5.
Hast du also in uns die Erinnerung an diese und andere Dinge, die ich vorläufig wohl noch übergehen darf, durch deinen Brief aufgefrischt, warum sollten wir nicht über eure Götter lachen, die von dir selbst so fein verspottet werden, wie jeder weiß, der deinen Geist kennt und deinen Brief liest? Willst du also, daß wir uns über irgendein Problem unterhalten, das deinem Alter und deiner Klugheit angemessen ist und das gerechterweise und unserem Vorsatze gemäß von unseren guten Freunden gefordert werden kann, so suche eines, das unsere Diskussion verdient. Und trage Sorge, daß du nur so von euren Göttern aussagst, daß wir dich nicht für einen Verräter der eigenen Partei halten, wenn wir finden, daß du nur wenig zu ihren Gunsten, aber weit mehr zu ihrem Nachteile vorbringst. Zum Schlusse noch folgendes, damit es dir nicht verborgen bleibe und dich unwissend zu gotteslästerlichen Schmähungen hinreiße: erfahre, daß von katholischen Christen, die auch in eurer Stadt eine Kirche gebaut haben, kein Toter angebetet, nichts schließlich, was von Gott geschaffen und ins Leben gerufen ist, wie eine Gottheit angerufen wird, sondern Gott allein, der alles geschaffen und ins Leben gerufen hat. Diese Fragen sollen mit Hilfe des alleinigen wahren Gottes selbst ausführlicher behandelt werden, sobald ich erkenne, daß du ernsthaft mit mir zu disputieren geneigt bist.
XII. (Nr. 21.) An Bischof Valerius
Geschrieben im Jahre 391
Seinen heiligsten und ehrwürdigen Herrn, den vor dem Angesichte des Herrn mit unverfälschter Liebe geliebten Vater und Bischof Valerius begrüßt der Priester Augustinus im Herrn.
Inhalt. Im Jahre 388 war Augustin nach Afrika zurückgekehrt und hatte sich 390 nach Hippo begeben, wo er wider seinen Willen zum Priester geweiht wurde. In dem folgenden herrlichen Schreiben bittet er nun seinen Bischof, ihm bis Ostern Zeit zu lassen, um sich durch das Studium der Heiligen Schrift auf die Seelsorge vorzubereiten.
1.
Vor allem bitte ich deine Weisheit zu bedenken, daß es zwar in diesem Leben und besonders in unserer Zeit nichts Leichteres, Erfreulicheres und bei den Menschen Beliebteres gibt als das Amt eines Bischofs, Priesters oder Diakons, wenn man nämlich die Sache nur obenhin und von der günstigen Seite betrachtet, daß es aber dann vor Gott nichts Elenderes, Traurigeres und Verdammlicheres gibt; kämpft man dagegen nach der Vorschrift unseres Feldherrn, so gibt es in unserem Leben und besonders zu unserer Zeit nichts Schwierigeres, Mühsameres und Gefahrvolleres als das Amt eines Bischofs, Priesters oder Diakons, hingegen nichts Glückseligeres vor Gott. In welcher Weise aber dieser Kampf zu führen sei, das habe ich weder als Kind noch als Jüngling gelernt; da ich es aber zu lernen begann, geschah mir infolge meiner Sünden Gewalt (anders wußte ich es mir nicht zu deuten!), so daß ich den zweiten Platz am Steuerruder27 einnehmen mußte, obwohl ich nicht einmal das Ruder zu halten verstand.
2.
Doch Gott hat offenbar diese Strafe über mich verhängen wollen, weil ich, ohne von der Sache etwas zu verstehen, die Fehler vieler Schiffslenker zu tadeln wagte, gleich als wäre ich ihr Lehrmeister und besser als sie. Selbst nun mitten in dieses Amt hineingestellt, merkte ich nach und nach, wie frevelhaft mein Tadel gewesen, obschon ich auch schon früher dieses Amt für ein höchst gefahrvolles gehalten habe. Daher kamen jene Tränen, die einige Mitbrüder mich, da ich eben ausgeweiht war, vergießen sahen; da sie die Ursache meines Schmerzes nicht kannten, so trösteten sie mich, so viel sie konnten, mit Gesprächen, die auf meine Wunde keinen Bezug hatten, jedoch in bester Absicht. Aber ich habe viel, sehr viel mehr, als ich angenommen, erfahren. Nicht als ob ich neue Wogen und Stürme entdeckt hätte, von denen ich früher nichts gewußt, nichts gehört, nichts gelesen und nichts geahnt hätte; aber meine Energie und meine Kräfte, diese Stürme zu vermeiden oder zu ertragen, hatte ich überschätzt, als ich ihnen auch nur einige Bedeutung beilegte. Der Herr aber hat meiner gespottet und wollte mich durch eigene Erfahrung mich selbst kennen lernen lassen.
3.
