Ausgewählte Briefe. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659844
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Torheit eines solchen Menschen zurückweisen, mit allen möglichen Worten und Andeutungen das Innerste seines Herzens offenbaren und laut erklären: auf Grund einer Lüge Gott zu loben, sei kein geringeres, sondern vielleicht ein noch größeres Verbrechen, als ihn auf Grund der Wahrheit zu lästern? Nur ein solcher Mann darf also sich an das Schriftstudium begeben, der es mit den heiligen Büchern so ernst und wahrhaft nimmt, daß er nicht an irgendeiner Stelle zu Dienstlügen seine Zuflucht nimmt, sondern lieber das, was er nicht versteht, unerklärt läßt, als daß er seine Einfälle der Wahrheit vorzieht. Denn in der Tat fordert er bei einer solchen Behauptung, daß man ihm Glauben schenke, und bringt es damit dahin, daß wir dem Ansehen der göttlichen Schriften nicht glauben.

       5.

      Ich wenigstens würde mit allen Kräften, die mir der Herr verleiht, nachzuweisen suchen, daß alle jene Stellen, die man zum Beweise für den Nutzen der Lüge angeführt hat, anders verstanden werden müssen, ja daß überall in ihnen die unverbrüchliche Wahrheit gepredigt wird. Denn so wenig in Schriftstellen eine Lüge enthalten sein darf, so wenig dürfen sie auch die Lüge begünstigen. Das überlasse ich jedoch deiner Einsicht. Richte du nur recht sorgfältig dein Augenmerk auf die Lesung, und du wirst dann dies vielleicht weit leichter als ich finden. Zu solcher Achtsamkeit aber muß dich die Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift zwingen, deren Ansehen, wie du leicht erkennst, in Frage gestellt ist, wenn jeder von ihr glaubt, was er will, und nicht glaubt, was er nicht will. Denn das muß die Folge sein, wenn man erst einmal die Überzeugung gewonnen hat, daß jene Männer, die uns die heiligen Schriften vermittelt haben, in ihnen aus Rücksichten hätten lügen können. Oder du müßtest einige Regeln aufstellen, die uns erkennen lassen, wann man lügen dürfe und wann nicht. Ist dies möglich, so bitte ich dich, erkläre es mit unzweifelhaften und untrüglichen Gründen! Halte mich aber nicht für zudringlich und unverschämt, bei der wahrhaftesten Menschheit unseres Herrn! Denn wenn es bei dir Recht ist, daß die Wahrheit die Lüge begünstigt, so ist es für mich, ich will nicht sagen, gar keine, aber doch keine große Schuld, wenn ich mit meinem Irrtume der Wahrheit huldige.

       IV. 6.

      Noch viele andere Fragen möchte ich gern mit deinem aufrichtigsten Herzen besprechen und über das christliche Leben mit dir Meinungsaustausch pflegen. Aber zur Erfüllung dieses Wunsches reicht ein Brief nicht hin. Besser kann ich dies durch den Bruder erreichen, den ich mit Freuden zu dir sende, damit er an deinen liebreichen und nützlichen Gesprächen Anteil habe und Gewinn daraus ziehe. Zwar weiß er das nicht ganz so, wie ich wohl wünschte, zu schätzen — ohne ihm zu nahe zu treten, sei dies gesagt. Ich möchte mich ja nicht ihm vorziehen, doch kann ich sagen, daß ich mehr Verständnis für dich habe; freilich wird er sicher mehr Nutzen daraus schöpfen, und hierin übertrifft er mich ohne Zweifel. Doch wenn ihm der Herr, wie ich hoffe, eine glückliche Rückkehr schenkt, so werde ich mir dann meinen Anteil an dem Schatze nehmen, den du in seiner Seele aufgehäuft hast, auch wenn er die Lücken meiner Erkenntnis noch nicht auszufüllen, mein Verlangen, deine Ansicht zu erfahren, nicht zu befriedigen vermag. So werde ich auch dann der Dürftigere, er der Reichere sein. Derselbe Bruder bringt dir auch einige meiner Schriften mit. Wenn du dich würdigst, sie zu lesen, so bitte ich dich, gleichfalls mit aufrichtiger und brüderlicher Strenge zu verfahren. Denn nur in diesem Sinne verstehe ich das Wort der Schrift: „Der Gerechte möge mich züchtigen in Güte und mich zurechtweisen; aber des Sünders Öl soll mein Haupt nicht salben“82 — daß nämlich heilsame Zurechtweisung von größerer Liebe zeugt als Schmeichelei, die das Haupt salbt. Mir selbst aber fällt es sehr schwer, ein gerechter Richter meiner eigenen Schriften zu sein, indem ich entweder zu furchtsam bin oder mich zu sehr törichter Hoffnung hingebe. Wohl sehe ich bisweilen meine Fehler; aber ich will sie lieber von solchen hören, die besser sind als ich. Denn wenn ich selbst mich vielleicht mit Grund getadelt habe, so könnte ich mir nachher wieder schmeicheln: ich hätte offenbar über mich ein Urteil gefällt, das mehr furchtsam als gerecht sei.

