Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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von meinem Zimmer aus hörte ich ihn etwas zwischen den Zähnen murmeln, während er las. Ich legte das Ohr an und lauschte. Ach, Julie, sagte er in abgebrochenen Sätzen, ich habe Sie glücklich machen wollen .... ich achte Ihre Tugend .... aber ich beklage Ihren Irrthum. Bei diesen Worten und anderen ähnlichen, die ich vollkommen deutlich vernahm, war ich nicht mehr Herr meiner selbst; ich nahm meinen Degen unter den Arm; ich öffnete, nein ich durchbrach die Thür; ich trat wie ein Wüthender ein. Nein, ich will nicht dieses Papier, noch Ihre Blicke mit den Schmähungen besudeln, welche mir dir Wuth eingab, um ihn dazu zu bringen, daß er sich auf der Stelle mit mir schlüge.

      O meine Cousine! da vornehmlich konnte ich recht die Herrschaft wahrnehmen, welche die wahre Weisheit selbst über die reizbarsten Menschen erlangt, wenn sie ihrer Stimme Gehör geben wollen. Zuerst begriff er nicht, was ich wollte, und glaubte, daß wirklicher Wahnsinn aus mir spräche; aber da ich ihm immerfort Verrätherei vorwarf, ihm geheime Absichten Schuld gab und nicht aufhörte, von dem Briefe Juliens zu sprechen, den er noch in der Hand hielt, so erkannte er endlich die Ursache meiner Wuth. Er lächelte; dann sagte er kalt: Sie haben den Verstand verloren, und ich schlage mich mit keinem Sinnbethörten. Oeffnen Sie die Augen, Blinder, der Sie sind! setzte er mit sanfterem Tone hinzu; mich beschuldigen Sie, daß ich Sie verrathe? Ich fühlte in dem Ausdrucke, mit welchem er dies sagte, Etwas, das keinen Treulosen anzeigte; der Ton seiner Stimme bewegte mir das Herz; ich hatte ihm kaum in seine Augen geblickt, so war all mein Argwohn wie hinweggewischt und mit Entsetzen begann ich meine Ungereimtheit einzusehen.

      Er bemerkte diese Veränderung augenblicklich; er reichte mir die Hand. Kommen Sie , sagte er zu mir; wenn Ihre Umkehr nicht meiner Rechtfertigung zuvorgekommen wäre, würde ich Sie in meinem Leben nicht wieder gesehen haben. Jetzt, da Sie vernünftig sind, lesen Sie diesen Brief und lernen Sie endlich Ihre Freunde kennen. Ich wollte mich weigern, den Brief zu lesen, aber das Uebergewicht, welches ihm so viele Autorität zu fordern, den, wiewohl mein schwarzer Verdacht zerstreut war, mein geheimer Wunsch nur zu sehr unterstützte.

      Denken Sie sich, wie mir zu Muthe war, nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, aus welchem ich die unerhörten Wohlthaten des Mannes erfuhr, den ich so unwürdig zu verleumden gewagt hatte. Ich stürzte mich zu seinen Füßen, und das Herz beladen mit Bewunderung, reue und Scham, drückte ich seine Kniee an mich, ohne ein einziges Wort hervorbringen zu können. Er nahm meine Reue auf, wie er meine Schmähungen aufgenommen hatte, und forderte von mir als Preis der Verzeihung, die er mir gewährte, nichts, als das Versprechen, mich dem guten nicht zu widersetzen, das er mir erzeigen wollte. Ach, möge er fortan thun, was ihm gefällt, seine hohe Seele ist über die anderer Menschen erhaben, und es ist so wenig erlaubt, sich seinen Wohlthaten zu widersetzen, als denen der Gottheit.

      Hierauf gab er mir die beiden Briefe, welche an mich gerichtet waren und die er mir nicht eher hatte geben wollen, als bis er den seinigen gelesen und ersehen, was Ihre Cousine beschlossen hatte. Ich sah, indem ich las, was für eine Geliebte und was für eine Freundin der Himmel mir geschenkt hat; ich sah, was für Empfindungen, was für Tugenden er um mich versammelt hat, um meine Gewissensbisse zu schärfen und meine Niedrigkeit noch verächtlicher zu machen. Sagen Sie, was für eine einzige Sterbliche ist diese, deren geringste Herrschaft in ihrer Schönheit liegt, die, ähnlich den ewigen Mächten, sich durch das Gute wie durch das Ueble, das sie zufügt, gleichermaßen anbetungswürdig macht? Ach! sie hat mir Alles entrissen, die Grausame, und ich liebe sie deshalb nur desto mehr. Je mehr sie mich unglücklich macht, desto mehr finde ich sie vollkommen. Es ist, als ob sie durch alle Qualen, die sie mir bereitet, sich nur immer neues Verdienst um mich erwürbe. Das Opfer, welches sie denm Naturgefühle gebracht hat, bringt mich in Verzweiflung und bezaubert mich, es erhöht in meinen Augen den Werth jenes andern, das sie der Liebe gebracht hat. Nein, ihr Herz kann nichts versagen, woran man nicht erst das schätzen lernte, was sie gewährt.

