Weißt du aber, was uns beide so guter Laune macht? Ihre bevorstehende Hochzeit. Der Contract ist gestern Abend ausgefertigt worden, und der Tag auf Montag über acht Tage anberaumt. Hat es je eine lustige Liebschaft gegeben, so ist es die ihrige; man kann sich kein Mädchen denken, das komischer verliebt wäre als sie. Der gute Herr von Orbe, dem seinerseits von allem Glück der Kopf schwindelt, ist entzückt über ihre tolle Laune. Nicht so schwierig wie du sonst warst, giebt er sich gern zu ihren Späßen her und hält es für ein Meisterstück in der Liebe, die Geliebte lustig zu machen. Bei ihr denn wieder hat man gut predigen, ihr den Anstand vorhalten, sie erinnern, daß sie kurz vor dem entscheidenden Augenblick eine ernsthaftere Haltung annehmen, gesetzter sein, und dem Stand, den sie zu verlassen im Begriff ist, ein Bischen mehr Ehre machen sollte: sie erklärt das Alles für dumme Ziererei, sagt Herrn von Orbe in's Gesicht, am Hochzeittage werde sie die beste Laune von der Welt haben, und man könne gar nicht lustig genug in die Ehe hineinhüpfen. Aber die kleine Heuchlerin sagt nur nicht Alles: heute Morgen fand ich sie mit rothgeweinten Augen, und ich wette darauf, daß sie Nachts mit ihren Thränen das Gelächter des Tages bezahlt. Sie soll nun neue Ketten auf sich nehmen, welche die süßen Bande der Freundschaft lockern werden; soll eine Lebensart anfangen, welche von der, die ihr lieb war, so verschieden ist: sie lebte ruhig und zufrieden, und soll sich nun der Ungewißheit preisgeben, welche von der besten Ehe nicht zu trennen ist; und, sage sie was sie wolle, wie ein reines, stilles Wasser sich zu trüben anfängt bei der Annäherung des Sturmes, so sieht ihr schüchternes, züchtiges Herz nicht ohne einige Unruhe dem nahen Wechsel ihres Looses entgegen.
O mein Freund, wie glücklich sind sie! Sie lieben einander, sie werden sich einander heiraten; sie werden ihre Liebe ohne Hinderniß, ohne Furcht, ohne Gewissensbisse genießen. Adieu, adieu; ich kann nicht weiter.
N. S. Wir haben Milord Eduard nur einen Augenblick gesehen, so große Eile hatte er weiterzukommen. Voll, wie mir das Herz von dem ist, was wir ihm schuldig sind, wollte ich ihm mein und dein Gefühl ausdrücken, aber eine gewisse Scham hielt mich zurück. In der That. einen Mann wie ihn heißt es beleidigen, wenn man ihm für etwas dankt.
Sechzehnter Brief.
An Julie.
Wie machen ungestüme Leidenschaften den Menschen kindisch! Wie leicht nährt sich eine tolle Liebe mit Chimären! Wie leicht ist es, heftige Begierden mit dem geringsten Tand zu äffen! Die Ankunft deines Briefes hat mich in ein Entzücken versetzt, als ob du selber angekommen wärest, und in meinem Jubel konnte ein Stück Papier mir dich ersetzen. Eines der größten Uebel, wenn man von einander entfernt ist, und wogegen keine Vernunft etwas ausrichtet, ist die Unruhe über das Ergehen der Geliebten. Ihre Gesundheit, ihr Leben, ihre Ruhe, ihre Liebe, Alles entweicht dem, der Alles zu verlieren fürchtet; man ist der Gegenwart nicht gewisser als der Zukunft und alle möglichen Zufälle verwirklichen sich unablässig im Geiste eines Liebenden, der sie fürchtet. Endlich athme ich auf, ich lebe wieder; du besinnest dich wohl, du liebst mich. Oder vielmehr es ist zehn Tage her, daß dies Alles so war; wer steht mir aber für heute? O Abwesenheit! o Marter! o seltsam böser Zustand, wo man nur des vergangenen Augenblicks genießen kann und der gegenwärtige noch nicht ist!
Wenn du mir von der Unzertrennlichen nichts gesagt hättest, so würde ich doch ihre Malice in der Kritik über meinen Bericht und ihre Rache in der Vertheidigung Marini's erkannt haben; aber wenn es mir erlaubt wäre, die meinige zu führen, so würde ich um die Antwort nicht in Verlegenheit sein.
