Als ich unterweges mir deinen letzten Brief in Gedanken wiederholte, nahm ich mir vor, jetzt da ich keine Weisung mehr aus deinem Munde erhalten kann, alle Briefe, die du mir geschrieben hast, in eine Sammlung zu bringen. Obgleich keiner darunter ist, den ich nicht auswendig wüßte, glaube mir, mag ich sie doch immer gern wieder und wieder von vorn lesen, wäre es auch nur um die Züge von dieser geliebten Hand zu sehen, die mich allein glücklich machen kann. Aber unvermerkt nutzt sich das Papier ab, und ehe sie zerrissen sind, will ich sie alle in ein reines Buch schreiben, das ich mir ausdrücklich dazu ausgesucht habe. Es ist ziemlich dick, aber ich denke an die Zukunft und hoffe nicht so jung zu sterben, daß ich an dem einen Bande genug hätte. Ich bestimme die Abende zu dieser reizenden Beschäftigung, und ich werde langsam schreiben, um länger daran zu haben. Diese kostbare Sammlung will ich im Leben nicht von mir lassen: sie wird mein Handbuch sein in der Welt, in die ich einzutreten im Begriff bin: sie wird das Gegengift sein wider die bösen Grundsätze, die man in ihr einathmet; sie wird mich trösten in meinen Leiden; sie wird mich vor Fehltritten bewahren oder mich bessern; sie wird mich zurechtweisen, so lange ich jung bin; sie wird mich erbauen zu allen Zeiten, und diese Liebesbriefe, meine ich, werden die ersten sein, von denen ein solcher Gebrauch gemacht wird.
Was den letzten betrifft, den ich gegenwärtig vor Augen habe, so schön er mir scheint, finde ich doch darin eine Stelle auszuscheiden. Gewiß schon ein seltsames Gericht! aber was es noch seltsamer macht, es trifft gerade die Stelle, welche von dir handelt, und ich mache es dir zum Vorwurf, daß es dir auch nur einfallen konnte, sie zu schreiben. Was redest du mir von Treue, von Beständigkeit? Ehedem kanntest du besser meine Liebe und deine Macht. Ach, Julie! flößest du Gefühle ein, die vergänglich sind? und wenn ich dir nichts versprochen hätte, könnte ich denn je aufhören dein zu sein? Nein! Nein! Mit
dem ersten Blick deiner Augen, mit dem ersten Wort aus deinem Munde, mit dem ersten Aufwallen meines Herzens entzündete sich in ihm diese ewige Flamme, die nichts auslöschen kann. Hätte ich dich nur diesen einen Augenblick gesehen, so war es doch vorbei, war schon zu spät, dich je wieder vergessen zu können. Und ich sollte dich jetzt vergessen! jetzt da, berauscht von meinem vergangenem Glücke, der bloße Gedanke daran hinreicht, es mir von neuem zu schenken, jetzt, da ich erdrückt von der Last deiner Reize nur in ihnen noch athme! jetzt, meine vorige Seele vergangen ist und mich die belebt, die ich von dir habe! jetzt, Julie, da ich mir selbst zum Ekel bin, daß ich dir so schlecht ausdrücke, was ich fühle! Ha! möge alle Schönheit der Welt mich zu verführen suchen, giebt es in meinen Augen eine andere, als die deine? Möge Alles sich verschwören, diese meinem Herzen zu entwenden, möge man es durchbohren, möge man es zerreißen, möge man diesen treuen Spiegel Juliens zertrümmern, ihr reines Bild wird nicht aufhören, noch in dem letzten Splitter zu glänzen; nichts ist fähig, es daraus zu tilgen. Nein, die höchste Macht selbst würde nicht so viel vermögen; sie kann meine Seele vernichten, aber nicht machen, daß sie sei und dich nicht mehr anbete.
Milord Eduard hat es übernommen, dir bei seiner Durchreise über das, was mich betrifft, und über seine Pläne zu Gunsten meiner Bericht zu geben; aber ich fürchte, daß er sich in Bezug auf seine gegenwärtigen Verfügungen seines Versprechens nicht vollständig entledigen wird. Vernimm, daß er sich untersteht, das Recht, welches ihm seine Wohlthaten über mich geben, so zu mißbrauchen, daß er sie über alle Gebühr hinaus ausdehnt. Ich sehe mich durch eine Pension, die, wenn es nach ihm ginge, unwiderruflich gemacht worden wäre, in Stand gesetzt, eine Rolle weit über meine Geburt zu spielen, und in London werde ich das auch vielleicht gezwungen sein zu thun, um mich seinen Absichten zu fügen. Für den hießigen Aufenthalt, wo mich kein Geschäft bindet, werde ich fortfahren, nach meiner Weise zu leben, und werde nicht in Versuchung kommen, den Ueberfluß meines Unterhalts in nichtigen ausgaben zu vergeuden. Du hast mich gelehrt, meine Julie, daß die ersten Bedürfnisse, oder wenigstens die fühlbarsten die eines wohlthätigen Herzens sind: und welcher rechtschaffene Mensch hätte Ueberflüssiges, so lange es noch einem menschen am Nothdürftigsten fehlt?
