Frutto senile in su'l giovenil fiore.
[„Greise Frucht auf judendlicher Blüthe.“]
Das Studium hat deine Lebhaftigkeit nicht abgestumpft und dich nicht steif und schwerfällig gemacht; die fade Galanterie hat nicht deinen Geist verkümmert und verschrumpft. Die glühende Liebe hat, indem sie dir alle erhabenen Gefühle einpflanzte, deren Mutter sie ist, dir den hohen Schwung der Ideen und den scharfen Sinn gegeben, die davon unzertrennlich sind [Scharfsinn unzertrennlich von der Liebe! Gute Julie, die deinige verräth ihn an dieser Stelle nicht.]. Bei ihrer sanften Wärme sah ich deine Seele ihre glänzenden Eigenschaften entfalten, wie sich eine Blume den Strahlen der Sonne aufschließt; du hast bei einander alles das, was dazu gehört, sein Glück zu machen, und was dazu gehört, es zu achten. Es fehlt dir, um weltliche Ehren zu gewinnen, nichts als daß du dich herabließest, darnach zu streben, und ich hoffe, daß ein Gegenstand, der deinem Herzen theurer ist, dir den Eifer um dieselben einflößen wird, welchen sie an sich nicht verdienen.
O mein süßer Freund, du wirst nun weit hinwegziehen …. o mein Geliebter, du wirst deine Julie meiden! …. Es muß sein, unsere Trennung muß sein, wenn wir noch wieder einen glüchlichen Tag sehen wollen; und der Erfolg der Mühen, die du dir geben wirst, ist unsere letzte Hoffnung. Möchte dich ein so lieber Gedanke anfeuern und dich trösten während dieser langen, bitteren Trennung! Möchte er dir das Feuer einhauchen, welches die Hindernisse überwindet und das Glück bezwingt! Ach, die Welt und die Geschäfte werden dir beständig Zerstreuungen darbieten und werden heilsam sein, dich von den Schmerzen der Trennung abzuziehen. Ich aber werde bleiben, mir selbst überlassen oder Verfolgungen preisgegeben, und Alles wird mich zwingen, ohne unterlaß um dich zu weinen. Glücklich werde ich noch sein, wenn nicht eitle Beunruhigungen meine wirklichen Qualen vermehren und wenn ich zu meinen eigenen leiden nicht noch di alle in mir fühle, denen du ausgesetzt sein wirst. —
Ich zittere, wenn ich an die tausend Gefahren denke, die deinem Leben und deinen Sitten drohen. Ich setze in dich alles Vertrauen, das einem ein Mensch einflößen kann: aber, da uns das Schicksal trennt, ach Freund, warum bist du nichts als nur ein Mensch? Wie viel guter Rath wäre dir nothwendig in dieser unbekannten Welt, in die du dich stürzen wirst. Nicht mir, die ich jung, ohne Erfahrung und weniger mit Kenntnissen ausgerüstet bin, als du, nicht mir kommt es zu, dir Weisungen in dieser Hinsicht zu geben; diese Sorge überlasse ich Milord Eduard. Nur zwei Dinge will ich Dir anempfehlen, weil sie mehr in das Gebiet des Gefühls als der Erfahrung fallen, und weil ich, wenn ich auch die Welt wenig kenne, doch ein Herz wohl zu kennen glaube: weiche nie von der Tugend und vergiß nie deine Julie.
Ich will dir nicht alle die spitzfindigen Argumente, die du mich selbst verachten gelehrt hast, ins Gedächtniß rufen, die so viele Bücher füllen und nie einen Menschen gut gemacht haben. Ach, die traurigen Schwätzer! was für wonnige Entzückungen haben ihre Herzen nie gefühlt und nie gespendet! Laß, mein Freund, die fahlen Moralprediger und gehe in die Tiefe deiner Seele hinein; dort wirst du allezeit die Quelle des heiligen Feuers finden, an welchem sich so oft in uns die Liebe der erhabenen Tugend entzündete, dort wirst du das ewige Bild des wahren Schönen erblicken, dessen Betrachtung uns mit heiliger Begeisterung erfüllt und das unsere Leidenschaft unaufhörlich beflecken, ohne es je auslöschen zu können [Die wahre Philosophie für Liebende ist bei Plato zu finden; so lange der Zauber währt, haben sie keine andere. Wer bewegten Gemütes ist, kann von diesem Philosophen nicht los: einem kalten Leser ist er unausstehlich.]. Erinnere dich der köstlichen Thränen, die aus unsren Augen flossen, des Pochens, welches unsere Herzen fast erstickte, der Verzückung, die uns über uns selbst erhob, bei den Lebensgeschichten der Helden, die das Laster unentschuldbar machen und die Ehre der Menschheit sind. Willst du wissen, was wahrhaft wünschenswerth ist, Glück oder Tugend? Denk nur welchem von Beiden das Herz den Vorzug giebt, wenn es unparteiisch wählt. Denke, was uns beim Lesen der Geschichte anzieht und reizt. Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, dir die Schätze des Krösus, oder Cäsar's Ruhm, oder Nero's Macht oder die Freuden Heliogabal's zu wünschen? Wenn diese glücklich waren, warum versetzten dich deine Wünsche nie an ihre Stelle? Nein, sie waren nicht glücklich, und das hast du gefühlt; sie waren schlecht und verächtlich, und ein schlichter Mensch, der Glück hat, macht Niemanden Neid. Welche Menschen betrachtetest du denn mit dem meisten Vergnügen? Welches Beispiel verehrtest du? Welchem hättest du am liebsten mögen ähnlich sein? Unbegreiflicher Reiz der Schönheit, die nicht stirbt! Es war der Athenienser, der den Schierlingsbecher trinkt, Brutus, der für sein Vaterland stirbt, Regulus in seinen Martern, Cato, der sein eigenes Herz durchbohrt, alle diese tugendhaften Unglücklichen waren es, die deinen Neid erregten, und du fühltest im Grunde deines Herzens die wahre Glückseligkeit, welche sich unter ihren scheinbaren Leiden verbarg. Glaube nicht, daß dieses Gefühl nur dir eigenthümlich war; alle Menschen fühlen ebenso und oftmals wider ihren Willen. Das göttliche Urbild, welches Jeder von uns in sich trägt, bezaubert uns trotz unserer Unlust: sobald uns die Leidenschaft vergönnt, es nur zu sehen, wollen wir ihm ähnlich werden, und der schlechteste Mensch, wenn er sich anders machen könnte, würde ein guter Mensch sein wollen.
