6.
Da aber diese Trinkgelage und verschwenderischen Gastmähler auf den Friedhöfen von dem fleischlich gesinntenund unwissenden Volke nicht bloß für Verehrung der Märtyrer, sondern auch für einen Trost der Verstorbenen gehalten werden, so können die Leute, wie mir scheint, auf folgende Weise eher von diesem schändlichen Unfug abgebracht werden. Man verbietet ihnen zwar diesen gemäß der Heiligen Schrift; die Opfergaben für die Seelen der Entschlafenen42 jedoch, die, wie wir fest glauben, etwas helfen, läßt man an ihren Gräbern bestehen, allerdings nicht zu reichlich, und reicht sie ohne Schaustellung und mit aller Bereitwilligkeit denen dar, die darum bitten, verkauft sie jedoch nicht. Will jemand frommen Gefühles eine Summe Geldes opfern, so soll er es persönlich den Armen spenden. So brauchen die Leute offenbar nicht die Gräber der Ihrigen zu vernachlässigen, was nicht geringes Herzeleid verursachen könnte, und in der Kirche werden nur Gedächtnisfeiern begangen, die mit Ehrbarkeit und Frömmigkeit vereinbar sind. So viel vorläufig über die Schmausereien und Trinkgelage.
II. 7.
Was soll ich aber von Streitsucht und Überlistung sprechen, da schwere Laster dieser Art in unserem Stande, nicht unter dem Volke vorkommen? Die Mutter dieser Krankheiten ist aber der Stolz und die Begierde nach Menschenlob, die oft auch zur Heuchelei führt. Diesem Laster aber kann man nur dadurch entgegenarbeiten, daß man, wie so häufig die Stellen in den göttlichen Büchern es verlangen, Furcht und Liebe Gottes einflößt. Doch muß auch derjenige, der dies tut, sich selbst als Meister der Geduld und Demut erweisen, indem er weniger für sich in Anspruch nimmt, als ihm entgegengebracht wird; jedoch darf er von denen, die ihn ehren, ebensowenig alles als gar nichts annehmen, sondern was er an Ehre und Lob empfängt, das muß er in Empfang nehmen, nicht wegen seiner selbst, da er ganz vor Gott wandeln und das Menschliche verachten soll, sondern wegen derer, für die er nicht Sorge zu tragen vermag, wenn er allzusehr herabgewürdigt ist. Darauf bezieht sich das Wort: „Niemand verachte deine Jugend“43, das derselbe ausgesprochen hat, der an einer anderen Stelle sagt: „Wenn ich den Menschen gefallen wollte, so wäre ich Christi Diener nicht“44.
8.
Es ist etwas Erhabenes, sich über Ehre und Menschenlob nicht zu freuen, sondern sowohl allen überflüssigen Prunk abzuschütteln, als auch das, was in dieser Beziehung als notwendig beibehalten wird, ganz zum Nutzen und Heil derer zu verwenden, von denen man geehrt wird. Nicht umsonst heißt es: „Gott wird die Knochen der Menschen, die gefallen wollen, zermalmen“45. Denn was ist krankhafter, was so ohne alle Standhaftigkeit und Kraft, die durch Knochen versinnbildet werden, als ein Mann, der durch hämische Nachrede außer Fassung gebracht wird, obwohl er weiß, daß das Gerede unwahr ist? Kein Schmerz würde wegen solch nichtiger Veranlassung das Innere der Seele zerwühlen, wenn nicht Lobbegierde die Knochen zermalmte. Bei dir setze ich Geisteskraft voraus. Darum sage ich eigentlich für mich, was ich hier mit dir bespreche; doch beliebt es dir offenbar, mit mir die Schwierigkeiten zu erwägen. Denn nur wer diesem Feinde den Krieg erklärt hat, fühlt dessen Kraft; denn wenn es auch für manchen leicht ist, verweigerten Lobes zu entbehren, so ist es doch schwer, sich an ihm nicht zu ergötzen, wenn es gespendet wird. Und doch muß unser Herz so sehr in Gott versunken sein, daß wir, falls das Lob unverdient ist, es immer zurückweisen; man könnte sonst zur Ansicht kommen, es sei etwas an uns, was wir nicht an uns haben, oder es sei unser Eigentum, was doch Gottes ist, oder man könnte loben, was uns zwar nicht abgeht, ja was wir vielleicht im Überfluß haben, was aber keineswegs Lob verdient. Dahin gehören alle Güter, die wir mit den Tieren oder mit gottlosen Menschen gemeinsam besitzen. Wenn wir aber mit Recht und Gottes wegen gelobt werden, so sollen wir denen Glück wünschen, die an wahrhaft Gutem Gefallen finden, aber nicht uns selbst, weil wir den Menschen gefallen, sondern insofern wir vor Gott so beschaffen sind, wie das Lob der Leute es voraussetzt, und dies nicht uns, sondern Gott zugeschrieben wird, von dem alle Gaben kommen, die mit Recht und in Wahrheit gelobt werden. Das sage ich mir selbst alle Tage vor, oder vielmehr derjenige sagt es mir, von dem alle heilsamen Ermahnungen stammen, mögen sie sich nun in der Heiligen Schrift vorfinden oder sich im Innern der Seele bemerkbar machen. Dennoch ist der Kampf mit dem Gegner heiß, und oft werde ich in ihm verwundet, da ich mir die Freude über das empfangene Lob nicht nehmen kann.