Vierzehnter Brief.
An Julie.
[Ohne daß ich dem Urtheile des Lesers und Juliens über diese Berichte vorgreifen will, glaube ich sagen zu dürfen, daß ich sie, wenn ich sie zu machen hätte, wenn auch nicht besser, wenigstens ganz anders machen würde. Ich bin mehrmals auf dem Punkte gewesen, sie wegzulassen und andere von meiner Feder an ihre Stelle zu setzen; ich lasse sie nun aber doch und bin stolz auf diese Kühnheit. Ich sage mir, daß ein Jüngling von vier und zwanzig Jahren, der eben in die Welt tritt, diese nicht so ansehen kann wie ein Mann von Funfzigen, der sie nur zu sehr aus Erfahrung kennt. Ich sage mir ferner, daß ich, obwohl ich in ihr keine sehr große Rolle gespielt habe, doch nicht mehr in dem Falle bin, unparteiisch über sie sprechen zu können. Mögen daher diese Briefe bleiben wie sie sind, mit allen ihren Gemeinplätzen, mit allen ihren trivialen Beobachtungen; das alles ist kein großes Uebel, aber das ist dem Freunde der Wahrheit wichtig, daß bis an sein Lebensende seine Schriften nicht durch seine Leidenschaften besudelt werden.] Ich trete mit einem inneren Grauen in diese weite Wüste, die man Welt heißt. Dieses Chaos zeigt mir nichts als eine schauerliche Einöde, wo düsteres Schweigen herrscht. Meine eingeengte Seele sucht sich auszubreiten und findet sich von allen Seiten zurückgedämmt. Nie bin ich weniger allein, als wenn ich allein bin, sagte ein Alter [Scipio Africanus, S. Cie. de offic. III. 1. D. Ueb.]: auch ich, ich bin nur allein unter der Menge, wo ich weder dir noch den Andern angehören kann. Mein Herz möchte sprechen; es fühlt, daß es nicht gehört wird; es würde gern antworten, man sagt ihm nichts, das bis zu ihm dränge. Ich verstehe die Sprache hier zu Lande nicht, und Niemand versteht die meine.
Nicht, daß man mich nicht sehr höflich, sehr freundschaftlich, sehr zuvorkommend aufnähme, daß nicht alle möglichen Gefälligkeiten mir entgegenzufliegen schienen; aber das ist eben das Schlimme. Wie kann man im Augenblicke Jemandes Freund sein, den man nie gesehen hat? Die aufrichtige Theilnahme der Menschenfreundlichkeit, die schlichte, rührende Hingebung einer offenen Seele haben eine Sprache, die von den falschen Höflichkeitsbezeigungen und trügerischen Formen, die der Weltbrauch heischt, gar sehr verschieden ist. Ich habe immer Furcht, daß Der, welcher mich beim ersten Begegnen wie einen zwanzigjährigen Freund behandelt, mich nach zwanzig Jahren wie einen Unbekannten behandeln werde, wenn ich ihn etwa um einen wichtigen Dienst zu bitten habe, und wenn ich Leute, die so in Zerstreuungen leben, zärtlichen Antheil an so vielen Personen nehmen sehe, kommt es mir immer vor, als nähmen sie ihn an keinem Einzigen.
Es ist aber dennoch etwas ernstlich Gemeintes in dem allen, denn der Franzose ist von Natur gut, offen, gastfreundlich, mildthätig; aber er macht auch tausend Redensarten, die man nicht buchstäblich nehmen muß, tausend Anerbietungen zum Schein, die nur gemacht werden, damit man sie ablehne, tausend Fallen so zu sagen, die die Höflichkeit dem ehrlichen Glauben des unpolirten Menschen stellt. Nie habe ich so oft sagen hören: zählen Sie aus mich vorkommenden Falles, verfügen Sie über meinen Einfluß, meine Börse, mein Haus, meine Equipage. Wäre das alles aufrichtig gemeint und wörtlich zu nehmen,