Ich beschwöre dich, laß uns ein für alle Male diesen gegenseitigen Klagen ein Ende machen; sie sind mir unerträglich. O Gott! wie kann man mit einander hadern, wenn man sich liebt, und Augenblicke, deren man so nöthig hat, um einander zu trösten, damit verlieren, daß man sich martert! Nein, mein Freund, weshalb dem Mißmuth eine Ursache geben, welche nicht vorhanden ist? Laß uns über das Schicksal klagen, nicht über die Liebe. Nie hat sie eine vollkommenere Gemeinschaft geschaffen, nie eine dauerhaftere. Unsere Seelen sind zu innig verschmolzen, um sich je wieder trennen zu können, und wir können nicht mehr anders entfernt von einander leben als wie zwei Theile eines und desselben Ganzen. Wie kannst du denn nur deine Schmerzen allein fühlen? Wie fühlst du nicht auch die deiner Freundin? Wie hörst du nicht in deinem Busen ihr zärtliches Aechzen? O wie viel schmerzhafter ist es, als dein heftiges Geschrei! wie viel grausamer würden dir meine Leiden sein, wenn du sie theiltest, als deine eigenen selbst!
Du findest dein Schicksal beklagenswerth. Sieh das deiner Julie an, und weine nur über sie! Vergleiche bei unserem gemeinschaftlichen Unglücke die Lage meines Geschlechtes und des deinigen, und urtheile, wer von uns am meisten zu beklagen ist. In der gewaltigsten Aufregung sich kalt stellen, von tausend Schmerzen zerrissen, froh und zufrieden scheinen, eine lachende Miene und eine gepeinigte Seele haben, immer anders reden, als man denkt, Alles, was man fühlt, verbergen, falsch sein aus Pflicht und lügen aus Sittsamkeit — das ist der gewöhnliche Zustand der Mädchen in meinen Jahren. Man verbringt so seine schöne Zeit unter der Tyrannei der Wohlstandsgesetze, zu der dann noch die der Eltern hinzukommt, die falsche Wahlen treffen. Aber es ist vergeblich, daß man unseren Neigungen Zwang anthut, das Herz nimmt nur von sich Gesetze an, es entreißt sich der Sklaverei und folgt seinem Hange. Unter ein ehernes Joch, das nicht der Himmel auflegt, läßt sich nur ein Leib ohne Seele beugen; die Person und das Wort sind verschiedentlich vergeben, und man zwingt ein unglückliches Schlachtopfer zum Verbrechen, indem man es zwingt, auf der einen oder der andern Seite die heilige Pflicht der Treue zu verfehlen. Es giebt solche, die sich vernünftiger benehmen? Ach, ich weiß wohl. Sie haben nicht geliebt? Wie glücklich sind sie! Sie widerstehen? Ich habe widerstehen wollen, Sie sind tugendhafter? Lieben sie auch die Tugend mehr? Ohne dich, ohne dich nur würde ich sie stets geliebt haben. Es ist also wahr, daß ich sie nicht mehr liebe? .... Du hast mich gestürzt, und ich bin es, die dich tröstet! .... Aber was wird aus mir? .... Wie schwach ist der Trost, den die Freundschaft spendet, wenn die Liebe ihn versagt! Wer soll mich denn in meinem Leiden trösten? Was für ein schreckliches Loos habe ich vor Augen, ich, die ich im Verbrechen gelebt habe und in einem verabscheuten und vielleicht unvermeidlichen Bande deshalb nur ein neues Verbrechen sehe! Wo soll ich Thränen genug hernehmen, um meinen Fehltritt und meinen Geliebten zu beweinen, wenn ich nachgebe? Wo Kraft genug zum Widerstande bei dieser Ermattung, in der ich mich fühle? Mir ist, als sähe ich schon das Wüthen meines erzürnten Vaters; als fühlte ich schon von dem Schrei der Natur mein Herz aufgewühlt, oder von dem Jammer der Liebe zerrissen. Ohne dich habe ich keine Hülfe, keine Stütze, keine Hoffnung; die Vergangenheit erniedrigt mich, die Gegenwart schmerzt mich, die Zukunft macht mir Grauen. Ich habe geglaubt das Beste für unser Glück zu thun und habe nichts gewonnen, als daß ich uns noch elender gemacht habe, indem ich uns eine grausamere Trennung bereitete. Die eiteln Freuden sind dahin, die Gewissensbisse bleiben, und für die Schande, die mich niederdrückt, giebt es keine Entschädigung.
Mich, mich nenne, wenn Eines von uns schwach und unglücklich zu heißen verdient. Laß mich weinen und leiden; meine Thränen können ebensowenig versiegen, als mein Fehltritt wieder gut zu machen ist, und die Zeit selbst, die Alles heilt, bietet mir nur neue Ursache zu Thränen. Aber du, der keine Gewaltthätigkeit zu fürchten hat, den die Schande nicht drückt, den nichts zwingt, sein Gefühl elend zu verstecken; du, der du nichts fühlst als den Stachel des Unglücks, und wenigstens aller deiner Tugenden genießest wie zuvor, wie kannst du dich so tief erniedrigen, daß du seufzest und jammerst wie ein Weib und auffährst wie ein Rasender? Ist es nicht genug an der Verachtung, die ich um dich auf mich geladen habe, daß du sie noch vergrößerst, indem du dich selbst verächtlich machst, und daß du zugleich meine Schmach und deine auf mich häufst? Rufe denn deine Festigkeit zurück, wisse das Unglück zu ertragen und sei Mann! Sei noch, daß ich es zu sagen wage, der Geliebte, den Julie erwählt hat. Ach! wenn ich nicht mehr würdig bin, deinen Muth anzufeuern, so gedenke wenigstens dessen, was ich einstmals war; verdiene, daß ich um deinetwillen aufgehört habe so zu sein; entehre mich nicht zum zweiten Male.