Wenn dies nicht zu meiner Verdammung, sondern zu meinem Heile geschehen ist — wie ich wenigstens jetzt, da ich mein Elend erkenne, sicher hoffe —, so habe ich die Pflicht, alle Heilmittel der göttlichen Schriften zu erforschen und mit Gebet und Lesung es dahin zu bringen, daß meiner Seele die zu einem so gefahrvollen Auftrage nötige Gesundheit zuteil werde. Früher habe ich es nicht getan, schon weil mir die Zeit dazu mangelte; denn ich wurde gerade zu der Zeit geweiht, als wir28 daran dachten, uns zum Studium der Heiligen Schrift die nötige Muße zu verschaffen, und wir unsere Zeit so einteilen wollten,dass uns hierfür ein Mußestündchen übrig blieb.Und doch ist es wahr, daß ich damals noch nicht wußte, was mir abgehe zu jener Pflicht29, die mich jetzt foltert und quält.Wenn ich also durch tatsächliche Erfahrung belehrt bin, was ein Mann, der dem Volke die Sakramente spendet und das Wort Gottes verkündet, nötig hat, warum sollte ich nicht danach streben dürfen, was mir offenbar mangelt? Verlangst du etwa, daß ich zugrunde gehe, Vater Valerius? Wo ist deine Liebe? Denn du liebst mich doch? Du wirst doch die Kirche selbst lieben, der ich nach deinem Wunsche in solcher Verfassung dienen soll? Zwar bin ich gewiß, daß du sowohl mich als auch diese Kirche liebst, allein du hältst mich für tauglich, obwohl ich mich besser kenne; ich würde mich ja selbst nicht kennen, wenn mich nicht die Erfahrung klug gemacht hätte.
4.
Aber vielleicht spricht deine Heiligkeit: „Ich möchte wissen, was dir in bezug auf Belehrung abgeht.“ Dies ist aber so vieles, daß ich leichter aufzählen könnte, was ich besitze, als was ich vermisse. Ich möchte mir die Freiheit nehmen zu sagen: „Mir fehlt Selbsterkenntnis und voller beharrlicher Glaube in bezug auf die Heilswahrheiten.“ Aber wenn ich auch dies besäße, wie muß ich es zum Heile anderer wenden, „nicht suchend, was mir nützlich ist, sondern was vielen zu ihrem Heile dient“?30 Es gibt vielleicht so manche Anweisungen, nein sicher sind in den heiligen Schriften so manche Ratschläge aufgezeichnet, durch deren Kenntnis und Beobachtung ein Mann Gottes in den Stand gesetzt wird, sich mit halbwegs geordneten kirchlichen Verhältnissen zu befassen, jedenfalls aber in der Mitte der Gottlosen mit reinem Gewissen zu leben oder so zu sterben, dass jenes Leben nicht verloren geht, nach dem allein demütige und sanftmütige Christenherzen Verlangen tragen. Wie kann dies aber geschehen außer, wie der Herr selbst sagt, durch Bitten, Suchen und Klopfen, d. h. durch Beten, Lesen und Weinen? Zu diesem Zwecke wollte ich mir durch Mitbrüder eine kurze Zeit, etwa bis Ostern, von deiner so aufrichtigen und ehrwürdigen Liebe erbitten, und ich erneuere nun diese Bitte.
5.
Denn welche Antwort soll ich dem Herrn am Tage des Gerichtes geben? Soll ich sagen: Ich konnte jenen Dingen nicht mehr nachforschen, da mich der Kirchendienst daran hinderte? Wenn er nun aber zu mir spricht: „Du böser Knecht!“31 Wenn jemand die Kirche auf Herausgabe eines einträglichen Landgutes verklagen wollte, würdest du dann nicht den Acker, den ich mit meinem Blute benetzt habe, verlassen, und wenn du bei dem weltlichen Richter etwas für dieses Landgut tun könntest, würdest du da nicht mit allgemeiner Einwilligung, ja auf zwingenden Befehl deiner Oberen sogleich abreisen und, falls die Entscheidung gegen dich fiele, selbst über das Meer segeln? Und wenn deine Abwesenheit aus diesem Grunde auch ein Jahr oder noch länger dauerte, so könnte doch keine Klage deine Zurückberufung erwirken, weil sonst das Landgut in fremde Hände käme; und doch ist es nicht für die Seele, sondern nur für den Leib der Armen notwendig, und meine lebendigen Bäume würden bei richtiger Behandlung ihren Hunger auf einfachere und mir gefälligere Weise stillen32. Warum also behauptest du, es habe dir an Zeit gemangelt, die Pflege meines Ackers zu erlernen?“ Wenn der Richter also zu mir sprechen wird, so sage mir, ich bitte dich, was soll ich antworten? Soll ich etwa sagen: „Der greise Valerius hielt mich für genügend eingeweiht in alle Dinge, und je größer seine Liebe zu mir war, destoweniger erlaubte er mir, diese Dinge zu erlernen?“
6.
Bedenke