      ,Und Sie, würdige, liebenswerthe Cousine, herrliches, vollkommenes Muster der Freundschaft, das unter den Frauen einzig dastehen, und allen Herzen, welche nicht dem Ihrigen gleichen, ewig eine Chimäre dünken wird, ach, sagen Sie mir nichts mehr von Philosophie: ich verachte diesen betrügerischen Wortkram, diesen Prunk mit hohlen Phrasen, dieses Phantom, das nichts weiter ist, als ein Schatten, der uns anreizt, den Leidenschaften von weitem Hohn zu sprechen, und bei ihrem Nahen uns als Prahlhänse dastehen läßt. O geben Sie mich nicht rathlos meinen Verirrungen preis; schenken Sie Ihre alte Güte dem Unglücklichen wieder, der sie nicht verdient, der sie aber sehnlicher wünscht und dringender nöthig hat, denn je; o rufen Sie mich zu mir selbst zurück, und Ihre sanfte Stimme vertrete diesem kranken Herzen die der Vernunft.

      Nein, ich wage es zu hoffen, ich bin nicht auf ewig so tief gesunken. Ich fühle, daß sich in mir das reine, heilige Feuer, von dem ich glühte, wieder zu beleben anfängt; das Beispiel so vieler Tugenden wird nicht verloren sein für Den, der ihr Gegenstand war, der sie liebt, sie bewundert und unablässig nachahmen will. O theure Geliebte, der ihre Wahl keine Unehre bringen soll! o meine Freunde, deren Achtung ich wiedererwecken will! meine Seele erwacht und gewinnt in den eurigen wieder Kraft und Leben. Die keusche Liebe, die erhabene Freundschaft werden mir den Muth wiedergeben, den eine feigherzige Verzweiflung mir fast geraubt hat; die reinen Gefühle meines Herzens werden mir anstatt der Weisheit dienen: ich werde durch euch Alles werden, was ich sein soll, und ich werde euch zwingen, meinen Fall zu vergessen, wenn ich mich nur einen Augenblick davon erheben kann. Ich weiß nicht und will nicht wissen, welches Loos mir der Himmel aufspart; welches es auch sein möge, ich will mich desjenigen würdig machen, das ich genossen habe. Dieses unsterbliche Bild, das ich in mir trage, wird mir zur Aegide dienen, und wird meine Seele den Streichen des Schicksals undurchdringlich machen. Habe ich nicht genug gelebt für mein eigenes Glück? Jetzt bin ich schuldig, für ihren Ruhm zu leben. Ha! warum kann ich nicht die Welt erstaunen mit meinen Tugenden, damit man eines Tages, sie bewundernd, sage: konnte er weniger thun? er wurde von Julien geliebt!

      N. S. „Ein verabscheutes und vielleicht unvermeidliches Band!" Was bedeuten diese Worte? Clara, ich bin auf Alles gefaßt, bin ergeben, bereit, mein Schicksal zu ertragen. Aber diese Worte …. nie, was auch komme, werde ich von hier abreisen, bis ich die Erklärung dieser Worte habe.

      Elfter Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist also wahr, daß meine Seele dem Vergnügen nicht verschlossen ist, und daß ein freudiges Gefühl noch in sie dringen kann! Ach, ich glaubte seit deiner Abreise nur noch für den Schmerz Empfindung zu haben; ich glaubte, daß ich fern von dir nur leiden könnte, und konnte mir nicht einmal einen Trost möglich denken, so lange du nicht da bist. Dein bezaubernder Brief an meine Cousine hat mich enttäuscht; ich habe ihn mit Thränen der Rührung gelesen und geküßt: er hat die Frische eines milden Thaues über mein vor Mißmuth welkes und von Trübsinn ausgedörrtes Herz ergossen, und an der Heiterkeit, die er mir zurückließ, fühle ich, daß du von fern nicht weniger Einfluß als in der Nähe auf die Stimmung deiner Julie übst.

      Mein Freund, welches Entzücken für mich, dich zu dem Gefühle von Kraft zurückkehren zu sehen, welches dem Muthe des Mannes zukommt! Ich darf dich so höher schätzen und mich selbst weniger verachten, weil du eine redliche Liebe nun doch nicht ganz herabgewürdigt und zwei Herzen zugleich zu Grunde gerichtet hast. Ich will noch mehr sagen, jetzt da wir frei von unserer Angelegenheit sprechen können: was meine Verzweiflung steigerte, war besonders dies, daß ich durch die deinige jedes Hülfsmittel uns abgeschnitten sah, welches uns noch der Gebrauch deiner Talente darbieten konnte. Du kennst jetzt den würdigen Freund, den dir der Himmel geschenkt hat: dein ganzes Leben wird nicht zu viel sein, um dich seiner Wohlthaten werth zu machen, und nie genug, um die Beleidigung zu vergüten, welche du ihm zugefügt hast; du brauchst, glaube ich, keine andere Warnung, deine tobende Einbildungskraft künftig im Zaume zu halten. Unter dem Schirme dieses ehrenwerthen Mannes wirst du in die Welt eintreten; unterstützt durch sein Ansehen, geleitet durch seine Erfahrung, wirst du das mißa

      chtete Verdienst an der Härte des Schicksals rächen. Thue dieses Mannes wegen, was du deinetwegen nicht thun würdest. Sieh, welche lachende Aussicht sich dir noch eröffnet; sieh, welchen Erfolg du auf einer Laufbahn hoffen darfst, wo Alles zusammenkommt,