich waren; jetzt, da Sie nichts mehr haben, nehme ich mein Wort zurück, und meine Tochter will Sie nicht? Wenn ich meine Weigerung auch nicht so ausdrücke, wird sie doch so ausgelegt werden; wird man deine Liebe anführen, so wird das für eine Ausrede gelten, oder doch für mich nur ein Schimpf mehr sein, und wir gelten, du für eine Dirne und ich für einen schlechten Kerl, der seine Pflicht und Treue einem gemeinen Eigennutz aufopfert und ebenso undankbar als treulos ist. Meine Tochter, ich bin zu alt, um ein fleckenloses Leben in Schmach zu beschließen, und eine sechzigjährige Ehre giebt man nicht in einer Viertelstunde daran.
Du siehst also, fuhr er fort, wie unzeitig Alles sein würde, was du mir sagen könntest; bedenke, ob eine Vorliebe, welche die Schamhaftigkeit desavouirt, und eine flüchtige Jugendflamme irgend in die Wage gelegt werden können gegen die Kindespflicht und die eingesetzte Ehre eines Vaters. Wenn es sich für uns beide nur darum handelte, daß eines dem andern sein Glück opfern sollte, so würde dir meine Zärtlichkeit ein so süßes Opfer streitig machen, aber, mein Kind, die Ehre hat gesprochen, und in dem Blute, aus welchem du stammst, gehört die Entscheidung allezeit ihr.“
Es fehlte mir nicht an guten Gründen zur Widerlegung dieser Rede, aber die Vorurtheile meines Vaters machen seine Grundsätze so verschieden von den meinigen, daß Gründe, die mir unwiderleglich schienen, auf ihn gar keinen Eindruck gemacht haben würden. Da ich nun auch nicht wußte, aus welcher Quelle mein Vater die Aufklärungen über mein Betragen, die er zu haben schien, geschöpft haben mochte, noch wie weit sie reichten, da ich bei der Geflissentlichkeit, mit welcher er mir das Wort abschnitt, fürchtete, daß er in Bezug auf das, was ich ihm zu sagen hatte, auch schon entschlossen war, und mehr als das Alles von einer Scham zurückgehalten, die ich nie habe überwinden können, zog ich es vor, eine Entschuldigung zu gebrauchen, die mir sicherer schien, weil sie seine Denkungsart mehr entsprach. Ich erklärte ihm ohne Umschweif, welche Verpflichtung ich gegen Sie eingegangen wäre, und betheuerte, daß ich Ihnen nicht wortbrüchig werden, und, was auch daraus entstehen möge, mich nicht ohne Ihre Bewilligung verheiraten würde.
In der That sah ich zu meiner Freude, daß mein Bedenken ihm nicht mißfällig war; er machte mir lebhafte Vorwürfe über mein Versprechen, wandte aber nichts gegen meinen Entschluß ein: so hoch ist die Vorstellung, welche ein Edelmann voll Ehre von der Heiligkeit des gegebenen Wortes hat. Anstatt also sich in Spitzfindigkeiten über die Nichtigkeit eines solchen Versprechens einzulassen, die ich nie zugegeben hätte, nöthigte er mich, ein Billet zu schreiben, und ließ es nebst einem Briefe, den er hinzufügte, augenblicklich abgehen. In welcher Bewegung erwartete ich nicht Ihre Antwort! Wie wünschte ich nicht, Sie weniger zartfühlend zu finden, als ich es von Ihnen erwarten mußte! Aber ich kannte Sie zu gut, um an Ihrem Gehorsam zu zweifeln; ich wußte, je schwerer das von Ihnen verlangte Opfer war, desto mehr würden Sie es sich auflegen. Die Antwort langte an; sie wurde vor mir während meiner Krankheit geheim gehalten; nach meiner Wiederherstellung fand sich dann bestätigt, was ich gefürchtet, und ich hatte keine Entschuldigung mehr. Wenigstens erklärte mir mein Vater, daß er keine weiter annehmen würde, und mit der Macht über meinen Willen, welche ihm jenes schreckliche Wort, das er ausgesprochen hatte, gab, ließ er mich schwören, Herrn von Wolmar nichts zu sagen, was ihn abhalten könnte, mich zu heiraten; denn, setzte er hinzu, es würde ihm ein zwischen uns abgekartetes Spiel scheinen, und um jeden und jeden Preis muß diese Heirat zu Stande kommen, oder ich sterbe vor Gram.
Sie wissen, Freund, meine Gesundheit, die allen körperlichen Anstrengungen und allen Beschwerden von Wind und Wetter trotzt, ist den Stürmen der Leidenschaften nicht gewachsen, und in meinem zu empfindlichen Herzen liegt die Quelle aller meiner Leiden, der leiblichen und der geistigen. Sei es nun, daß langer Kummer meine Säfte verdorben hatte, sei es, daß die Natur