Verzeihe mir diese Begeisterung, liebenswürdiger Freund; du weißt, daß ich sie von dir habe, und die Liebe, der ich sie verdanke, will sie dir zurückgeben. Nicht will ich dir hier deine eigenen Maximen lehren, sondern nur einen Augenblick auf dich die Anwendung davon machen, und sehen, was in ihnen Brauchbares für dich liegen mag; denn jetzt ist es Zeit, das auszuüben, was du zu lehren wußtest, und zu zeigen, wie man nach seinen Grundsätzen handelt. Wenn nicht davon die Rede ist, ein Cato oder Regulus zu sein, so muß doch Jeder sein Vaterland lieben, rechtschaffen sein und muthig, Wort halten, auch auf Gefahr seines Lebens. Die Privattugenden sind oft um so erhabener, als sie nicht nach dem Beifall Anderer streben, sondern nur nach dem Zeugniß des eigenen Gewissens, und dem Gerechten ist sein Bewußtsein so viel werth, als das Lob der ganzen Welt. So wirst du fühlen, daß die Größe allen Ständen eignet, und daß Niemand glücklich sein kann, wenn er nicht seiner eigenen Achtung genießt; denn wenn der wahre Seelengenuß in der Betrachtung des Schönen liegt, wie kann dieses der Schlechte im Anderen lieben, ohne gezwungen zu sein, sich selbst zu hassen?
Ich fürchte nicht, daß dich die groben sinnlichen Genüsse verführen; das sind keine sehr gefährlichen Fallstricke für ein empfindsames Herz; für ein solches müssen feinere sein. Aber ich fürchte die Maximen und Lehren der Welt; ich fürchte die entsetzliche Gewalt, welche das allgemeine und beständige Beispiel des Lasters haben muß; ich fürchte die schlauen Sophismen, mit denen es sich schminkt; ich fürchte endlich, daß dein Herz selbst dich hintergehen und dich weniger schwierig machen möchte in der Wahl der Mittel, um zu einem Ansehen zu gelangen, das du allerdings verachten würdest, wenn nicht unsere Verbindung die Frucht davon sein könnte.
Ich warne dich, mein Freund, vor diesen Gefahren; deine Weisheit wird das Uebrige thun: denn um sich davor zu schützen, ist schon viel gewonnen, wenn man sie vorauszusehen gewußt hat. Ich will nur noch eine Bemerkung hinzufügen, die es meiner Meinung nach ebensowohl mit der Scheinvernunft des Lasters aufnimmt, als mit den übermüthigen Verirrungen unbedachter Thoren, und eigentlich hinreichen müßte, um das Leben des vernünftigen Menschen auf die Bahn des Guten zu lenken, nämlich diese, daß die Quelle des Glückes ganz weder in dem begehrten Gegenstande, noch in dem Herzen, welches ihn besitzt, liegt, sondern in dem Verhältnisse beider zu einander, und daß ebenso wie nicht alle Gegenstände, deren wir begehren, geeignet sind, Glück zu spenden, auch nicht alle Zustände des Herzens geeignet sind, es zu empfinden. Wenn die lauterste Seele für sich allein nicht genug ist, um glücklich zu machen, so ist es doch noch gewisser, daß alle Wonnen der Welt nicht im Stande sein werden, ein verderbtes Herz zu beglücken; denn es ist von beiden Seiten eine Vorbereitung nöthig, ein gewisses Zusammenwirken, aus welchem erst jenes köstliche Gefühl entspringt, das alle gefühlvollen Wesen suchen und das der falsche Weise niemals erfährt, der bei dem Vergnügen des Augenblicks stehen bleibt, weil er ein dauerhaftes Glück nicht kennt. Was würde es daher nützen, einen dieser Vortheile auf Kosten des anderen zu erwerben, nach außen zu gewinnen, um im Innern desto mehr zu verlieren, und sich die Mittel zu verschaffen, glücklich zu sein, indem man die Kunst einbüßt, sie anzuwenden? Ist es nicht noch besser,