Nein, mein achtungswürdiger Freund, nicht dich erkenne ich in dem weibischen Briefe, den ich auf immer vergessen will und den ich schon als von dir selbst verleugnet ansehe. Ich hoffe, gedemüthigt wie ich bin, verwirrt wie ich bin, wage zu hoffen, daß mein Andenken nicht so unwürdige Gefühle erweckt, daß mein Bild noch mehr mit Ruhm in einem Herzen wohnt, das ich entflammen konnte, und daß ich mir nicht außer meiner Schwachheit auch noch die Erbärmlichkeit Dessen, der ihre Ursache war, vorzuwerfen habe.
Glücklich in deinem Unglücke, findest du die köstlichste Entschädigung, die ein gefühlvolles Herz kennt. Der Himmel giebt dir in deinem Mißgeschick einen Freund, und macht es zweifeltest, ob nicht, was er dir giebt, mehr werth ist, als was er dir nimmt. Bewundere und liebe den allzu großmüthigen Mann, der sich mit Aufopferung seiner Ruhe deines Lebens und deiner Vernunft annimmt. Wie würde es dich bewegen, wenn du Alles wüßtest, was er für dich hat thun wollen! Aber warum soll ich, um deine Erkenntlichkeit anzuspornen, deine Schmerzen bitterer machen? Du brauchst nicht zu wissen, wieweit seine Liebe zu dir geht, um seinen ganzen Werth zu erkennen, und du kannst ihn nicht nach Verdienst schätzen, ohne ihn zu lieben, wie du es ihm schuldig bist.
Achter Brief.
Von Clara.
Sie besitzen mehr Liebe als Delicatesse, und verstehen es besser, Opfer zu bringen, als sie bei Anderen zu würdigen. Wie können Sie an Julie bei dem Zustande, worin sie sich befindet, im Tone des Vorwurfs schreiben? Und müssen Sie, weil Sie leiden, es gegen sie auslassen, die noch weit mehr leidet? Ich habe es tausend Mal gesagt, mir ist in meinem Leben noch kein so schmollsüchtiger Liebhaber vorgekommen wie Sie; immer gleich fertig, über Alles zu zanken, ist für Sie die Liebe nur ein Kriegszustand, oder, wenn Sie einmal folgsam sind, so thun Sie es nur, um sich hinterher zu beklagen, daß Sie es thaten. O, wie sind dergleichen Liebhaber zu fürchten, und wie glücklich schätze ich mich, daß ich immer nur solche gemocht habe, die man verabschieden kann, wenn man will, ohne daß es Jemanden eine Thräne kostet!
Glauben Sie mir, Sie müssen Ihre Sprache gegen Julie ändern, wenn Sie sie am Leben erhalten wollen; es ist zu viel für sie, ihren eigenen Schmerz und Ihre Unzufriedenheit zugleich zu ertragen. Lernen Sie einmal dieses zu empfindliche Herz schonen; Sie sind ihr den liebreichsten Zuspruch schuldig; hüten Sie sich, die beiderseitigen Leiden durch Klagen zu vermehren, oder schütten Sie wenigstens Ihre Klagen nur gegen mich aus, die ich allein die Urheberin Ihrer Entfernung bin. Ja, mein Freund, Sie haben recht gerathen; ich habe ihr den Entschluß eingegeben, den ihre bedrohte Ehre erheischte, oder vielmehr ich habe sie gezwungen, ihn zu ergreifen, indem ich die Gefahr übertrieb; ich habe auch Sie überredet, und Jeder hat seine Schuldigkeit gethan. Ich habe noch mehr gethan, ich habe sie davon abgebracht, die Vorschläge Milord Eduards anzunehmen; ich habe mich Ihrem Glücke in den Weg gestellt, aber Juliens Glück ist mir mehr werth als das Ihrige; ich wußte, daß sie niemals glücklich werden könnte, nachdem sie ihre Eltern in Schande und Verzweiflung gestürzt hätte, und ich kann mir auch in Ihrer Seele nicht recht vorstellen, wie Sie sich ein Glück auf Kosten des ihrigen möglich denken.
Wie dem nun sei, das ist meine Handlungsweise, das, was ich Ihnen zu Leide that, und da es Ihnen Vergnügen macht, die Leute, welche Sie lieb haben, auszuschelten, so haben Sie nun Grund und Ursache, sich an mich allein zu halten; wenn Sie damit nicht Ihrer Undankbarkeit ein Ende machen, doch wenigstens Ihrer Ungerechtigkeit. Ich für mein Theil, mögen Sie sich stellen, wie Sie wollen, werde gegen Sie stets dieselbe bleiben; Sie werden mir so theuer sein, als Julie Sie lieben wird, und ich würde sagen, mehr,