      XVII. (Nr. 29.) An Bischof Alypius von Tagaste

      Geschrieben im Jahre 395.

       Brief des Priesters von Hippo Regius an den Bischof Alypius von Tagaste, geschrieben am Festtage des Leontius, der früher Bischof von Hippo war83.

      Inhalt. Augustinus erzählt seinem Freunde, wie es ihm gelungen sei, am Festtage des heiligen Leontius 395 durch seine Predigten das Volk von den gewohnten Gastmählern in der Kirche abzuhalten. Vergleiche auch Brief Nr. XIII dieser Sammlung.

       1.

      Was die Angelegenheit anbetrifft,die ich noch besorgen muß, so kann ich dir in Abwesenheit des Bruders Macharius nichts Gewisses mitteilen; doch heißt es, daß er bald zurückkommen wird, und mit Gottes Hilfe wird dann geschehen, was möglich ist. Obwohl aber unsere Mitbrüder ihre anwesenden Mitbürger unserer Sorgfalt für sie versichern konnten, so hat uns doch der Herr einen Erfolg verliehen, der der brieflichen Mitteilung, durch die wir uns zu trösten pflegen, würdig ist. Sicherlich hat euer Eifer uns sehr geholfen, ihn zu verdienen, da ihr es gewiß nicht unterlassen konntet, für uns zu beten84.

       2.

      Wir wollen also nicht unterlassen,eurer Liebe den Vorfall zu erzählen, damit ihr mit uns Gott für die empfangene Gnade danket, wie ihr auch mit uns Gebete verrichtet habt, um sie zu erlangen. Nach deiner Abreise wurde uns nämlich berichtet, wovon auch schon während deiner Anwesenheit die Rede ging, es sei große Aufregung unter den Leuten, weil sie sich jene Feierlichkeit nicht verbieten lassen wollten, die sie zwar eine Freudenfeier nennen, die aber in Wahrheit nur ein Trinkgelage ist. Es kam uns hierbei trefflich zustatten, daß nach des allmächtigen Gottes geheimem Ratschlusse am folgenden Mittwoch im Evangelium in der Reihenfolge der Text traf: „Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen nicht vor die Schweine!“85 Es war also von den Hunden und Schweinen in solcher Weise die Rede, daß diejenigen, die ein freches Gebelfer gegen die Gebote Gottes erheben und sich im Kote fleischlicher Lüste wälzen, zum Erröten gezwungen waren. Den Schluß bildete der Hinweis, wie ruchlos es sei, innerhalb der kirchlichen Mauern und im Namen der Religion zu tun, was sie vom Heiligtume und von den Perlen der Kirche ausschließen mußte, wenn sie es fortgesetzt nur zu Hause trieben.

       3.

      Obwohl aber diese Ausführungen beifällig aufgenommen wurden, so waren doch zu wenige beisammen, und meine so überaus wichtige Aufgabe konnte nicht für erledigt gelten. Als aber die Zuhörer von jener Predigt je nach Vermögen und Eifer auch außerhalb der Kirche erzählten, fand sie vielen Widerspruch. Als aber bei Anfang der Fasten eine große Menge zur Predigtstunde erschien, wurde im Evangelium gelesen, wie der Herr die Verkäufer der Tiere aus dem Tempel trieb, die Wechslertische umwarf und erklärte, man habe das Haus seines Vaters, das ein Haus des Gebetes sei, zu einer Räuberhöhle gemacht. Auch diesen Abschnitt verlas ich selbst, da ich bereits ihre Aufmerksamkeit auf die Trinkgelage gelenkt hatte; ich knüpfte daran eine Erörterung, in der ich zeigte, daß unser Herr mit noch weit größerer Entrüstung Gastmähler der Trunkenheit, die überall eine Schande sind, aus dem Tempel verbannen würde, da er in ihm selbst einen an sich erlaubten Verkauf nicht duldete, indem dort ja nur verkauft wurde, was für die jeweiligen Opfer erforderlich war. Ich fragte sie, auf wen wohl der Ausdruck „Räuberhöhle“ besser passe, auf Verkäufer notwendiger Gegenstände oder auf unmäßige Zecher.

       4.

      Und da man die Stellen der Heiligen Schrift in Bereitschaft hielt, um sie mir vorzulegen, so bemerkte ich, daß selbst das fleischlich gesinnte Judenvolk in dem Tempel, in dem noch nicht der Leib und das Blut des Herrn zum Opfer gebracht wurde, keine Trinkgelage, ja nicht einmal ehrbare Gastmähler abgehalten habe; überhaupt finde sich in der Geschichte kein Beispiel, daß die Juden im Namen der Religion sich öffentlich betrunken hätten, außer wenn sie ein Götzenfest feierten. Hierbei nahm ich das Buch zur Hand und verlas die ganze betreffende Stelle86.Ich fügte auch mit dem bittersten Schmerze die Worte