Also, Brüder, dazu möchte ich dies hervorgehoben haben, damit ihr, da ihr euer Herz zu den Schriften erhebet beim Verlesen der Stelle des Evangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, und was sonst noch vorgelesen wurde, einsehet, daß ihr eure Augen zu den Bergen erhoben habt. Denn wenn die Berge dies nicht sagen würden, so fändet ihr nicht, worüber ihr überhaupt nachdenken solltet. Also von den Bergen kommt euch die Hilfe, daß ihr dies auch nur hörtet; allein ihr könnt noch nicht verstehen, was ihr gehört habt. Rufet die Hilfe des Herrn an, der Himmel und Erde gemacht hat; denn die Berge konnten nur so reden, daß sie nicht zugleich erleuchten können, weil auch sie beim Hören erleuchtet wurden. Von daher empfing auch der, welcher dies gesagt hat, jener Johannes, meine Brüder, welcher an der Brust des Herrn lag17 und von der Brust des Herrn trank, was er uns darbieten sollte. Er bot aber Worte dar, das Verständnis jedoch mußt du daher nehmen, woher auch derjenige getrunken hatte, der dir darbot, damit du so die Augen zu den Bergen erhebest, woher die Hilfe kommen wird, und von dorther gleichsam den Kelch d. i. das Wort dargereicht empfangest, und dennoch, weil deine Hilfe vom Herrn ist, der Himmel und Erde gemacht hat, von daher das Herz erfüllest, woher es auch jener erfüllt hat, weshalb du ja gesagt hast: „Meine Hilfe ist vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“: wer also kann, der fülle es. Brüder, ich habe damit gesagt: ein jeder erhebe sein Herz, so wie er es fähig findet, und fasse, was gesagt wird. Aber vielleicht werdet ihr sagen, daß ich euch näher sei als Gott. Das sei ferne. Viel näher ist jener, denn ich erscheine bloß euren Augen, jener aber ist eurem Gewissen gegenwärtig. Auf mich richtet die Ohren, auf jenen das Herz, damit ihr beides erfüllet. Siehe da, eure Augen und die Sinne des Leibes erhebet ihr zu uns, und doch nicht zu uns, denn wir gehören nicht zu jenen Bergen, sondern zum Evangelium selbst, zum Evangelisten selbst, das Herz aber, das erfüllt werden soll, zum Herrn. Und ein jeder erhebe es so, daß er sehe, was er erhebe und wohin er es erhebe. Wie habe ich das gemeint: Was er erhebe und wohin er es erhebe?* Was für ein* Herz er erhebe, mag er zusehen, weil er es zum Herrn erhebt, damit es nicht, durch die Last fleischlicher Lust beschwert, niedersinke, noch ehe es erhoben wurde. Sieht aber einer, daß er die Last des Fleisches trägt, so gebe er sich Mühe, durch Enthaltsamkeit zu reinigen, was er zu Gott erheben soll. Denn „selig sind, die ein reines Herz haben, weil sie Gott anschauen werden“18.
8.
Denn siehe, was nützt es, daß die Worte erklangen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“? Auch wir haben Worte gesprochen, als wir redeten. War etwa ein solches Wort bei Gott? Sind nicht die Worte, welche wir gesprochen haben, erklungen und vergangen? Ist also auch Gottes Wort erklungen und vergangen? Wie ist alles durch dasselbe gemacht worden und ohne es nichts geworden? wie wird durch dasselbe geleitet, was durch dasselbe geschaffen ist, wenn es erklungen und vergangen ist? Was für ein Wort ist also dasjenige, welches gesprochen wird und nicht vergeht? Eure Liebe merke auf; es ist etwas Großes. Durch den täglichen Gebrauch sind uns die Worte wertlos geworden, weil sie erklingend und vergehend ihren Wert eingebüßt haben und nichts anderes scheinen als Worte. Es gibt ein Wort auch im Menschen selbst, welches drinnen bleibt; denn nur der Schall geht aus dem Munde hervor. Es gibt ein Wort, welches wahrhaft geistig gesprochen wird, jenes Wort nämlich, welches du aus dem Schalle erschließest, welches aber nicht selbst der Schall ist. Siehe, ich spreche ein Wort, wenn ich sage: Gott. Wie kurz ist das Wort, das ich gesprochen habe, vier Buchstaben und* eine* Silbe19! Ist etwa dies das ganze Wesen Gottes, vier Buchstaben und* eine* Silbe? Oder ist, so gering an Wert dieses ist, so wertvoll dasjenige, was man darunter versteht? Was ist in deinem Herzen geschehen, als du hörtest: Gott? Was ist in meinem Herzen geschehen, als ich sagte: Gott? Ein großes und überaus hohes Wesen ist gedacht worden, welches alle veränderliche Kreatur übertrifft, die fleischliche und die beseelte. Und wenn ich zu dir sage: Ist Gott veränderlich oder unveränderlich? so wirst du sogleich antworten: Es sei ferne, daß ich glaube oder meine, Gott sei veränderlich; Gott ist unveränderlich. Deine Seele, obwohl klein, obwohl vielleicht noch fleischlich, konnte mir Gott nur als unveränderlich bezeichnen, alle Kreatur aber ist veränderlich. Wie also konnte dir im Denken auffunkeln, was über alle Kreatur ist, um Gott zuversichtlich als unveränderlich zu bezeichnen? Was ist also das in deinem Herzen, wenn du ein lebendiges, ewiges, allmächtiges, unendliches, allgegenwärtiges, überall ganz gegenwärtiges, nirgends eingeschlossenes Wesen denkst? Wenn du das denkst, so ist dies das Wort (der Begriff) von Gott in deinem Herzen. Ist aber dies der Schall, der aus vier Buchstaben und* einer* Silbe besteht? Also alles, was gesprochen wird und vergeht, sind Töne, sind Buchstaben, sind Silben. Ein Wort, das schallt, vergeht; was aber der Schall bedeutete und in dem Denkenden ist, der es gesprochen, und in dem Erkennenden, der es gehört hat, das bleibt, auch wenn die Töne vergehen.