Erstlich, Cousinchen (denn ihr muß ich ja antworten), was den Styl betrifft, so habe ich ihn nach der Sache gehalten; ich habe Ihnen zugleich eine Idee und ein Beispiel von den Mode-Conversationen geben wollen, und, zufolge der allen Regel, habe ich Ihnen so geschrieben, wie man ungefähr in gewissen Gesellschaften spricht. Uebrigens ist nicht der Gebrauch von Redefiguren das, was ich an dem Cavalier Marin tadle, sondern seine Art, sie zu wählen. Wenn man ein warmes Gemüth hat, so kann man der Metaphern und Bilder nicht entrathen, um sich verständlich zu machen. Ihre Briefe selbst sind voll davon, ohne daß Sie daran denken, und ich behaupte, nur ein Mathematicus und ein Dummkopf können unfigürlich sprechen. In der That, läßt sich nicht ein und derselbe Gedanke in hundert Abstufungen der Stärke ausdrücken? Und wonach soll man die jedesmal erforderliche Stufe bestimmen, wenn nicht nach der beabsichtigten Wirkung? Ich gestehe, ich muß über meine eigenen Phrasen lachen, und ich finde sie äußerst abgeschmackt. Dank sei es der Mühe, die Sie sich gegeben haben, sie aus dem Zusammenhange zu reißen; aber lassen Sie sie an ihrer Stelle und Sie werden sie klar und selbst ausdrucksvoll finden. Wenn diese aufgeweckten Augen, die Sie so trefflich sprechen zu lassen verstehen, von einander und von Ihrem Gesicht getrennt wären, Cousine, was meinen Sie, würden dieselben mit allem ihrem Feuer sagen? Nichts, wahrhaftig, auch nicht einmal dem Herrn von Orbe.
Ist nicht das Erste, was sich in einem Lande, das man betritt, der Beobachtung darbietet, der Ton der Gesellschaft? Nun recht! es ist auch das Erste, was ich hier beobachtet habe, und ich habe Ihnen erzählt, was man in Paris sagt, nicht was man daselbst thut. Wenn ich bemerkt habe, daß die Reden, die Meinungen und die Handlungen der guten Leute nicht zusammenstimmen, so kommt das daher, weil dieser Zustand beim ersten Blick in die Augen fällt. Wenn ich die nämlichen Personen je nach der Coterie ihre Farbe wechseln sehe, in der einen Molinisten, in der andern Jansenisten, kriechende Zöglinge bei einem Minister, trotzige Frondeurs bei einem Unzufriedenen; wenn ich sehe, daß ein goldbedeckter Mann über den Luxus, ein Finanzmann über die Auflagen, ein Prälat über unordentliches Leben schreit; wenn ich eine Hofdame von Sittsamkeit, einen vornehmen Herrn von Tugend, einen Schriftsteller von Einfalt, einen Abbé von Religion reden höre, und kein Mensch sich über dergleichen Widersinn wundert, muß ich nicht daraus im Augenblicke den Schluß ziehen, daß hier den Leuten ebensowenig daran gelegen ist, die Wahrheit zu hören als zu sagen, und daß man nicht nur weit davon entfernt ist, die Andern von dem, was man sagt, überzeugen zu wollen, nein! daß man nicht einmal den Glauben ihnen beizubringen sucht, daß man selbst glaube was man sagt?
Aber genug des Spaßes mit Cousinchen. Fort mit einem Tone, der uns allen Dreien fremd ist, und ich hoffe, du sollst es eben so wenig erleben, daß ich Geschmack an der Satyre als an der Schöngeisterei finde. Dir, Julie, habe ich jetzt zu antworten, denn ich weiß die scherzende Form der Kritik von dem Ernst, der in den Vorwürfen liegt, zu unterscheiden.
Ich begreife nicht, wie ihr euch alle Beide über den Gegenstand meines Briefes so täuschen konntet. Nicht über die Franzosen habe ich Bemerkungen machen wollen; denn, wenn sich die verschiedenen Nationalcharaktere nur aus ihren Abweichungen von einander bestimmen lassen, wie konnte ich, der ich noch keine Nation weiter als diese eine kenne, deren Schilderung unternehmen? Auch würde ich nicht so ungeschickt gewesen sein, die Hauptstadt zum Orte meiner Beobachtungen zu wählen. Es ist mir nicht unbekannt, daß die Hauptstädte weniger von einander verschieden sind als die Völker, und daß sich in ihnen der Nationalcharakter größtentheils verwischt und verwirrt, sowohl in Folge des Einflusses, welchen die Höfe üben, die alle einander gleichen, als weil die Zusammendrängung zahlreicher Menschenmassen fast überall dieselben Erscheinungen hervorbringt und die ursprüngliche Eigenthümlichkeit des Volkes zuletzt gänzlich verdrängt.
Wenn ich ein Volk studiren wollte, so würde ich die entlegenen Provinzen aufsuchen, deren Bewohner noch ihre natürlichen Neigungen und Gewohnheiten haben. Ich würde mehre dieser Provinzen, und zwar diejenigen, welche am weitesten auseinanderliegen, langsam und mit Aufmerksamkeit durchreisen; das Unterscheidende, welches ich in jeder derselben fände, würde mich zur Erkenntniß ihres besondern Geistes leiten; was sie mit einander gemein hätten, während es sich bei andern Völkern nicht findet, würde den Nationalgeist ausmachen, und das, was überall anzutreffen ist, dem Menschen im Allgemeinen angehören. Aber ich habe weder einen so umfassenden Plan, noch die nöthige Erfahrung, um ihn auszuführen. Mein Zweck ist, den Menschen kennen zu lernen, und meine Methode, ihn in den verschiedenen Lebensverhältnissen zu studiren. Ich habe ihn bisher nur in kleinen Vereinen, versprengt, fast vereinsamt auf der Erde gesehen; ich will ihn jetzt betrachten, wo Massen