10.
Sodann legte ich ihnen nahe, wir wollten die Kirchen jenseits des Meeres nachahmen, in denen ein solcher Mißbrauch entweder nie aufgekommen oder durch gute Vorsteher und den Gehorsam des Volkes abgeschafft worden sei. Zwar sage man der Basilika des heiligen Petrus nach, daß in ihr täglich Beispiele von Trunksucht vorkämen; doch konnte ich zuerst darauf hinweisen, daß, wie ich gehört, dort schon öfters ein Verbot erlassen worden sei. Aber da diese Kirche weit vom Aufenthalte des Bischofs entfernt sei und sich in einer so großen Stadt viele fleischlich gesinnte Menschen befänden, da ferner die Pilger in immer neuen Scharen an jener Gewohnheit mit ebenso großer Hartnäckigkeit als Unwissenheit festhielten, so habe dieser abscheuliche Mißbrauch noch nicht abgeschafft und ausgerottet werden können. Wenn wir indessen den Apostel Petrus ehren wollten, so müßten wir auf seine Vorschriften merken und uns mehr um seinen Brief kümmern, in dem sich sein Wille kundgibt, als um die Basilika, in der er sich nicht kundgibt. Sogleich nahm ich die Rolle zur Hand und las die Stelle vor, an der er sagt: „Da nun Christus für uns dem Fleische nach gelitten hat, so wappnet euch mit diesem Gedanken: Wer gelitten hat nach dem Fleische, der hat dem Fleische abgesagt, so daß er nicht mehr nach den Gelüsten der Menschen, sondern nach dem Willen Gottes die übrige Zeit im Fleische lebt. Denn es ist genug für euch, die vergangene Zeit nach dem Willen der Menschen zugebracht zu haben, indem ihr in Wollust, in Lüsternheit, in Trunkenheit, in Völlerei und in schändlichem Götzendienst gewandelt seid“97. Als ich hierauf sah, daß alle einmütig die böse Gewohnheit verabscheuten und guten Willen angenommen hatten, so sprach ich den Wunsch aus, sie möchten zur Mittagszeit der Lesung des göttlichen Wortes und dem Psalmengesange beiwohnen; auf diese Weise würden sie den Tag viel reiner und echter feiern, und man könne so auch leicht von der versammelten Menge unterscheiden, wer es mit dem Geiste und wer es mit der Sinnlichkeit halte. Damit schloß ich, nachdem alles vorgelesen war, die Predigt.
11.
Am Nachmittage kam noch eine größere Menge Volkes als am Vormittag, und bis zur Stunde, da wir mit dem Bischof an den Altar treten sollten, wurde abwechselnd gelesen und Psalmen jfesungen. Als wir an den Altar getreten waren, wurden noch zwei Psalmen gesungen. Dann zwang mich der alte Bischof durch seinen ausdrücklichen Befehl, noch etwas zum Volke zu sprechen, obwohl ich nicht dazu geneigt war und mich nach dem Ende der Aufregungen dieses Tages sehnte. Ich hielt eine kurze Anrede und sagte in ihr Gott Dank. Und da wir hörten, daß in der Basilika der Donatisten die gewohnten Gelage abgehalten wurden und sie noch zur Zeit, da wir so sprachen, bei den Bechern saßen, so erklärte ich, die Schönheit des Tages werde gesteigert durch einen Vergleich mit der Nacht und die weiße Farbe erscheine noch heller neben der schwarzen. So wäre auch unsere geistige Festfeier vielleicht weniger erfreulich gewesen, wenn nicht auf der anderen Seite das fleischliche Trinkgelage zum Vergleiche herausgefordert hätte. Und ich forderte sie auf, jetzt, nachdem sie die Süßigkeit des Herrn gekostet hätten, beharrlich solche Genusse aufzusuchen. Für jene aber, die das als Hauptsache behandeln, was einst der Zerstörung anheimfallen wird, müsse man Furcht hegen. Denn jeder teile das Los der Sache, an die er sich hängt, und darum spotte der Apostel über solche, indem er von ihnen sagt: „Ihr Gott ist ihr Bauch“98, und an einer anderen Stelle: „Die Speise ist für den Leib und der Leib für die Speise; Gott aber wird beides beseitigen“99. Wir müßten also dem anhängen, was nicht beseitigt wird, was nichts zu tun hat mit den Gelüsten des Fleisches und nur durch die Heiligung des Geistes gewonnen wird. Nachdem ich diesen Satz zeitgemäß und so, wie es mir der Herr eingab, erörtert hatte, fand die tägliche Vesper statt. Als wir mit dem Bischof uns zurückgezogen, sangen die Brüder den Lobgesang, und eine nicht unbedeutende Menge beiderlei Geschlechts verblieb bis zum Einbruch der Dunkelheit unter Psalmengesang in der Kirche.