9.
Wende deinen Geist wieder zurück zu jenem Worte. Wenn du ein Wort in deinem Herzen haben kannst, so ist es wie ein in deinem Geiste geborener Entschluß, so daß dein Geist den Entschluß erzeugt und der Entschluß darin ist wie ein Erzeugnis deines Geistes, wie ein Sohn deines Herzens. Denn zuerst muß das Herz den Entschluß erzeugen, damit du ein Gebäude aufführen, etwas Großes auf der Erde unternehmen kannst; der Entschluß ist schon da, aber das Werk ist noch nicht vollendet; du siehst, was du vollbringen willst, aber ein anderer schaut es nicht, bis du das Werk getan und aufgeführt und jenes Gebäude ausgebaut und vollendet hast; die Menschen sehen das staunenswerte Gebäude und bewundern den Plan des Erbauers; sie staunen an, was sie sehen, und schätzen, was sie nicht sehen: denn wer kann den Plan sehen? Wenn also wegen eines großen Gebäudes der menschliche Plan gelobt wird, dann magst du daraus sehen, was für ein Plan Gottes Jesus Christus ist, d. h. das Wort Gottes. Betrachte dieses Weltgebäude; schaue an, was durch das Wort geworden ist, und dann wirst du erkennen, was für ein Wort es ist. Betrachte diese beiden Weltkörper, den Himmel und die Erde. Wer erklärt mit Worten den Schmuck des Himmels? Wer erklärt mit Worten die Fruchtbarkeit der Erde? Wer preist würdig den Wechsel der Zeiten? Wer lobt gebührend die Kraft der Samen? Ihr seht, was ich verschweige, damit ich nicht durch lange Aufzählung vielleicht weniger sage, als ihr zu denken vermöget. Aus diesem Gebäude also ersehet, was für ein Wort es ist, durch welches das Gebäude geworden ist, und es ist nicht allein geworden; denn all dies kann man sehen, weil es sinnlich wahrnehmbar ist. Durch jenes Wort sind auch die Erzengel erschaffen worden, die Mächte, die Throne, die Herrschaften, die Fürstentümer; durch jenes Wort ist alles erschaffen worden. Erkennet daraus, was es für ein Wort ist.
10.
Es erwidert mir nun vielleicht einer: Und wer denkt dieses Wort? Stelle dir also nicht etwas Geringes vor, wenn du „Wort“ hörst, und denke nicht an Worte, welche du täglich vernimmst: Der hat solche Worte gesprochen, solche Worte vorgebracht, solche Worte erzählst du mir; denn dadurch, daß man die Namen von Worten beständig gebraucht, sind die Worte gleichsam wertlos geworden. Und wenn du hörst: „Im Anfang war das Wort“, so höre, was du denken sollst, nämlich: „Gott war das Wort“, damit du nicht an etwas Geringes denkest, wie du es zu hören gewohnt bist, wenn du menschliche Worte zu hören pflegst.
11.
Es trete nun irgend ein ungläubiger Arianer hervor und sage, das Wort Gottes sei geschaffen. Wie ist es möglich, daß das Wort Gottes geschaffen sei, da doch Gott durch das Wort alles geschaffen hat? Wenn auch das Wort Gottes selbst geschaffen ist, durch welches andere Wort ist es geschaffen? Wenn du sagst, es sei das Wort des Wortes, durch welches jenes geschaffen ist, so nenne ich dasselbe den eingeborenen Sohn Gottes. Denkst du aber nicht an ein Wort des Wortes, so räume ein, daß dasjenige nicht geschaffen ist, durch welches alles geschaffen ist. Denn durch sich selbst konnte das nicht werden, durch welches alles geschaffen ist. Glaube also dem Evangelisten. Er hätte ja sagen können: Im Anfang schuf Gott das Wort, wie Moses gesagt hat: „Im Anfang schuf Gott Himmel und die Erde“20 und dann alles so aufzählt: „Gott sprach“, „Es werde“, und es ist geworden. Wenn er so sprach, wer sprach? Natürlich Gott. Und was ist geworden? Ein Geschöpf. Zwischen dem sprechenden Gott und der gewordenen Kreatur was ist da, wodurch es geworden ist, als eben das Wort? Denn Gott sprach: „Es werde“, und es ist geworden. Dieses Wort ist unveränderlich,