9.
Wenn auch, was ich jetzt geschrieben habe, für deine Heiligkeit nicht notwendig ist — du mögest nun in dieser Beziehung noch mehr und Nützlicheres erwägen oder bei deiner Heiligkeit einer solchen Arznei überhaupt nicht bedürfen —, so hat es doch wenigstens den Zweck, daß du hierdurch meine Verkehrtheit kennen lernest und erfahrest, in welcher Richtung du um meiner Armseligkeit willen zu Gott beten sollst. Dies mit allem Eifer zu tun, darum flehe ich durch die Menschheit dessen, der das Gebot gegeben hat, daß einer des anderen Last trage. Vieles habe ich aus meinem Leben und von meinem Verhalten zu beweinen, was nicht auf brieflichem Wege zu dir gelangen soll: keine andere Vermittlung soll zwischen meinem und deinem Herzen sein als mein Mund und dein Ohr. Wenn aber der uns so verehrungswürdige und von uns allen von ganzem Herzen geliebte alte Saturninus, von dessen wahrhaft brüderlicher Zuneigung und Hingebung gegen dich ich bei meiner Anwesenheit Zeuge war, bei guter Gelegenheit uns mit seinem Besuche beglücken wird, so wird bei seiner Heiligkeit und seinem geistlichen Eifer meine Besprechung mit ihm nur ein Gespräch mit dir ganz oder doch beinahe ersetzen. Mögest du ihn mit uns darum ersuchen und es uns auswirken, das flehe ich mit so dringenden Bitten, daß sie sich gar nicht in Worte kleiden lassen. Denn die Leute zu Hippo fürchten es allzusehr, wenn ich mich so weit von hier entferne, und wollen mir nicht so viel trauen, wie ich euch46.
Daß durch deine Vermittlung und Freigebigkeit den Brüdern47 ein Grundstück geschenkt worden sei, haben wir schon vor dem Empfange deines Briefes durch unseren heiligen Bruder und Mitknecht Parthenius erfahren und auch viel anderes von ihm gehört, was wir mit Freude vernahmen. Der Herr wird verleihen, daß auch das übrige, was wir noch ersehnen, in Erfüllung gehe.
XIV. (Nr. 23.) An Maximinus
Geschrieben im Jahre 392.
Den geliebtesten Herrn und ehrwürdigen Bruder Maximinus48 begrüßt Augustinus, Priester der katholischen Kirche, im Herrn.
Inhalt. Nachdem Augustinus zunächst sich wegen der Titel, die er Maximinus gegeben, gerechtfertigt und sich gegen die Auffassung verwahrt hat, als wolle er dadurch die kirchliche Gewalt der Donatisten anerkennen, hält er dem Adressaten vor, daß er, wie das Gerücht will, einen Diakon von Hippo wiedergetauft habe. Augustinus, der früher gehört, daß Maximinus die Wiedertaufe verabscheue, nimmt die Sache noch nicht für gewiß und fordert seinen Gegner zu einer brieflichen Erklärung auf, woran er die Hoffnung auf Wiedervereinigung knüpft. Augustinus will keine Unterstützung durch weltliche Gewalt und will daher die Erörterung bis zum Abzuge der gewaffneten Macht verschieben.
1.
Bevor ich zur Sache selbst komme, wegen der ich deiner Wohlwollenheit zu schreiben beabsichtige, will ich in Kürze mich über die Aufschrift dieses Briefes aussprechen, damit weder du daran Anstoß nehmest noch sonst jemand „Herr“ habe ich dich genannt, weil geschrieben steht: „Zur Freiheit seid ihr berufen, o Brüder; doch soll die Freiheit nicht dem Fleische zum Anlasse dienen, sondern dienet einander durch Liebe!“49 Da ich nun gerade in diesem Briefe dir einen Liebesdienst erweise, so nenne ich dich nicht unpassend „Herr“ wegen unseres einen und wahren Herrn, der uns so befohlen hat. Wenn ich dich aber „geliebtester Herr“ genannt habe, so weiß Gott, daß ich dich nicht nur liebe, sondern so liebe wie mich selbst; denn ich bin mir wohl bewußt, daß ich dir ebenso Gutes wünsche wie mir selbst. Wenn ich dich auch „ehrwürdig“ genannt habe, so ist das nicht zu verstehen, als würde ich deine bischöfliche Gewalt anerkennen; denn für mich bist du kein Bischof. Doch fasse