12.
Ich habe euch nun, wie ich es in Kürze vermochte, auseinandergesetzt, was ihr ohne Zweifel zu hören gewünscht habt. Betet, daß der Herr von unseren Bestrebungen alle Ärgernisse und alle Lauheit fernhalte. Zum großen Teile beruht die Regsamkeit unseres Eifers auf euch100, da uns von der geistigen Kirche zu Tagaste so viele Gnadengaben gemeldet werden.
Das Schiff mit den Brüdern ist noch nicht angekommen. Bei Asna, wo der Bruder Argentius Priester ist, sind die Circumcellionen101 in unsere Basilika eingedrungen und haben den Altar zerstört. Der Prozeß schwebt eben, und wir bitten sehr um euer Gebet, daß er in Frieden, zur Ehre der katholischen Kirche und zur Unterdrückung der friedlosen Ketzerei ausgetragen werde. Ich habe einen Brief an den Asiarches102 gesandt: Verharre glücklich im Herrn und gedenke unser! Amen.
Zweites Buch.
Briefe von Augustins Erhebung zur Bischofswürde bis zu seiner Disputation mit den Donatisten und der Entdeckung der pelagianischen Irrlehre in Afrika (396—410).
XVIII. (Nr. 31.) An Paulinus und Therasia
Geschrieben im Jahre 396.
Die geliebtesten und verehrtesten, wahrhaft heiligen, von Gottes Gnade überfließenden und vortrefflichen Geschwister Paulinus und Therasia grüßt Augustinus im Herrn.
Inhalt. Therasia war die Gemahlin des Paulinus, mit der er sich vor seiner Priesterweihe vermählt hatte. Sie blieb bei ihrem Manne, lebte aber nur als Schwester mit ihm. Augustinus berücksichtigt sie im Verlaufe des Briefes nicht weiter, außer daß er von dem Beispiele für beide Geschlechter spricht, das dieses heiligmäßige Ehepaar gebe. Nach längerer Erklärung der herzlichsten Freundschaft teilt Augustinus mit, daß er Mitbischof des Valerius von Hippo geworden sei, und sucht den Paulinus zu bestimmen, daß er nach Afrika komme. Er sendet ihm seine drei Bücher „Vom freien Willen“ und empfiehlt ihm den Romanianus und andere. Siehe Brief XV dieser Sammlung.
1.
Zwar hätte ich sehr gewünscht, daß mein Brief, mit dem ich auf euer erstes Schreiben antwortete (wenn in der Tat ein Brief von mir die Antwort auf einen von euch genannt werden kann), möglichst bald in die Hände eurer Liebe käme, damit ich trotz meiner Abwesenheit doch schnell auf irgendeine Weise bei euch sein könnte; doch hat mir mein Zögern den Gewinn eines neuen Briefes von euch eingetragen. Wie gütig ist der Herr, der oft unsere Wünsche nicht erfüllt, um uns zu geben, was wir vorziehen würden! Denn anderes hättet ihr nach Empfang meines Briefes geschrieben, und anderes habt ihr jetzt geschrieben, weil ihr ihn noch nicht in Händen hattet. Die Freude, die wir beim Lesen eures letzten Briefes empfanden, hätten wir sicher entbehren müssen, wenn nach unserem Wunsch und entschiedenem Willen unser Brief ohne Verzug zu eurer Heiligkeit gelangt wäre. Nun aber haben wir die doppelte Freude, sowohl euren gegenwärtigen Brief zu besitzen als auch auf eine Antwort hoffen zu dürfen. So kann man uns keine Schuld beimessen, sondern die freigebige Güte des Herrn hat getan, was sie für unsere Sehnsucht am ersprießlichsten hielt.
2.
Die heiligen Brüder Romanus und Agilis, die sozusagen ein mit Gehör und Stimme begabter